Neuhauser Lehrerin lebte zwei Monate in der Mongolei

Elena Stojkova | 
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Lehrerin und Neuhauserin Erika Ramsperger hat zwei Monate in der Mongolei verbracht. 19 Klassen unterrichtete sie pro Woche. Sie erzählt von Ansprüchen, die sie «kübeln» musste, von Medaillen für Mütter vieler Kinder und von unvorstellbar vielen Tieren.

Ungefähr 8500 Kilometer von hier entfernt fährt ein Chauffeur Neuhauserin Erika Ramsperger und ihren Mann durch holprige Strassen. Wegweiser sind spärlich gesät. Es ist so holprig, dass Rolf Ramspergers Fitnessuhr jede Erschütterung als Schritt mitzählt. «Zehntausend Schritte», sagt er zu seiner Frau nach der Fahrt, obwohl sie an diesem Tag noch nicht viel gegangen sind. Es ist eine lange Fahrt, Menschen haben sie praktisch keine angetroffen. Aber es vergeht kaum ein Moment, in dem sie keine Tiere sehen.

Zu diesem Zeitpunkt, im Mai, ist Erika Ramsperger schon fast zwei Monate in der Mongolei. Sechs Wochen hat sie in Darkhan an der «19. Schule» des Goethe Instituts, einer deutschen Privatschule, gearbeitet. Danach flog ihr Mann ein und sie bereisten gemeinsam das Land, in dem man so viele Statuen von Dschingis Khan, dem Begründer des Mongolischen Reichs, antrifft. Ein Land, bei dessen Erwähnung viele Leute sie fragen, wo es liegt, sagt Erika Ramsperger.

Mit 20 Jahren sei sie mit dem Reisefieber infiziert worden, als sie Tausende Kilometer mit der Transsibirischen Eisenbahn fuhr und Asien bereiste. 25 Jahre lang war sie Primarlehrerin in Neuhausen, zehn Jahre in Beggingen, sie gab Abendkurse an der Handelsschule KV in Schaffhausen. «Ich wollte schon als junge Frau im Ausland arbeiten, habe es aber nie geschafft.» Vor zwölf Jahren, als sie 50 Jahre alt war, ergab sich die Möglichkeit, ein halbes Jahr lang in Rom Englisch zu unterrichten. Sie hatte sich damals über viele Möglichkeiten, im Ausland freiwillig als Lehrerin tätig zu sein, informiert. Kürzlich wurde sie frühpensioniert und erinnerte sich an die Deutsche Privatschule in der Mongolei. Also kontaktierte sie Organisatorin Anita Fahrni aus Frauenfeld. «Die Schule ist immer froh um Lehrpersonen aus dem Ausland. Die Kinder empfinden es als etwas ganz Besonderes, wenn foreign teachers sie unterrichten.» Sie nimmt eine Mappe voller kleiner Briefe von ihren Schülerinnen und Schülern aus der Mongolei hervor. Als «Wonderwoman» wird sie da bezeichnet. «I love your red hair», steht in einem Brief, «you are very strong» in einem zweiten und «i’m very sad because you go to your city».

«Eine Schnapsidee»

Sechs Wochen lang unterrichtete sie Schülerinnen und Schüler verschiedener Stufen von der 1. bis zur 12. Klasse vor allem in englischer, aber auch in deutscher Sprache. Insgesamt waren es 19 Klassen, jeweils eine Lektion pro Woche. 240 Schülerinnen und Schüler hatte sie in dieser kurzen Zeit – 300 sind es an der Schule etwa insgesamt. «Eine Schnapsidee», sagt Ramsperger und lacht. «Everybody wants a foreign teacher – das sagte man mir stets.» Anstrengend sei es gewesen. Mit weniger Klassen wäre es einfacher gewesen, ausserdem besser für den Lernprozess. «Einige Kinder und Jugendliche haben mich sehr gut, andere gar nicht verstanden», sagt Ramsperger. «Schwierig, denn ich kann ja kein Mongolisch.» Dass die Unterschiede in den Fähigkeiten so gross sind, hänge wohl mit der Pandemie zusammen, vermutet sie. Fast zwei Jahre lang waren die Schulen zu. «Die Mongolei ist ein sehr junges Land, die Familien haben oft viele Kinder.» Sich da zu Hause um die schulische Bildung zu kümmern, sei wohl nicht so einfach.

Traditioneller als gewohnt

Ihre Ansprüche an schulische Leistungen musste Ramsperger deshalb «kübeln», wie sie sagt. «Ich musste mich als Lehrerin neu erfinden.» Sie sei ausserhalb ihrer Komfortzone gewesen, aber: «Es macht einen lebendiger, man wird flexibler, und es öffnet einem in vielerlei Hinsicht die Augen.» Mit dem Schweizer Schulsystem im Hinterkopf zu akzeptieren, dass an der Schule in Darkhan das Fach Geschichte nicht unterrichtet wird, da im Moment keine Geschichtslehrerin gefunden werden kann, sei anfangs frustrierend. Die Erfahrungen, die sie als Lehrerin in der Mongolei gemacht hat, würde sie aber nicht hergeben wollen. «Zu reisen, das ist eine Sache, im Ausland zu arbeiten eine ganz andere.» Man komme den Menschen, ihrem Alltag, ihrer Kultur viel näher. «Jeden Morgen, wenn ich ins Klassenzimmer kam, standen alle Kinder oder Jugendlichen auf und grüssten mich im Chor. Es läuft alles ein bisschen traditioneller ab als bei uns.»

Die Schweiz hat fast 38-mal Platz in der Mongolei, es gibt aber nur etwa dreieinhalb Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Zum Vergleich: In der Schweiz leben 217 Menschen pro Quadratkilometer. In der Mongolei sind es zwei. Tiere gibt es umso mehr: Wie die Mongolinnen und Mongolen Ramsperger sagten, gibt es im Land davon schätzungsweise 70 Millionen.

Nichts für Zartbesaitete

Schafe, Ziegen und Pferde halten fast alle Mongolinnen und Mongolen, die nicht in der Stadt leben, erzählt Ramsperger. Aber es gibt auch zweihöckrige Kamele und Yaks. «Die Tiere haben im Winterquartier einen Unterstand und ein wenig Heu, aber sonst müssen sie selbst schauen.» Vertrocknetes Gras sei im Winter und Frühling oft alles, was es für die Tiere zu essen gebe. Und dafür müssen sie häufig auch sehr weit gehen. Da geht schon mal ein Tier verloren. Das merke man zwar, aber bei so vielen Tieren und der Weitläufigkeit der Landschaft ist die Suche manchmal unmöglich. Die Menschen würden gut zu ihren Tieren schauen, so Ramsperger, aber dass sie jeden Winter welche verlieren, liesse sich nicht vermeiden. Wenn es im bitterkalten Winter einen Sturm gibt und der Boden vereist, gibt es keine Chance mehr, Futter zu finden. Dann verenden die Tiere elend. Immer wieder sehe man tote Tiere auf der Strasse liegen. Und Skelette von vorherigen Jahren. «Die Geier räumen auf, sie sind die Gesundheitspolizei. Für uns Zartbesaitete schwierig mitanzusehen.» Es tue weh, wenn man ein Tier zugrunde gehen sehe.

Die Mongolei und die Schweiz: Ein Vergleich

38-mal hat die Schweiz in der Mongolei Platz. Die Schweizer Bevölkerung zählt 8,7 Millionen Menschen. Es gibt aber nur etwa 3,5 Millionen Mongolinnen und Mongolen. In der Schweiz leben 217 Menschen pro Quadratkilometer, in der Mongolei sind es 2.

Sie erinnert sich, dass eine Frau um Hilfe gerufen hat, um einem geschwächten Yak auf die Beine zu helfen, der nicht mehr aufstehen konnte. Zu viert habe man ihn aufgestellt, damit er fressen konnte. Mehr aber könne man für ein Tier nicht tun. «Es gibt dort draussen in der Weite keinen Tierarzt, den man rufen könnte. Und selbst wenn: Wer soll das bezahlen?»

Vorteile bei vielen Kindern

Bis in die 90er-Jahre war die Mongolei sozialistisch. Viele sind hier Buddhisten, der Schamanismus sei sehr verbreitet, sagt Ramsperger. In den zwei Monaten, in denen Ramsperger in der Mongolei war, hatte sie praktisch nur mit Einheimischen zu tun. Touristen gibt es im Frühling wenige. Sie habe die Mongolinnen und Mongolen als sehr friedliebende und hilfsbereite Menschen kennengelernt. «Sie sind autoritätsgläubig, die Familie ist ihnen sehr wichtig.» 300 bis 400 Euro verdient eine Lehrerin umgerechnet in der Mongolei. «Das ist ein etwa 20-mal kleinerer Lohn als bei uns. Aber das Leben dort ist nicht 20-mal günstiger.» 36 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.

Einmal habe sie beobachtet, wie zwei ganze Tage ein roter Teppich vor dem Regierungsgebäude ausgelegt war. Von morgens bis abends bekam dort Mutter um Mutter eine Medaille geschenkt. Gemäss eines Artikels von Fairplanet erhält eine Frau diese, wenn sie mindestens drei Söhne hat. «Eine Lehrerkollegin erzählte mir, sie könne sich mit 50 pensionieren lassen, weil sie vier Kinder hat.»

Abhängig von den Nachbarn

Im Mai, als Ramspergers in der Mongolei herumreisen, ist es nicht ungewöhnlich, dass es in der Stadt Darkhan an ein und demselben Tag kurze-Hosen-warm ist, einen Sandsturm gibt und danach schneit. Das Land hat zwar wahnsinnig viel Fläche, fruchtbar ist davon aber wenig. Die Winter sind lang und hart, im Sommer wird es heiss. Die Wirtschaft ist schwach, es muss viel importiert werden. Das Land ist abhängig von China und Russland.

Die Hälfte aller Mongolinnen und Mongolen leben in nur einer einzigen Stadt, in der Hauptstadt Ulaanbaatar. Vom Rest sind immer noch viele Nomadinnen und Nomaden, die in Jurten leben. Ein pulsierendes kulturelles Leben kennen viele also nicht. Dafür aber würden alle die wunderschöne Landschaft kennen, die das Land zu bieten hat. «Ausserhalb der Stadt sieht man die Weite nicht nur, man spürt sie», so Ramsperger. «Die Luft ist so klar – es riecht nur nach Natur.» Als sie Ende Mai in die Schweiz zurückkommt, stinkt es ihr überall nach Verkehr. «Es ist so leer in der Mongolei. Man hört die Stille. Nachts siehst du den Himmel vor lauter Sternen nicht.» Es gebe einfach unheimlich viel Platz. «Und das ist unglaublich entspannend.»

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