«Denn ich lebe und ihr sollt auch leben»

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Von Adrian M. Berger*

Ich schreibe diesen Artikel als einer, der um seine geliebte Ehefrau trauert, die ihm nach sehr kurzer Krankheit völlig unerwartet entrissen wurde. «Meine Seele ist betrübt bis an den Tod», sagt Jesus zu den Jüngern. So fühle ich mich momentan. Meine Frau und ich haben gehofft und gebetet. «Jesus fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!» Dreimal ruft Jesus diese Bitte in Gottes Ohr. Was dann geschah: Die Kriegsknechte des römischen Statthalters Pilatus schlugen und bespuckten Jesus, der zum schändlichen Mördertod am Kreuz verurteilt worden war, sie verhöhnten ihn und trieben derbe Spässe. Mit Purpurmantel und Dornenkrone verspotteten die Soldaten Jesus: «Sei gegrüsst, König der Juden!» Als Jesus bereits am Kreuz hing, verwünschten ihn die Vorübergehenden, schüttelten den Kopf und höhnten: «Rette dich selbst, wenn du der Sohn Gottes bist, und steig herab vom Kreuz!» Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis übers Land, um die neunte Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!» Es ist die Stimme eines Gepeinigten, Gemarterten und Unschuldigen, die da schreit. Keiner kommt Jesus zu Hilfe, und Gott schweigt. Von allen verlassen stirbt Jesus am Kreuz.

Mein Abschiedsschmerz kennt kein Mass. Und der christliche Glaube ist keine Ermässigung meines Schmerzes und meiner Trauer. Unabänderlich trennt der Tod die Tote von dem Lebenden und den Weiterlebenden von der Toten. Nichts ist hier zu beschönigen oder zu mildern. In einer Predigt sagt Martin Luther: «Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert, und keiner wird für den andern sterben. Sondern ein jeder in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen. In die Ohren können wir wohl schreien. Aber ein jeder muss für sich selber geschickt sein in der Zeit des Todes, ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir.» Luther kann sogar vom «Terror des Todes» sprechen.

Der Tod ist doch aber, so haben wir gelernt, das natürliche biologische Ende der Pflanzen, Tiere und Menschen. Geburt, Leben und dann Tod; aus dem Leben hin-über in den Tod. Das ist der Fahrplan. Zuerst jung sein, dann älter und vielleicht sogar alt werden, glücklich sein und manchmal unglücklich, sich freuen und leiden, da und dort Gutes tun, aber auch unterlassen, Gutes zu tun, endlich und zuletzt sterben und dann auf einem Friedhof in einem Grab verwesen. Das ist unser Fahrplan: «Media vita in morte sumus», wie es in einem alten Choral heisst. Wenn ich an meine liebe Verstorbene denke, so finde ich Sterblichkeit, Vergänglichkeit und Tod. Wir meinen deswegen, wir seien vom Tod umfangen: «Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.»

Dieser Mensch Jesus am Kreuz ist Gott. Und dieser Gott ist Mensch geworden. Weil der ewige Gott sich mit diesem Menschen identifiziert hat, weil der Mensch Jesus der Sohn Gottes ist, darum gilt: «Christus ist Gott und Mensch in einer Person, darum was von ihm geredet wird als Menschen, das muss man auch von Gott reden.» Im Tod Jesu hat Gott sich als der Gott erwiesen, der das Leben will. «Das Bild der Gnade ist nichts anderes als Christus am Kreuz.» (Luther) Dort allein zeigt sich eindeutig, dass der Tod selber am Kreuz Jesu rechtens, nämlich kraft göttlichen Rechts, zum Tod verurteilt worden ist. Nochmals Luther: «Christus ist gestorben, und Christus ist Gott, darum ist Gott gestorben.» Dass Gott in der Person Jesus Christus Mensch geworden und am Kreuz gestorben, nämlich für uns gestorben ist, ist freilich für manche ein Ärgernis, für uns Christen aber das Zentrum. Der Tod von Jesus ist verschlungen in den Sieg Gottes. Anders gesagt: Indem Gott in Jesus Christus den Tod erlitten hat, ist durch Gottes Leben dem Tod die Macht genommen worden, hat Gott dem Tod sozusagen den Todesstoss versetzt. Der Glaube an den gekreuzigten Gott, der das Sterben mit uns teilt, damit wir an seinem Leben teilhaben, ist in der Tat etwas verrückt, weil er das Verhältnis des Lebens zum Tod verrückt. Jetzt ist es so, dass wir von uns selber wegblicken auf Christus als dem Gnadenbild. «Denn Christus ist nichts als lauter Leben», sagt wiederum Luther. Warum? Weil Gott ihn von den Toten auferweckt hat. Jesus Christus sieht dem Tod nicht mehr entgegen, sondern blickt auf ihn zurück und geht uns voran auf der Lebensbahn. Am Ostermorgen, im österlichen Jetzt kehrt sich die Sache um: «Kehr’s um», fordert darum der Reformator, «mitten im Tode sind wir vom Leben umfangen, so spricht, so glaubt der Christ.»

Mit Tod und Grab fängt die Geschichte also überhaupt erst an! Und zwar vorwärts auf einer Einbahnstrasse, auf der es keine Umkehr gibt, hinein ins Leben. Kehr’s um: Warum? Weil Jesus nicht im Grab geblieben ist. Er ist von den Toten auferweckt worden und sagt selber: Vergesst alles andere und haltet euch daran, aber daran ganz fest: «Ich lebe – und ihr werdet leben!» (Joh 14,19) Karl Barth: «Ewiges Leben: dahin ging dort die Reise, und dahin geht, weil die Ostergeschichte auch für uns geschah, auch unsere Reise. Nicht zurück, nicht wieder hinein in ein Leben, in dem doch wieder im Dienst unseres bösen Trotzes gearbeitet würde. Nein, hinein, hinüber ins ewige Leben! Ewiges Leben ist das Menschenleben, zu dem Gott Ja gesagt hat, und zwar ein für allemal, unbedingt und vorbehaltlos ein Ja gesagt hat, an dem nichts mehr zu ändern ist. Ewiges Leben ist das Leben mit Gott, in seinem hellen Licht gelebte, durch sein eigenes Leben genährte und gespeiste Menschenleben. Ewiges Leben ist das in den Dienst Gottes und der Mitmenschen versetzte Menschenleben. Ewiges Leben ist, weil es von Gott kommt und von ihm erhalten wird, unzerstörbares Menschenleben: ein Leben, das über sein natürliches Ende im Sterben hinaus, das nun eben nicht mehr Tod sein kann und wird, dauernd Bestand hat.»

*Adrian M. Berger ist Spitalpfarrer in Schaffhausen

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