Zu Hause herrschte ein Terror-Regime

Martin Edlin | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Durch Drohungen wurde Elen, die in Wirklichkeit anders heisst, von ihrem damaligen Ehemann am Verlassen der Wohnung gehindert - das ist Freiheitsberaubung, urteilte das Kantonsgericht. Symbolbild: SN-Archiv

Sie war die Gefangene ihres Mannes in den eigenen vier Wänden, eingeschlossen nicht hinter verriegelter Tür, aber durch Drohungen. Freiheits­beraubung, urteilte das Kantonsgericht am Mittwoch.

 «Er hat ein Klima der Angst und Kontrolle geschaffen», umschrieb Staatsanwältin Jasmine Stössel in ihrem Plädoyer das «Terror-Regime», das Alex in der ehelichen Wohnung in Schaffhausen gegenüber seiner Ehefrau Elen (wie hier die Namen des heute ­geschiedenen Ehepaares lauten sollen) aufgezogen hatte. Und die Anklageschrift formulierte deutlich, was dem heute 48-jährigen Alex zur Last gelegt wird: Er habe Elen während sechs Monaten – es war eine kurze Ehe, und sie liegt bereits einige Jahre zurück – untersagt, die gemeinsame Wohnung zu verlassen oder dann nur mit seiner Bewil­ligung beziehungsweise unter seiner Aufsicht und unter der Auflage, den Blick stets auf den Boden zu richten.

Das auf den ersten Blick Unbegreifliche: Zur Durchsetzung seines Regimes musste Alex nicht einmal die Türe abschliessen. Es genügten permanente Drohungen mit dem Tod und mit der Anwendung von Gewalt sowie systematische Beschimpfungen. Aber es kam ebenso zu physischen Übergriffen wie Schlägen, Tritten, ins Gesicht spucken, Übergiessen mit Wasser, ein Messer an den Hals setzen, Haare abschneiden oder an den Haaren über den Boden schleifen. Zudem zerschnitt er ihre Kleider und liess seine Wut an ihr gehörenden Dingen aus, warf ihre Medikamente fort oder zerschnitt ihre Identitätskarte, sodass sie über keinen Ausweis mehr verfügte. Elens Hilflosigkeit ist noch nachvollziehbarer im Wissen, dass sie als junge Erwachsene einen Hirnschlag erlitten hatte und seitdem sowohl in Sprache wie Beweglichkeit des rechten Armes gehandicapt ist. «Das subjektive Tatverhalten ist verwerflich», sollte es denn auch in der kurzen Urteilsbegründung heissen.

Die mit Druck verriegelte Tür

Das Motiv von Alex blieb allerdings auch an der gestrigen Verhandlung vor der Strafkammer des Kantonsgerichts unter Vorsitz von Andreas Textor unklar. Eine Mischung aus Eifersucht und Kontrollwahn, wie die Staatsanwältin vermutete. Alex, der bis auf ein gegenseitiges Anspucken und die Wassergüsse sämtliche Vorhalte bestritt («Alles falsche Behauptungen aus reiner Rache, weil ich die Trennung wollte; sie war es, die mich attackiert hat, nicht umgekehrt»), gab sich als die Unschuld selbst. Dies allerdings nicht ganz glaubwürdig: Seine Ehe mit Elen war bereits die dritte, und es gab schon früher in Deutschland, wo er lebte, Strafbefehle wegen häuslicher Gewalt. Doch die juristische Kernfrage lautete: Wenn Elen nicht durch «Schlüsselgewalt» am Verlassen der Wohnung gehindert wurde, ja, nicht einmal eine Spital-Abwesenheit von Alex zur Flucht nutzte … ist dann der Straftatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt?

Das ist Freiheitsberaubung

Ja, urteilte das Kantonsgericht, das Elena (sie trat als Privatklägerin und Auskunftsperson auf) als glaubwürdig und ihre Aussagen als glaubhaft einschätzte, auch aufgrund der Aussagen ihrer bei ehelichen Auseinandersetzungen anwesenden Tochter aus einer früheren Beziehung. Ganz im Gegenteil zu den Beteuerungen von Alex. Laut Gerichtspräsident Textor sei Elena unter dem Druck der massiven Gewalt-Androhungen und -Erfahrungen nicht zuzumuten, dass sie eine Flucht gewagt hätte. Ihre Angst vor der Gefahr der von Alex in Aussicht gestellten Folgen war zu gross. Und so wurde Alex der quali­fizierten Freiheitsberaubung schuldig ­gesprochen und – etwas milder als die Staatsanwältin beantragt hatte – zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt (ein Jahr minus 91 Tage erstandener Untersuchungshaft muss er abzusitzen, zwei Jahre wurden bedingt ausgesprochen mit dreijähriger Probezeit). Dazu kommt ein Landesverweis für acht Jahre: Alex, im Libanon geboren und auf der Flucht mit seinen Eltern durch viele Länder ­gezogen, ist heute deutscher Staats­angehöriger, lebt aber seit rund zwanzig Jahren in der Schweiz, nun schon viele Jahre ohne Ausübung seines gelernten Berufs und als Renten- und Sozialhilfeempfänger. «So hatte ich mir das nicht vorgestellt», lautete seine Antwort zwar auf die Frage des Gerichts, weshalb er sich schon so kurz nach der Heirat wieder von Elen trennen wollte. Dass man die Ehefrau nicht straflos wie eine Gefangene halten und sie als Eigentum betrachten darf, mit dem man nach Be­lieben verfahren kann … das sollte sich nun aber Alex mit diesem Urteil vorstellen können. 

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren