Drohnen vs. Vögel: Kampf um die «Lufthoheit» über dem Mittelchläggi

Mark Liebenberg | 
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Der Flugplatz Schmerlat mit Graspisten (im Vordergrund). Am linken Bildrand, hinter der Hauptstrasse, liegt das Gebiet Widen. Bild: Roberta Fele

Naturschützer setzen grosse Fragezeichen hinter die Festsetzung des Flugplatzes Schmerlat als Drohnentestgelände. Die angrenzende ­Naturschutzzone Widen müsse besser vor den unbemannten Flugobjekten geschützt werden. Der Entschied liegt jetzt beim Bund.

Am vergangenen Wochenende hat die Segelfluggruppe den Betrieb auf dem Flugplatz Schmerlat nach der Winterpause wiederaufgenommen. Doch was zurzeit für Streit sorgt, ist nicht die Segelfliegerei, der vor allem an Wochenenden nachgegangen wird. Auf dem Schmerlat testen schon seit drei Jahren Unternehmen und Hochschulen innovative Drohnentypen und andere unbemannte, hochkomplexe Flugobjekte. Initiiert hat das Projekt die Schaffhauser Wirtschaftsförderung, der Kanton unterstützt es. Einen weite­ren Schritt in Richtung «Anwenderregion» will man damit machen – also innovativen Firmen die Möglichkeit bieten, ihre Pioniertechnologien in der Region auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) unterstützt die Idee, dass hier im mittleren Klettgau Aviatik- und Drohnentechnologiefirmen, unter anderen ein Institut der ETH, ihre Flugobjekte ausprobieren können. Zurzeit läuft das Verfahren zur Festsetzung des Flugfelds im Rahmen eines Sachplans zur Infrastruktur Luftfahrt (SIL). Im Entwurf steht: «Zusätzlich soll auf Initiative des Kantons ein Kom­petenz­zentrum für Drohnen und unbemannte Flüge aufgebaut werden.» Der SIL-Entwurf enthält deshalb die verbindlichen Festsetzungen der Zweckbestimmung und der Rahmenbedingungen zum Betrieb des Flugfeldes. Dazu gehört ein geplanter Ausbau des Schmerlats vom Wochenend- zu 7-Tagebetrieb. Statt wie heute 3000 Flugbewegungen pro Jahr sollen neu bis zu 5500 möglich werden.

Unter dem Radar der Politik durch

Während das Verfahren noch lief, hat im Februar die Hallauer Kantonsrätin Eva Neumann (SP) kritisch beim Kanton nachgefragt. Obwohl der Vorgang Bundessache sei, hätte es einer breiten Mitwirkung oder wenigstens Information bedurft, so die Parlamentarierin. Der Grund liegt im benachbarten Naturgebiet, dem Reservat ­Widen. Dank grosszügig aufgewerteten ökologischen Ausgleichsflächen habe sich im Naturreservat Widen in den letzten Jahrzehnten ein interessantes Gebiet entwickelt, schreibt Neumann, «mit Brutvögeln wie Schwarzkehlchen, Dorngras­mücke, Neuntöter und Grauammer. Wie vertragen sich vermehrte Drohnenflüge und der Schutz der Brutvögel?» Sie hätte sich die Konsultation des Kantonsrates und einer breiteren Öffentlichkeit gewünscht, bevor die Regierung eine solche Initiative ergreift. 

Jetzt hat der Regierungsrat geantwortet. Mit dem aktuellen Vorgehen werde noch kein Drohnenkompetenzzentrum geschaffen, sondern nur die Rahmenbedingungen für den künftigen Flugbetrieb auf dem Schmerlat. Der Bund sei für die geplanten Festsetzungen verantwortlich, welche un­ter Einbezug der betroffenen Gemeinden, der Segelfluggruppe als Betreiber des Flugfelds und der betroffenen kantonalen Fachstellen erarbeitet wurden. Der Koordinationsprozess sei also «durchaus breit ab­gestützt». Der Kanton sei zur Vernehmlassung eingeladen worden, die am 3. März endete. «Der Regierungsrat fordert nichts», schreibt er in seiner Antwort an Eva Neumann. Vielmehr unterstütze er im Rahmen der Innovationsförderung (etwa der Entwicklungsstrategie 2030) die Bestrebungen der Wirtschaftsförderung. Auch bewillige nicht der Kanton die Drohnenflüge, ­dafür sei der Betreiber des Flughafens mit Sonderbewilligungen verantwortlich – und zwar in einem Umkreis von bis zu 5 Kilometern um das Flugfeld herum. Kom­plexere Drohnentests wiederum muss das Bazl bewilligen.

Interessen abwägen – aber später

Das Vogelschutz- und Amphibienlaichgebiet Widen ist laut der Regierung von den Drohnenflügen «nicht direkt betroffen». Für konkrete Vorhaben müsse indes «in den nachfolgenden Verfahren» geprüft werden, mit welchen Auswirkungen insbesondere auf die Vögel zu rechnen sei. «Es wird eine entsprechende Interessensabwägung vorzunehmen sein.»

Neumann wartet nun gespannt darauf, was in Bern entschieden wird. «Im Moment werde ich abwarten, was der Bund entscheidet, und dann weitersehen», sagt sie auf Anfrage. «Ich sehe ganz klar Konflikte zwischen Drohnenflügen und Brutvögeln im Gebiet Widen. Hier muss eine Interessensabwägung vorgenommen werden.»

Schmerlat: Das Gelände aus der Luft betrachtet

Die Politikerin ist dabei nicht allein. Die Einwendung der Vogelwarte Sempach, Regionalstelle Nordostschweiz, an das Bazl, die den SN vorliegt, betont, dass das Gebiet Widen eine «national herausragende Fläche für Biodiversitätsförderung» sei. 14 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche stelle «für Schweizer Verhältnisse einen Spitzenwert» dar. Aufgrund der Qualität sind hier zahlreiche gefährdete Tier- und Pflanzenarten in «grossen, florierenden Populationen» anzutreffen. Darunter vor allem «die vom Aussterben bedrohte, störungssensible Grauammer», von der es im ganzen Land nur noch etwa 100 Brutpaare gebe. Regelmässig dient das Gebiet zudem als Rast- und Überwinterungsplatz von sehr seltenen Vogelarten, wie Sumpfohreule oder Kornweihe.

«Drohnen sind Stressfaktoren»

Diese Arten müssten sich ständig vor Luftfeinden in Acht nehmen, weshalb «Flugobjekte für die Vögel als Störquelle wirken können». Aufgrund des heutigen Wissens zur Störwirkung von Drohnen fordert die Vogelwarte deshalb zweierlei: In der Schmerlat-Festsetzung solle festgehalten werden, dass das Gebiet Widen – also der Bereich nördlich der Hauptstrasse von Neunkirch nach Löhningen – «weder von Flugzeugen noch von Drohnen überflogen werden darf». Oder aber, dass eine Mindesthöhe von 450 Metern über Boden eingehalten werden müsse.

«Weder im Ausbau der Leichtfliegerei noch in Drohnentests besteht ein ­öffentliches ­Interesse.»

Pro Natura Schaffhausen In der Vernehmlassungs­antwort

Noch weiter geht Pro Natura Schaffhausen. Das Bazl soll alles zu unternehmen, dass weder ein Drohnenkompetenzzentrum noch eine Ausweitung des Flugbetriebs möglich ist. Bevor eine Festlegung erfolgt, müssen «weitergehende Abklärungen gemacht werden, welche Vogelarten in einem Umkreis von 5 Kilometern um den Schmerlat vorkommen», schreibt der Verband. Das Gebiet Widen grenzt in ganzer nördlicher Länge an das Flugfeld an, «Drohnenaktivitäten im Luftraum sind Stressfaktoren für die Vögel», deretwegen Ornithologen aus der ganzen Schweiz das «einzigartige Schutzgebiet besuchen». Drohnen wirkten bedrohlich für Vögel und andere Wildtiere, was sie in die Flucht treibe oder zu Angriffen provoziere.

Der Betrieb soll laut Pro Natura auf dem heutigen Stand eingefroren werden. «Weder am Ausbau der Leichtfliegerei noch an der Etablierung von Drohnentests besteht ein öffentliches Interesse.» Am Naturschutz hingegen schon.

Der Ball liegt nun beim Bundesamt. Wann ein Entscheid vorliegt, ist zurzeit noch nicht bekannt.

Gebiet Widen: Von nationalem Rang

Seit dreissig Jahren gilt die Fläche nördlich der Strasse zwischen Neunkirch und Siblingen als ökologisch wertvoll. Im engen Sinn ein Schutzgebiet als Amphibienlaichgebiet ist nur das Feuchtgebiet bei den von Bäumen umringten Weihern. Im Richtplan stellt das gesamte rechteckige, in der Landwirtschaftszone liegende Gebiet ein «Vorranggebiet für ökologischen Ausgleich» dar. Es ist ein national bekanntes Gebiet der Vogelwarte. 

 

«Drohnenaktivitäten stossen auf positive Resonanz»

Gegen die vehemente Kritik von Umweltorganisationen gegen das Drohnen-Testgelände auf dem Schmerlat wehrt sich der Schaffhauser Wirtschaftsförderer Christoph Schärrer. «Die Idee wurde vor der Lancierung im Jahr 2019 mit den umliegenden Gemeinden, der Segelfluggruppe und dem Bundesamt für Zivilluftfahrt breit abgestützt. Alle standen und stehen dem Vorhaben positiv gegenüber.» Das Projekt eines Kompetenzzentrums füge sich ein in eine Reihe weiterer Massnahmen im Kanton, «um die wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum voranzutreiben».

Solche Kompetenzzentren seien auch im Bereich von Materialtechnologie, Food oder autonomer Mobilität im Werden oder schon realisiert, so Schärrer. «Ziel ist es, den Kanton als Anwenderregion für zukunftsorientierte Technologien zu positionieren und langfristig Arbeitsplätze zu schaffen.» Über die Drohnenaktivitäten sei in regelmässigen Abständen berichtet worden. «Sie sind auf breite und positive Resonanz gestossen.» Gegenüber den SN bestätigten die Standortgemeinden, dass sie nach wie vor hinter dem Vorhaben stehen. Während nun das Verfahren beim Bundesamt für Luftfahrt (Bazl) läuft, gelte es erst in einem zweiten Schritt, die Umweltverträglichkeit eines allfälligen Kompetenzzentrums zu prüfen. «Dafür wird selbstverständlich eine Interessensabwägung vorgenommen werden», sagt Schärrer.

Etliche Schweizer und internationale Firmen hätten vom Angebot auf dem Schmerlat seit 2019 profitiert. Die Vergabe von Slots erfolge durch den Flugplatzbetreiber, die Segelfluggruppe. Doch scheint das Interesse eher rückläufig: Gab es 2020 an 14 Tagen Testflüge, und 2021 an 76 Tagen, so waren es im ganzen letzten Jahr nur noch 7 Tage. 

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