Die Sicht des Pflegepersonals auf das Jahr im Kantonsspital

Tobias Bolli | 
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Die Fachfrau Gesundheit ist mit viel Freude und Leidenschaft bei der Sache. Bild: Michael Kessler

Die Politik wurde in diesem Jahr nicht müde, aus der Ferne über die Spitäler Schaffhausen zu diskutieren – die Personalwechsel, die Finanzierung des Neubaus. Im Interview zum Jahresrückblick äussert sich eine Frau an der Front.

Bereits 40 Jahre arbeitet sie im Kantonsspital, betätigt sich auf ihrer Station, die der Rehabilitation verpflichtet ist, auch als Berufsbildnerin und hat eine Weiterbildung im Bereich der Palliativpflege absolviert.

Prominente Abgänge, grosse Finanzierungslücken, eklatanter Fachkräftemangel: Die Spitäler Schaffhausen standen in diesem Jahr im Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Gabriela Matzick-Stettler hat als langjährige Fachfrau Gesundheit am Kantonsspital ihre eigene Sicht der Dinge.

Der Pflegeberuf gilt als stressig und wenig einträglich. Trotzdem üben Sie ihn bereits 40 Jahre lang im Kantonsspital Schaffhausen aus. Warum sind Sie ihm so lange treu geblieben?

Gabriela Matzick-Stettler: Er gefällt mir sogar so gut, dass ich den Beruf wieder erlernen würde! Es ist schön, mit Menschen aller Altersstufen zusammenarbeiten zu können. Als Berufsbildnerin darf ich die Jungen unterstützen und ihnen einen Teil meiner Erfahrung mit auf den Weg geben. Besonders freut es mich, den Fortschritt der Patientinnen und Patienten zu sehen – zum Beispiel, wenn sie es schaffen, eine Hose wieder selbst anzuziehen und wenn wir sie später in die Lage versetzen, selbstständig zu Hause leben zu können. Natürlich wird man stark gefordert – man arbeitet auch an Wochenenden und an Feiertagen. Wenn man genau hinschaut, findet man aber an jedem Beruf etwas Negatives.

Wie hat sich Ihre Tätigkeit in den vier Jahrzehnten geändert?

Ich verbringe viel mehr Zeit mit administrativer Arbeit, heute geht man zusammen mit dem Computer ins Zimmer. Das war für mich eine grosse Umstellung. Auch arbeiten wir vermehrt mit anderen Abteilungen zusammen. Früher war da noch eine klare Trennung, heute werden bei Bedarf zum Beispiel auch Wundexperten und Wundexpertinnen herbeigezogen. Nicht zuletzt gibt es im Haus immer wieder Weiterbildungen, die über neusten Entwicklungen informieren. Man muss in der Pflege offen sein für Neues.

Haben Sie heute noch genügend Zeit für die Patienten?

Ich versuche, mir diese Zeit zu nehmen, mich hinzusetzen und ein Gespräch zu führen, auch mit den Angehörigen. Aber zum Teil ist die Zeit schon sehr knapp bemessen. Es muss heute alles viel schneller gehen. Der Stress hat zugenommen, der Aufwand wird immer grösser und es ist schwierig, alles unter einen Hut zu bringen. Wie sind aber ein Team und können uns gegenseitig unterstützen – man ist kein Einzelkämpfer in diesem Beruf. Eine weitere Herausforderung ist der Medikamentenmangel. Oft fehlen Medikamente und dann ist es schwierig und zeitaufwändig, eine Alternative zu finden.

Wie viel spüren Sie bereits von der Umsetzung der im November 2021 angenommenen Pflegeinitiative?

Ehrlich gesagt noch nicht so viel. Man will ja nun mehr in die Ausbildung investieren. Das ist gut, man müsste aber auch für diejenigen schauen, die ausbilden. Hier ist wenig passiert. Ich denke zum Beispiel an die Schichtarbeit, die sich mit zunehmendem Alter auch körperlich bemerkbar macht.

Die Spitäler Schaffhausen haben Massnahmen ergriffen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Abgänge des ohnehin schon knappen Personals zu unterbinden. Gehen diese für Sie weit genug?

Es ist eine schöne Anerkennung, dass wir nun zum Beispiel eine Abgeltung für die Umkleidezeit erhalten, wir können schliesslich nicht in Privatkleidung zur Arbeit erscheinen. Eine weitere Anerkennung sind die Einspringprämien. Wenn jemand spontan eine Schicht für einen anderen übernimmt, wird sie oder er mit 100 Franken entschädigt.

Stichwort Geld: Sind Sie mit dem Lohn im Pflegeberuf zufrieden?

Es ist in diesem Beruf wie auch in anderen nicht einfach, als Alleinverdiener eine Familie zu ernähren, vielleicht haben wir deshalb so wenig Männer, auch wenn sie im Laufe der Jahre zahlreicher geworden sind. Und manche Jungen überlegen sich, ob sie die lange Ausbildung mit diesen Lohnaussichten noch rechtfertigen können. Sie könnten mit ihrer Zeit ja auch etwas anderes machen und danach merklich mehr verdienen.

Der Pflegeberuf ist für Junge also nicht besonders attraktiv?

Zur Lohnthematik kommt die Arbeitszeit, Junge sind tendenziell weniger dazu bereit, Schichtarbeit zu leisten. Ausserdem muss die Station auch am Wochenende und an jedem Feiertag besetzt sein. Darunter leidet das private Leben, es muss gearbeitet werden, wenn die meisten anderen Leute frei haben. Mehr Zulagen würden diesen Einsatz vielleicht attraktiver machen. Vielleicht könnte man sich auch überlegen, mehr Freizeit anzubieten: 90 Prozent Arbeit bei 100 Prozent Lohn.

Gibt es andere Faktoren, die helfen würden?

Es geht nicht nur ums Geld, Wertschätzung ist auch sehr wichtig. Wertschätzung von den Patientinnen und Patienten, der Gesellschaft und der Spitalleitung. Ich denke da an Kleinigkeiten, die im Moment sehr guttun: Zum Beispiel haben wir ein Glacé spendiert bekommen, als es in der Station besonders heiss war.

Die Hitze dürfte sich auch deshalb bemerkbar gemacht haben, weil das Spitalgebäude alt und kaum isoliert ist?

Es wird schon sehr warm auf unserer Station. Im Sommer lüften wir und behelfen uns damit, die Zimmertüren zum Gang aufzumachen. Aber ideale Verhältnisse lassen sich auch so nicht herstellen – und im Winter wird es ziemlich kalt. Manche Patientinnen und Patienten beklagen sich deswegen.

Bringt die alte Infrastruktur weitere Unannehmlichkeiten mit sich?

Heute braucht es in den Zimmern viel mehr Material als früher. Wir wissen aber kaum, wohin damit, da der Platz in den Patientenzimmern sehr begrenzt ist. Die Enge erschwert auch unsere Arbeit. Zwar haben wir Hilfsmittel, um die Leute zu mobilisieren, können uns aber teilweise kaum drehen im Zimmer. Die Badezimmer sind im Vergleich mit anderen Spitälern ebenfalls sehr klein, mit Elektrorollstühlen kommt man da nicht rein. Zudem ist der Internetempfang nicht immer gut. Um eine Verbindung herstellen zu können, muss man gezielt gewisse Orte aufsuchen. Immerhin ist der Empfang in den letzten Jahren besser geworden, das muss man auch sagen.

Finden Sie es frustrierend, dass es mit dem neuen Spital so langsam vorwärtsgeht?

Ich wünsche mir einen Neubau noch vor meiner Pension in sieben Jahren und hoffe natürlich, dass wir ihn bis dahin bezogen haben (lacht) . Wie viele Personen hätte ich gerne, dass es noch schneller gehen würde.

Es klafft bekanntlich eine grosse Finanzierungslücke, es müssten 70 Millionen Franken für den Neubau aufgetrieben werden.

Wir hatten gerade Abstimmungen, die zeigten: Für andere Projekte im Kanton werden grosse Summen benötigt und gesprochen. Ich persönliche fände es wichtig, wenn wir auch in die zukünftige Gesundheitsversorgung des Kantons investieren würden. Die Bevölkerung wird im Schnitt immer älter und fast alle kommen in die Lage, dass sie mal ein Spital benötigen. Dann sind wir alle froh, wenn uns wohnortsnah und bestmöglich geholfen wird. Man darf auch nicht vergessen: Heute sind die Leute so versichert, dass sie in jedes Spital gehen können.

Wie wirkt sich das politische Hintergrundrauschen, die prominenten Wechsel und der fehlende Fortschritt beim Spitalneubau auf Ihre Arbeit aus?

Wir versuchen, unsere Arbeit genau gleichzumachen und geben täglich vollen Einsatz, Politik hin oder her. Ich will mich bei der Arbeit gar nicht von der Politik beeinflussen lassen. Unsere Aufgabe ist es, uns um unsere Patientinnen und Patienten zu kümmern und nicht um die Politikerinnen und Politiker.

Wie denken Sie über Ihren Chef Andreas Gattiker?

Ich habe nicht viel direkt mit ihm zu tun, wir sehen ihn aber immer wieder bei uns auf dem Gang. Er zeigt sich. Politiker habe ich dagegen noch nie hier gesehen, ich weiss aber auch nicht, ob ich sie hier sehen will (lacht).

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