Selbstversuch: Kann man in Gächlingen die Liebe finden?

Fast jeder Vierte ist Single. Da sollte man meinen, dass man doch schnell Abhilfe schaffen kann. Aber die Dating-Welt ist ein grausamer Dschungel. In Gächlingen ging jetzt die Firma «Newdating» einen anderen Weg. Ist dieser besser? Ich habe es ausprobiert.
Dating in den 40ern ist wie Radfahren. Allerdings hat das Rad zwei platte Reifen. Die Bremsen haben schon lange den Geist aufgegeben. Eine Gangschaltung ist nicht mehr vorhanden. Ach ja: Der Sattel steht zu allem Überfluss in Flammen.
Sie merken, hier schreibt jemand, der frustriert mit seinem Liebesleben und seinen bisherigen Dating-Erfahrungen ist. Sagen wir es so: Ich bin dieses Jahr mehr Halbmarathons gelaufen, als dass ich Dates mit Frauen hatte. Die einzige zärtliche, körperliche Nähe, die ich mit einem weiblichen Geschöpf in den letzten Monaten hatte, war mit einer Katze, die ungefragt auf meinen Schoss gesprungen ist und sich von mir hatte schmusen lassen.
Meine Einstellung mittlerweile: Eine Mischung aus tiefem Frust und dem fatalistischen Gefühl, schlimmer kann es ja nicht mehr werden. Vielleicht nicht die besten Voraussetzungen, um nach Gächlingen zum Flirt-Aperitif von Marianne Taylor, Gründerin von Newdating.ch, zu gehen. Oder gerade die besten?
Immerhin gibt es was zu trinken für mich
Mein Ziel ist die «Cantina Vinoton» in Gächlingen. Die Wände sind aus altem Bruchstein, man merkt dem Ort an, dass es sich hierbei um eine umgebaute Scheune handelt – was nicht despektierlich gemeint ist, sondern eher für eine charmante Rustikalität spricht. Immerhin, das passt schon mal, hier kann man sich wohlfühlen. Mich soll laut Flyer ein Abend mit «witzigen Interaktionen», Dating- und Flirtratschlägen und zwei Getränken nach Wahl inklusive erwarten. Na ja, wenn ich niemanden kennenlerne, gibt es wenigstens gratis was zu trinken, denke ich mir.
Denn schnell wird mir klar: Mein «Beuteschema» ist hier nicht anzutreffen. Ich bin mit meinen 40 der jüngste, manche Teilnehmer sind bereits in Rente, das Durchschnittsalter dürfte bei circa Mitte 50 liegen. Bleiben ja noch die angekündigten Flirt-Tipps. Vielleicht lerne ich da ja wenigstens was.
Anfangs wie eine Selbsthilfegruppe…
Spannend ist für mich im ersten Moment, dass scheinbar, egal wie alt man ist, die erste Grundnervosität immer vorhanden ist. Nur zaghaft haben sich ein paar Grüppchen gebildet, die miteinander reden. Marianne Taylor schwirrt derweil umher, verteilt Namensschilder an die Anwesenden, damit man sich auch direkt mit Namen ansprechen kann. Dann nehmen wir an einem langen Tisch Platz, die Organisatorin am Tischende.
Ich muss dazu sagen: Ich habe schon diverse Flirtevents mitgemacht. Von daher kann ich sagen, dass sich dieser Event anders anfühlt. Das liegt wahrscheinlich auch an Taylor, die direkt das Wort ergreift und uns direkt auffordert, etwas zu erzählen. Was hat uns hierhergeführt, was wünschen wir uns? Schnell wird klar, dass die meisten hier ihre einschlägigen Dating-Apps-Erfahrungen gesammelt haben und Parship, Elitepartner, Bumble und Co. allesamt frustriert wieder verlassen haben. Zumindest während der Anfangsrunde wirkt der Raum wie eine Selbsthilfegruppe der Anonymen-Dating-App-Geschädigten. Aber gleichzeitig macht das auch was mit der Runde. Vielleicht ist es eine Art «Verbrüderung durch Trauma», aber man merkt geradezu, wie die Stimmung lockerer wird.
«Männer tun sich irgendwie schwerer, sich für so einen Event anzumelden.»
Danach folgt ein kurzes Spiel: Jeder soll eine Wahrheit und eine Lüge über sich erzählen. Auch das hilft, die anfängliche Unsicherheit bei den Teilnehmenden abzubauen, zumindest ist das mein Eindruck. Durch das Spiel erfährt man gleichzeitig was vom Gegenüber und lernt auch spielerisch ein bisschen die sehr wichtige nonverbale Kommunikation kennen.
Selbst die Männer, die absolut in der Unterzahl sind, tauen langsam auf. «Männer tun sich irgendwie schwerer, sich für so einen Event anzumelden», erklärt mir Marianne Taylor später in einem Gespräch. Warum eigentlich? Sie sind genauso oft Single wie Frauen.
Tipps vom Profi – und kein Handy in Sicht
Die Stimmung ist danach jedenfalls noch gelöster, auch als Taylor dann ein paar Tipps und Fakten rund um das Thema «Daten» gibt. Ich höre gespannt zu.
Was aber besonders auffällt: Niemand am Tisch hat ein Handy in der Hand, die Anwesenden sind gebannt, sind auf die anderen Teilnehmenden fixiert und im Moment. Das macht auch schon eine ganz andere Stimmung, als ich sie sonst von solchen Events gewohnt bin.
Danach folgt der gemütliche Teil: ein Apéro mit Wein aus der angeschlossenen Kelterei. Jetzt vermischen sich die Leute, unterhalten sich, man kommt ungezwungen ins Gespräch, kann an «Wahrheiten und Lügen» von vorhin anknüpfen und findet Themen, über die man sich unterhalten kann. Es findet im realen Leben statt, nicht in der digitalen Welt, in der man sich hinter mit KI erstellten Bildern verstecken kann. Hier schaut man dem Gegenüber in die Augen. Die Stimmung ist daher auch locker und freundlich, teils sogar herzlich.
Wäre ich nur etwas älter …
Ich muss es sagen: Ich war an diesem Abend zu jung für den Anlass. Ich hätte gerne wenigstens die Chance, irgendwann noch mal Kinder zu haben, und das ist mit Personen, die teils auf die 60 Jahre zugehen, leider nicht möglich.
Ob es denn auch Anlässe mit Jüngeren geben wird, frage ich Marianne Taylor später. «Ich fürchte, die werden sich dort gar nicht anmelden», ist ihre Antwort. Diese seien so viel auf Social Media unterwegs, und dort habe sie nicht die Expertise, um potenzielle Kandidaten und Kandidatinnen zu finden.
An diesem Event war die Altersspanne mit 40 bis 55 angegeben. Sollte es aber irgendwann einen mit einer Fächerung, die mehr meinem Jahrgang entspricht, geben, werde ich mich dort wohl wieder anmelden.
Es ist eine andere Art von Dating, die ich persönlich sehr charmant und reizvoll finde und der man(n) eine Chance geben kann. Wenn man das passende Alter hat, dann kann das sicher was werden.