Die 100 Jahre sieht man ihm nicht an

Luc Müller | 
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Walter Egolf wird heute 100 Jahre alt, turnt regelmässig und surft gern im Internet. Bild: Selwyn Hoffmann

Es ist ja hinlänglich bekannt, dass die ältere Generation immer länger lebt und fit ist. Aber so agil wie Walter Egolf, der heute in Beringen seinen 100. Geburtstag feiert, ist sogar manch Jüngerer nicht.

Der Mann sieht aus wie 65 – und das ist ein Kompliment. Denn in Wahrheit feiert Walter Egolf am heutigen Sonntag seinen 100. Geburtstag. Der Senior ist nicht nur auf den ersten Blick rüstig. Nein, der kleine, drahtige Mann zeigt gleich im heimischen Wohnzimmer seine Turnkünste. Schon liegt Walter Egolf auf dem roten Teppich. Mit den Armen und Beinen stützt er sich mit durchgestrecktem Rücken vom Boden ab – und hält die Stellung locker. «Seit ich 73 bin, mache ich zwei- bis dreimal Turnübungen.» Die «5 Tibeter» nennen sich die fünf Übungen korrekt, die er jeweils ausführt. Die tibetischen Mönche sollen diese angeblich seit Jahrhunderten praktizieren.

Keine Spitex nötig

Seit sieben Jahren wohnt Walter Egolf in einer Viereinhalb-Zimmer-Wohnung in ­Beringen. Vor drei Jahren ist seine Ehefrau Trudi Egolf verstorben, seither lebt er hier ­allein. «Klar. Ich koche und putze selber», berichtet der 100-Jährige, «ich bin doch noch fit. Die Spitex brauche ich ebenfalls nicht.» Der Rentner mit der beneidenswerten Kon­stitution fühlt sich nach eigenen Angaben «sehr wohl. Eine längere Krankheit oder einen groben Unfall hatte ich nie», so Egolf, der ein Hörgerät trägt. Vor einem Jahr musste er sich aber einer Gallenblasenope­ration unterziehen. Hat er immer gesund ­gelebt, nie geraucht? «Doch zwei Schachteln – im Jahr», witzelt er mit viel Humor. Er sei durchaus ein Geniesser und esse auch gerne – aber eben alles mit Bedacht.

«Es ist wichtig, auch im hohen Alter beweglich zu bleiben, das hält jung.»

Walter Egolf, 100-Jähriger aus Beringen

Und wie sieht sein Tagsablauf aus? Normalerweise steht er gegen sieben Uhr auf und macht sich das Frühstück. Danach liest er noch täglich die Zeitung («Ich sehe mit meiner Brille immer noch sehr gut»). Nach dem Aufstehen meldet er sich per SMS bei seiner Familie, damit die weiss, dass es ihm gut geht.

Walter Egolf geht auch noch regelmässig ins Dorf zum Einkaufen. Am Nachmittag sitzt er öfter an seinem Computer und surft im Internet. «Wenn ich Informationen brauche, schaue ich schnell bei Google nach», berichtet er ganz selbstverständlich. Die moderne Technik. Die rasende Entwicklung mit Handy und Computer – das sei die Veränderung, die es in den vergangenen 100 Jahren gegeben habe. So gegen 23 Uhr legt sich der Rentner dann ins Bett.

Als Kind in Marokko gewohnt

Am 4. November 1918, als der Erste Weltkrieg noch tobte und es in der Schweiz ­wenige Tage später zum Landesstreik kam, wurde Walter Egolf in Hallau geboren. Im Alter von zwei Jahren zog er mit seiner ­Familie nach Marokko, in die Stadt Meknes, wo der Vater als Automechaniker für die Schweizer Lastwagenfirma Saurer tätig war. Viele Erinnerungen hat er nicht mehr daran. «Mir wurde aber erzählt, dass wir für kurze Zeit einen Affen als Haustier hatten, der immer die Vorhänge herunterriss.» Als er sechs Jahre alt war, zog die Familie wieder in die Schweiz. Die Schulzeit verbrachte er in Wetzikon ZH, wo er bei der damals bekannten Lastwagenfirma FBW eine Lehre zum Automechaniker abschloss – anschliessend hängte er noch das Abendtechnikum in Zürich an.

Als 17-Jähriger spielte Walter Egolf leidenschaftlich Handorgel. Bild: zvg

In Wetzikon lernte Walter Egolf seine Frau beim Tanzen kennen, sie heirateten 1947. Das Ehepaar zog zwei Kinder auf. Ab 1960 wohnte die Familie Egolf in Beringen in einem Einfamilienhaus, das Walter Egolf mitgeplant hat. Sohn Heinz Egolf (68) ist beim Pressebesuch mit seiner Frau Mieke auch vor Ort. «Mit dem Generalabonnement der SBB reist mein Vater noch regelmässig zu meiner 67-jährigen Schwester nach Luzern. Und wenn er mich und meine Frau in Feuerthalen besucht, läuft er vom Bahnhof Schaffhausen zu uns.» Im August wanderte er mit seiner Familie über vier Stunden auf über 2300 Meter.

Vor zwei Jahren noch Auto gefahren

In Beringen, wo er über 30 Jahre im Männerchor gesungen hat, ist er ebenfalls noch sehr aktiv: Mit dem Verein Alte Garde ist er immer noch viel unterwegs. Walter Egolf zückt seine Agenda und blättert durch die voll geschriebenen Seiten: «Sehen Sie, ich habe täglich ein Programm. Es ist wichtig, auch im hohen Alter beweglich zu bleiben, das hält jung», erklärt er mit einem Lächeln.

Bis vor zwei Jahren ist Walter Egolf, der 1936 die Autoprüfung gemacht hat, noch selber mit seinem Opel Vectra gefahren – weil die Augen schlechter wurden, hat er den Wagen nach 80 Jahren unfallfreier Fahrt abgegeben. Zum Schluss erzählt Walter Egolf noch eine entzückende Anekdote: Einmal im Jahr trifft er sich immer noch zur Klassenzusammenkunft aus Wetzikoner Zeiten: Sie sind dann nur noch zu zweit – er und eine Schulkollegin, die ebenfalls 100-jährig ist. Nach einem so langen Leben haben sie sich jeweils viel zu erzählen.

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