Vincenz Lang aus Stetten ist mit 13 Jahren nach Berlin gegangen, um Zirkusartist zu werden

Jurga Wüger | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare

Mit nur 13 Jahren verliess Vincenz Lang aus Stetten sein Zuhause, um in Berlin Zirkusartist zu werden. Nach sechseinhalb Jahren kehrt er am Samstag mit der Absolventenshow «SENSEation» der staatlichen Artistenschule Berlin nach Schaffhausen zurück.

Der Zirkus verzaubert sein Publikum immer wieder mit atemberaubenden Momenten und einer Atmosphäre eingebettet zwischen Magie und Wirklichkeit. Nach Beendigung der Zirkusvorstellung verblasst die magische Welt allmählich. Doch nicht jeder vergisst diese Faszination im Alltag. Vincenz Lang (19) aus Stetten gehört zu den Letzteren. Seit seinem sechsten Lebensjahr besuchte er die Neuhauser Zirkusschule von Miriam und Dominik Pribil und verspürte im Laufe der Jahre den unbändigen Wunsch, als Zirkusartist in die Manege zu treten. «Wir haben jedes Jahr Zirkusvorstellungen in Schaffhausen besucht, und ich fand sie immer wieder spannend. Es machte einfach Freude, die Zirkusartisten auf der Bühne zu sehen und zu spüren, wie sie mit ihrem Auftritt das Publikum begeisterten», erinnert er sich heute.

«Ich werde nach Berlin gehen»

Mit zwölf Jahren stand für ihn bereits fest: «Ich werde nach Berlin gehen.» Zusammen mit seiner Mutter Regina Hinder Lang drehte er ein Bewerbungsvideo und reichte es bei der staatlichen Artistenschule Berlin ein. Lange musste Vincenz Lang nicht auf eine Antwort warten. Und obwohl seine Mitschülerinnen und Mitschüler bereits drei Jahre länger an der Schule trainiert haben, durfte Vincenz als Quereinsteiger (siehe Infobox) vorsprechen.

Vincenz Lang spricht vor und überzeugt die Aufnahmekommission mit seinen akrobatischen Fähigkeiten und seiner Leidenschaft. Im Mai erhält er die Zusage. «Ich hätte auch sehr gut mit einem ‹Nein› leben können», sagt Regina Hinder Lang und lächelt. Im Sommer 2017 ist es dann so weit.

«Vincenz ist zwar mein Kind, aus meinem Fleisch und Blut, aber er gehört mir nicht. Er darf seine Träume und sein Leben so leben, wie es für ihn richtig ist.»

Regina Hinder, Lang Mutter

Vincenz Lang packt seine Koffer, verabschiedet sich von seiner Familie und Freunden und reist in die deutsche Metropole. «Klar hatte ich anfänglich Bedenken und Angst bei dieser Entscheidung, aber wer nichts wagt, gewinnt auch nicht», sagt der heute 19-Jährige.

Von 0 auf 100 selbstständig

Im Alter von 13 Jahren musste er von 0 auf 100 selbstständig werden und lernte, wie man kocht, Wäsche wäscht und einen Lern- und Trainingsplan einhält. Er erklärt: «Auch das Bitten um Hilfe, wenn ich etwas nicht wusste, musste ich lernen.» Doch er fügt hinzu: «Geschadet hat es mir nicht, im Gegenteil.» Die langen Tage in der Schule und das Nachholen von Unterrichtsstoff, um mit seinem Zirkus-Gspänli Schritt zu halten, hinterliessen kaum Raum für Heimweh und Zweifel bei Vincenz Lang. «Wir haben eine Sechstagewoche, trainieren am Wochenende und am Abend», sagt er. Wenn ihn doch das Heimweh packte, wählte er die Nummer seiner Mutter.

Staatliche Artistenschule Berlin

An der staatlichen Artistenschule in Berlin können sich Jugendliche zum staatlich geprüften Artisten ausbilden lassen. Es ist die einzige Schule in Deutschland dieser Art. Die Ausbildung beginnt im Alter von zehn Jahren, dauert neun Jahre und wird durch eine allgemeine schulische Bildung begleitet. Für artistisch begabte Kinder und Jugendliche bietet das Ausbildungssystem neben dem Ausbildungsbeginn mit zehn Jahren auch die Möglichkeit eines Quereinstiegs. Die gesamte Ausbildung an der Staatlichen Artistenschule Berlin ist für alle Schülerinnen und Schüler auch aus dem Ausland kostenfrei.

Regina Hinder Lang erinnert sich gut an diese Gespräche. Sie dauerten manchmal bis zu zwei Stunden, aber sie hörte nie Klagen oder Jammern. Selbst dann, als er sich mit Corona infiziert hatte und zwei Wochen lang sein Zimmer nicht verlassen durfte. «Verantwortungsbewusstsein und der eiserne Wille zeichnen Vincenz aus», ergänzt sein Vater Klaus Lang. Obwohl es für die Eltern nicht einfach war, den Sohn mit 13 Jahren nach Berlin ziehen zu lassen, kam es für beide nicht in Frage, seinen Traum zu vereiteln. Regina Hinder Lang sagt heute: «Vincenz ist zwar mein Kind, aus meinem Fleisch und Blut, aber er gehört mir nicht. Er darf seine Träume und sein Leben so leben, wie es für ihn richtig ist.» Eine Ausbildungseinrichtung in der Schweiz wäre den Eltern jedoch lieber gewesen. «Zu der damaligen Zeit gab es keine vergleichbare Einrichtung in der Schweiz», sagt Klaus Lang. Der grosse Vorteil in Berlin sei, dass sein Sohn hier nebenbei sein Abitur machen konnte.

Training, Schule und wieder Training

Seit sechseinhalb Jahren besteht der Tagesablauf von Vincenz Lang aus Training, Schule und erneutem Training. Seiner Schleuderbrettausbildung gehört neben der Schule die gesamte Aufmerksamkeit. Andere soziale Kontakte, Partys oder Flirts vermisst er nicht. Vincenz Lang hat ausschliesslich Zirkusleute in seiner Umgebung. «Die Trainingshalle ist mein Zuhause. Ich verspüre kein Bedürfnis nach Partys oder Ähnlichem, das ist überhaupt nicht meine Welt. Wenn ich mit meinen Freunden trainiere und dabei Spass habe, reicht mir das vollkommen aus.» Klar vermisse er seine Familie und auch die Berge, aber er habe gelernt, damit umzugehen. Seit Ende Juni ist Vincenz Lang mit der Absolventenshow «SENSEation» auf Tournee. Die Tour endet erst Mitte November. Am kommenden Samstag gibt es eine Vorstellung im Stadttheater Schaffhausen. Für den Zirkusartisten ist die Vorstellung in der Heimat mit neuen Gefühlen behaftet. Es sei schon etwas anderes, vor Publikum aufzutreten, das einen nicht kennt. «In Schaffhausen werden rund 400 Menschen kommen, die mich und meine Familie kennen.» Nervös sei er schon und das Lampenfieber steige stetig.

Auf diese Tournee folgt ein Engagement in Wien. Varieté Papierfabrik hat die jungen Zirkustalente bereits unter Vertrag genommen.

Ein Plan B in petto?

«Ich habe die Schule mit zwei vollwertigen Acts absolviert. Aus Spass haben wir Jungs Schleuderbrett ausprobiert und sind dabeigeblieben. Manchmal, wenn ich sechs bis sieben Meter in die Luft geschleudert werde, frage ich mich auch, warum ich das eigentlich mache. Aber ich glaube, ich bin mittlerweile ein wenig süchtig nach dem befreienden Gefühl des Fliegens.» Und weil man heutzutage vielfältig auf dem Artistenmarkt sein muss, hat Vinzenz Lang im achten Ausbildungsjahr mit seiner Mitschülerin Joana Lokaichuk noch angefangen, eine Partnerakrobatiknummer zu entwickeln. 

«Verantwortungsbewusstsein und der eiserne Wille zeichnen Vincenz aus.»

Klaus Lang, Vater

Als Vincenz Lang die pragmatische Frage hört, ob er auch einen Plan B in petto habe, reagiert er gelassen. Im Moment stehe seine Zirkuskarriere im Vordergrund und es wäre falsch, sich nicht auf dieses Ziel zu fokussieren. In Berlin habe er Abitur gemacht. Naturwissenschaften zu studieren oder eine Artistenschule in Schweden, um für die Zirkuselite bereit zu sein, sind seine Überlegungen. Doch vorerst liegt sein Fokus auf der Absolventenshow und weiteren Engagements in der Zirkuswelt.

Die Absolventenshow «SENSEation» der staatlichen Artistenschule Berlin gastiert am 9. September 2023, um 19.30 Uhr, im Stadttheater Schaffhausen.

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren