Der Pflanzenschutz bedroht die Tierwelt

Jean-Claude Goldschmid | 
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Das Interkantonale Labor hat an einem Bach im Klettgau zusammen mit der Eawag eine neue Messstelle für den Pestizideintrag eingerichtet. Bild: zvg

Die Belastung durch Pflanzenschutzmittel ist in den kleinen Fliessgewässern des Kantons Schaffhausen beträchtlich. Für die Lebewesen in den Bächen kann das zum Todesurteil werden.

Kleine Fliessgewässer sind mit einer Vielzahl von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden belastet. Dies zeigt eine gestern publizierte Studie, welche die Forschungsstelle Eawag im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) durchgeführt hat. Fünf kleine Fliessgewässer in den Kantonen Thurgau, Baselland, Bern, Wallis und Tessin wurden dazu untersucht. Nachgewiesen wurden insgesamt 128 verschiedene Herbizide, Fungizide und Insektizide. In 80 Prozent der Proben wurden die Anforderungen der ­Gewässerschutzverordnung – maximal 0,1 Mikrogramm pro Liter – von mindestens einem Stoff nicht eingehalten.

Der Kanton Schaffhausen wurde in dieser Studie nicht untersucht. Dennoch hat das Interkantonale Labor (IKL) auch hier die Wasserqualität von kleinen und mittelgrossen Gewässern analysiert. Von 2011 bis 2016 wurden dafür die Biber bei der Bibermühle, der Beggingerbach bei Beggingen und der Hallauer Halbbach im Hinblick auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln unter die Lupe genommen. «In allen drei Bächen mussten Überschreitungen von gewässerschutzrechtlichen Vorgaben festgestellt werden», sagt der IKL-Amtsleiter Kurt Seiler.

Forschung wird vertieft

Im Gegensatz zur Studie von Bafu und Eawag, bei der über 250 Substanzen analysiert wurden, beschränkte sich die Analyse des IKL allerdings auf etwa 50 Leitsubstanzen, hauptsächlich Herbizide. Dabei konnten in sogenannten Wochenmischproben ­jeweils etwa zehn verschiedene Substanzen in Konzentrationen bis zu 8 Mikrogramm pro Liter nachgewiesen werden, also bis zum 80-Fachen des gesetzlichen Grenzwerts. Vier in Unkrautvertilgungsmitteln enthaltene Stoffe hätten entweder chronisch oder akuttoxisch kritische Konzentrationen überschritten. Dabei handelt es sich um die schwer aussprechbaren Substanzen Isoproturon, Metazachlor, Terbutylazin und Chlorotoluron. ­«Insektizide und Fungizide wurden im Kanton Schaffhausen bislang noch zu wenig untersucht», hält Seiler fest. «Unsere Analyse-Ergebnisse bestätigen aber die Befunde der Eawag.»

Zusammen mit dem Bafu wird nun seit dem 3. März in einem kleineren Klettgauer Bach – den Seiler aus Angst vor allfälligen Vandalen nicht genauer bezeichnen möchte – die Forschungsarbeit vertieft. «Ziel ist es, die Pestizidbelastung in kleinen Gewässern noch genauer zu erforschen», sagt der IKL-Amtsleiter. Dazu wird dem Bach in einem automatischen Probennehmer alle 45 Minuten eine kleine Wassermenge entnommen. Die gesammelten Proben von dreieinhalb Tagen werden anschliessend mit aufwendigen Verfahren auf die gesamte Palette an Pflanzenschutzmitteln untersucht. Ab 2018 möchte das IKL dann den Zustand der kleineren Gewässer analog zum Vorgehen der Eawag in Zusammenarbeit mit dem Bafu auch im Kanton Schaffhausen erfassen.

Keine Gefahr für Trinkwasser

«Die Situation ist für kleinere Gewässer aus landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen, die unsere Landschaft prägen, alarmierend», bilanziert Seiler. Entwarnung gibt er für das Trinkwasser, aber auch für den Rhein als grosses Gewässer. Durch die Versickerung würden viele Stoffe im Boden abgebaut oder blieben dort hängen, ­bevor sie den Grundwasserspiegel ­erreichten, und im Rhein sei die ­Verdünnung schlicht zu gross.

Durch die Pestizide werden die Lebensgemeinschaften in den Gewässern gestört, insbesondere die in Bächen und kleinen Flüssen lebenden wirbellosen Tiere: Fliegen-, Mücken- und Libellenlarven, Schnecken, Egel, Milben, Krebse und Würmer. Wenn diese Tiere nicht mehr vorkommen, fehle auch die Nahrungsgrundlage für andere Tiere wie Fische. «Verändert sich die Wasserqualität, so ändert sich auch die ­Zusammensetzung der Arten», so Seiler. Nebst den Pflanzenschutzmitteln hätten auch die Düngerstoffe einen grossen Einfluss auf die Gewässer­qualität: Sie können die Artenvielfalt von Kieselalgen beeinträchtigen.

«Mikroverunreinigungen sind ein vergleichsweise junges Thema», so ­Seiler. Früher seien nämlich die entsprechenden analytischen Möglichkeiten gar nicht vorhanden gewesen. Seit etwa zehn Jahren schreite die wissenschaftliche Entwicklung aber rasant vorwärts. Über den vom Bundesrat ­beschlossenen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel müsse der Einsatz dieser Stoffe sukzessive reduziert werden.

Pestizideinsatz: «Bei einem Verzicht würden die Produkte teurer»

An Echos auf die Eawag-Studie über die Verschmutzung von kleinen Fliessgewässern mangelte es gestern nicht. So forderten Pro Natura und Greenpeace auf Bundesebene umgehend eine Reduktion des Pestizideinsatzes. Der Neunkircher Gemeindepräsident und Biolandwirt Ruedi Vögele fand indes, das Problem sei «schon länger bekannt». Es seien zwar Bestrebungen im Gang, die Situation über Lenkungsabgaben zu steuern, sagte er. Im Endeffekt bedeute dies aber, dass die Preise für die Konsumenten steigen würden. «Eigentlich müsste man die ­entspre- chenden Mehrkosten verursacher- gerecht auf das Endprodukt ­abwälzen», so Vögele. «In der Praxis bleibt aber der Landwirt auf den Mehrkosten sitzen – oder die Nahrungsmittel werden teurer, und der Einkaufstourismus würde noch weiter steigen.» Für Vögele ist klar: «Alle wollen Tierwohl und gesunde Nahrungsmittel. Aber nicht alle sind bereit, den Preis dafür zu bezahlen.»

In der biologischen Landwirtschaft sei der Ausstoss an Pestiziden zwar viel geringer als in der herkömmlichen, hielt Vögele fest. Letztlich sei dies aber nur ein Teil des Problems. «Auch die Kosten für den Ausbau von Abwasserreinigungsanlagen bezahlt im Moment noch die Allgemeinheit», so Vögele. «Und das ist auch nicht richtig.»(jcg)

Video-Beitrag zur Ewag-Studie:

 

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