So schön die Töne, so brutal das Business: Eine junge Opernsängerin erzählt

Anastasia Tkachenko nimmt als Sopranistin an den Schaffhauser Meisterkursen teil. Der Weg hin zum Erfolg sei schmal und steinig, Disziplin und Talent dafür noch lange kein Garant. Trotzdem liebt sie die Welt der Oper und will ihr Glück weiter versuchen.
Eine schönere, grössere, intensivere Welt; eine Welt, die den Alltag überstrahlt und die Grenzen des Wunderbaren forthebt. So dürften einige Leute über die Oper denken und dabei einen märchenhaften Schauer verspüren. Es ist ja auch so: Der Musik fällt es leicht, das Pathetische auszudrücken, sogar auszubuchstabieren, ohne sich dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Eine Steigerung bis hinein in die Künstlichkeit und Hysterie ist erlaubt, ja erwünscht! So lässt die Oper einen Raum betreten, der weit entfernt ist von den Post-its am Bildschirmrand im Büro, vom Geschirrspüler und vom zur Gewohnheit gewordenen Ehemann.
Leicht übertragen wir dabei das Dargestellte auf die Darsteller und versetzen die Künstler ebenfalls in eine solche andere Welt – in eine Welt, in der vor allem gehaucht, gesäuselt und gejauchzt wird, in der alles ein bisschen schöner, interessanter und märchenhafter ist. Abseits der Bühne sieht das aber oft etwas anders aus. Dort sitzt nach ihrem Auftritt gerade Anastasia Tkachenko. Die 30-jährige Russin hat in der Rathauslaube die erste Probe bei Dozentin Vesselina Kasarova absolviert. Nun nimmt sie sich Zeit, mit den SN über ihren Werdegang zu sprechen.
«Sauber, rein und präzis»
Um diesen einordnen zu können, muss man zunächst wissen, dass Tkachenko eine verblüffend gute Stimme hat. Das denkt der Journalist und könnte diese hier dilettantisch beschreiben. Das denkt aber auch Profisängerin Kasarova, deren Urteil Gewicht hat. Die charismatische Bulgarin, die beinahe vier Jahrzehnte auf allen Bühnen dieser Welt aufgetreten ist, sagt von sich, nicht lügen zu können, und hat (auch) damit recht – ihre wohlmeinende Kritik ist zahlreich und unverblümt. Tkachenko hat sie trotzdem eine gute Technik bescheinigt, «eine saubere, reine und präzise Stimme» habe diese junge Frau.

Der Schreibende würde hinzufügen, diese technisch ertüchtigte Stimme erreiche auch das Herz, habe Charakter, Charme und Humanität. Verliebt in die reine Instrumentalmusik hat er nicht erwartet, von ihrem Vortrag berührt zu werden. Kurz, Tkachenko besitzt Talent und hat sich in Weimar, wo sie einen Bachelor und einen Master abgeschlossen hat, hervorragend ausbilden lassen. Was man auch und zuletzt noch wissen muss: Die Russin geht nicht wehklagend durch die Welt. In Kaliningrad aufgewachsen, wurde ihre Kindheit von den Folgen des plötzlichen Zerfalls bestimmt, von der Auflösung der Sowjetunion, die 1991 in 15 verschiedene Nationalstaaten aufgesplittert wurde.
Von allem sehr wenig
Wie Tkachenko erzählt, krallten sich im Nebel des Chaos einige Gestalten fast alles, während die meisten mit wenig bis nichts auskommen mussten. So habe sie als Kind keinen Überfluss gekannt, habe später wegen mangelnder Mittel auf ein Studium in Moskau verzichten müssen. Trotzdem erweckt Tkachenko nicht den Anschein, mit ihrem Schicksal gehadert zu haben. Im Gegenteil strahlt sie eine nachgerade robuste Zuversicht aus, ist in ihrem Leben wieder und wieder aus eigener Kraft über Hindernisse gekraxelt.
«Es gibt in diesem Business keine Gerechtigkeit.»
In kurzer Zeit hat sie sich Deutsch beigebracht (das sie nun akzentfrei spricht), um in Weimar Musik studieren zu können. Sie hat an allen möglichen Wettbewerben teilgenommen und ist in St. Petersburg mit einem Diplom ausgezeichnet worden. Trotz Talent, Disziplin und einer von Optimismus beseelten Persönlichkeit wandelt Tkachenko ein Schatten an, als sie von der Klassikbranche spricht. «Es ist hart, ich würde das niemandem empfehlen», sagt sie, um kurz zu pausieren. «Man muss viel Geduld und Talent mitbringen, aber auch das genügt nicht. Es gibt für den Erfolg kein Rezept. Es ist nicht wie beim Kuchenbacken.»
Von Larmoyanz keine Spur
Damit bestätigt sie Lehrerin Kasarova, die unumwunden von einer brutalen Branche spricht. «Es gibt in diesem Business keine Gerechtigkeit. Einige Leute hatten ein unglaubliches Talent, aber trotzdem keinen Erfolg.» Ihren eigene Karriere schreibt sie einer unerbittlichen Disziplin zu – aber auch einfach dem Faktor Glück. Als sie nach der Probe gegangen ist, erzählt Tkachenko von eigenen Erfahrungen, immer wieder lächelnd und ohne dabei in einen Klageton zu verfallen. Mitunter höre sie, mit 30 Jahren für eine Sopranistin doch etwas alt zu sein, denn mit 40 sei Schluss. «Es gibt auch Alterslimiten, die für Frauen noch tiefer angesetzt sind als für Männer.»

Eine Bewerbung für eine bestimmte Rolle verlaufe oft nach dem gleichen Muster: Man reist auf eigene Kosten irgendwo hin, um dort nach einer stundenlangen Zugreise als eine von Dutzenden Kandidierenden vorsingen zu können, höchstens drei oder vier Minuten. Endlich angekommen, ist ein Zimmer zum Einsingen keine Selbstverständlichkeit. «Ich musste das oft auf der Toilette machen.» Dann wird man irgendwann hineingewunken und stellt sich zu einem Pianisten, den man für seine Dienste selbst bezahlen muss.
«Oft kommt einfach nichts»
Die Experten machen sich einige Notizen und treffen ihre Wahl. Ein verschwindend kleiner Bruchteil findet ihre Gnade, der ganze Rest reist auf eigene Kosten wieder ab – ohne auch nur eine Rückmeldung zu erhalten. Das sei hart. Und selbst ein einmaliger Erfolg garantiere noch keinen Durchbruch. «Wenn man an einem guten Festival singen darf, ruft danach nicht automatisch die Mailänder Scala an. Oft kommt danach – einfach nichts.»
Dass sie aus Russland stammt, mache die Suche nach einer Rolle auch nicht einfacher. Mitunter bemerke sie Vorbehalte, die mit grosser Wahrscheinlichkeit auf ihre Nationalität zurückgehen. An einigen Wettbewerben würden auf einmal keine Russen mehr gewinnen. Sie kenne Landsleute, die deshalb versuchten, einen europäischen Pass zu erlangen. «Das kann ich mir momentan nicht vorstellen.» Sie könne ihre Identität nicht einfach absägen. «Ich habe einen grossen Teil meines Lebens in Russland verbracht.»
Jedes Detail zählt
Tkachenko, die zu Hause lieber Metallica und Ramstein hört, nimmt all diese Schwierigkeiten sportlich. «Es ist spannend, auf der Suche zu bleiben, immer wieder tauchen neue Möglichkeiten auf.» Sie schaue sich oft Gesangswettbewerbe an, um die Gewinner dann genau zu analysieren: Welche Agentur haben sie hinter sich? Welches Kleid tragen sie? Wie kommen sie auf die Bühne? «Ich versuche, für mich etwas daraus abzuleiten.»
In der Zwischenzeit arbeitet sie weiter an ihrer Stimme: exakte harte Arbeit, ohne dabei zu einer Maschine zu verkommen und Musikalität und Menschlichkeit einzubüssen. Die nächste Gelegenheit wartet am 22. Februar auf sie. Dort darf sie in Erfurt in Mozarts Zauberflöte die Königin der Nacht singen. «Man weiss nie, vielleicht hört im Publikum jemand mit, der mir danach eine Tür öffnet.» Sie wolle sich auf jeden Fall weiter bemühen, weiter Ausschau halten. «Wenn man die Kunst liebt, dann macht man das.»