Den «Sugar Daddies» auf der Spur

Robin Blanck | 
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Im Fokus der beiden Beschuldigten waren auch minderjährige Mädchen, welche an Freier vermittelt worden sein sollen. Bild: Pixabay

Sie sollen junge Mädchen als Prostituierte an Freier vermittelt haben: Die Ermittlungen gegen die beiden Betreiber des «Sugar-Daddy-Rings» dauern an, die Verteidigerin kritisiert die Dauer des Verfahrens.

Die jüngsten Gerichts-Schlagzeilen im Fall einer 14-Jährigen, die einem 22-Jährigen Sex gegen Geld angeboten hat, stammen aus dem Kanton Zürich und sorgen national für Aufsehen. Ihren Ursprung haben sie aber – so man den Strafermittlern glaubt – im Kanton Schaffhausen: Hier soll der Menschenhändler-Ring, der sich hinter dem Fall der 14-Jährigen verbirgt, tätig gewesen sein. Wie die SN schon im vergangenen August berichtet haben, sind die Schaffhauser Behörden schon länger daran, im Fall zu ermitteln, zwei Personen sind noch immer in Untersuchungshaft.

14-Jährige «vermittelt»

Der Hintergrund: Was die Zürcher Staatsanwaltschaft als Einzelfall zur Anklage gebracht hat, ist nur ein Mosaiksteinchen in einem grösseren Fall, bei dem es um den Verdacht des Menschenhandels, der Förderung der Prostitution und Pornografie geht und der inzwischen unter der Bezeichnung «Sugar-Daddy-Ring» bekannt ist. Konkret sind die Schaffhauser Strafermittler der Meinung, dass die beiden Verdächtigen A. und J. zusammen minderjährige Mädchen via Messenger-App Snapchat kontaktiert, von ihnen Nacktbilder gefordert und die jungen Frauen, die teilweise unter 16 Jahren waren, an Freier vermittelt haben – dies gegen ein entsprechendes Entgelt, das zu einem Teil an die junge Frau, zum anderen Teil an die Zuhälter geflossen sein soll.

«Falls es überhaupt zu einer Verurteilung kommen sollte, wovon nicht ausgegangen wird, dann bestimmt nicht für einen jener Straftatbestände, die im Raum stehen.»

Orly Ben-Attia, Strafverteidigerin

Wie das konkret abgelaufen sein könnte, zeigt ein Fall, der in einem Entscheid des Obergerichts zum Fall auftaucht: J. habe den Kontakt zu einem 14-jährigen Mädchen in geschilderter Manier hergestellt, sich Nacktbilder schicken lassen und die Minderjährige daraufhin im April 2021 «an mindestens vier Freier» vermittelt, sodass es bei den Treffen zu Oral- und Geschlechtsverkehr gekommen sei. Mehrere Hundert Franken seien dafür an das Mädchen gegangen, wie Kontoauszüge belegen, der Rest ging an die beiden Auftraggeber A. und J.. Dass die Ermittler so genau über die Vorfälle Bescheid wissen, geht auf die sichergestellten Dialoge in den Messenger-Apps zurück, zu einem erheblichen Teil aber auch auf die Aussagen der Betroffenen und auf die erfolgte Telefonüberwachung der beiden Beschuldigten.

Bereits 14 Monate U-Haft

In welchem Umfang das mutmassliche Vermittlungsgeschäft gelaufen ist, lässt eine weitere Episode erahnen, die im Entscheid des Obergerichts ebenfalls geschildert wird: Im Januar 2022 sprachen A. und J. über einen «grossen Job», der 5000 bis 10'000 Franken einbringen sollte, vermutlich handelte es sich um eine Gruppensex-Party, bei welcher die beiden Zuhälter für junge Frauen besorgt sein sollten.

Konto noch existent

Noch immer vorhanden ist das Snapchat-Konto, mit dem die beiden Beschuldigten A. und J. auf Mädchen-Jagd gegangen sind. Auf eine Anfrage bekommt man aber keine Antwort mehr. Jetzt wartet man auf den grossen Prozess.

Die beiden Beschuldigten hätten die Frauen «zu deren Schutz» bei der überwiegenden Mehrheit an die Treffen mit den Freiern begleitet, so geht es aus Aussagen hervor. J. selber habe für solche Einsätze 100 Franken erhalten, sieht sich aber als Angestellten von A., weist ihm also die Hauptschuld zu. J. hatte aber auch ausgesagt, dass ein Treffen organisiert und der Freier einfach «ausgenommen« worden sei – also ohne sexuellen Kontakt.

Im März 2022 schlugen die Ermittler dann zu und verhafteten A., der seither – also seit 14 Monaten – in Untersuchungshaft sitzt. Wie die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen bestätigt, wurde die Untersuchungshaft für A. erst kürzlich verlängert, Hauptgrund dürften Bedenken sein, dass es zu einer Kollusion kommen könnte, sprich: dass Zeuginnen eingeschüchtert, Beweise vernichtet oder Absprachen getätigt werden, um einer Verurteilung zu entgehen.

Wie die Staatsanwaltschaft weiter erklärt, sind die Ermittlungen in diesem Fall noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft spricht von «mehreren Verfahren». Klar ist, dass es hier um einen grossen Fall geht, das wird durch gewisse Eckwerte deutlich: Allein im letzten Sommer wurde die Befragung von fünf Mädchen in Auftrag gegeben. Der Fall könnte aber noch weitaus erheblichere Ausmasse erreichen: Den abschliessenden Überblick über den Kreis der Beteiligten kenne man noch nicht, zumal im Umgang mit Messenger-Diensten die Identifikation der Beteiligten jeweils über den Standortstaat des Anbieters zu erfolgen hat – das erklärt auch die Rechtshilfegesuche, die in diesem Zusammenhang laufen.

Der Prozess, über den die SN in der Ausgabe vom 1. Juni berichtet haben – es ging um sexuelle Handlungen mit einem Kind – , steht nicht im Zusammenhang mit dem Fall.

Für die Verteidigung von A. ist die Schaffhauser Rechtsanwältin Orly Ben-Attia verantwortlich, sie erkennt keine Schuld bei ihrem Mandanten, vielmehr kritisiert sie die lange Dauer der Verfahrens: «Nach 14 Monaten ist noch immer offen, wann es zur Anklage kommt, derweil im Kanton Zürich bereits Verhandlungen stattfinden», sagt sie mit Verweis auf den oben erwähnten Zürcher Fall von Anfang Woche. Sie ist von der Unschuld ihres Mandanten überzeugt: «Falls es überhaupt zu einer Verurteilung kommen sollte, wovon nicht ausgegangen wird, dann bestimmt nicht für einen jener Straftatbestände, die im Raum stehen», sagt Ben-Attia und meint damit den Vorwurf des Menschenhandels, Förderung der Prostitution und Pornografie. Darüber hinaus betont Ben-Attia den Anspruch einer beschuldigten Person auf ein rechts- staatliches Verfahren: «Ich erwarte, dass das Verfahren fair abläuft und dass ein Beschuldigter nicht damit rechnen muss, verurteilt zu werden, weil er schon so lange in Untersuchungshaft sitzt, und man ihn deshalb nicht entschädigen will oder sich das Gericht nach dem Aktenstudium bereits im Vorfeld zur Verhandlung eine abschliessende Meinung gebildet hat.»

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