Kinderarztpraxen am Anschlag

Saskia Baumgartner | 
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Viele Kinder leiden aktuell unter Fieber und anderen grippalen Symptomen wie etwa Schnupfen und Husten. Bild: Keystone

Kinderärztinnen in der Region berichten über überfüllte Praxen. Grund sind nicht nur die vielen Infekte. Zunehmend verunsicherte Eltern sorgen ebenfalls für Mehrbetrieb. In Hausarztpraxen ist der Andrang ebenfalls gross.

Das Telefon ist besetzt. Auch beim zweiten Anruf und beim dritten. Wer in diesen Tagen eine Hausarzt- oder Kinderarztpraxis in der Region erreichen möchte, braucht teilweise Geduld. Manche Praxen sind am Limit.

So wie die Kinderarztpraxis von Bruno Bolt und Karin Walter-Lenggenhager in Neuhausen am Rheinfall. Im Winter sei stets viel los, sagt Walter-Lenggenhager. «Aber so wie jetzt war es noch nie. Es ist zu viel.» Das Telefon klingle durchgehend. Glücklicherweise habe man gute Medizinische Praxisassistenten, die am Telefon beraten und den Ansturm etwas abfedern könnten. Momentan komme jedoch alles zusammen. Neben «normalen» Infekten, Grippe, Corona, RSV – das derzeit etwas ­abnehme, kämen Kinder mit Windpocken, Scharlach, Hand-Fuss-Mund-Krankheit oder eitriger Mittelohrentzündung in die Praxis.

Eltern haben weniger Geduld

Isabelle Güss, die eine Kinderarztpraxis in der Stadt Schaffhausen leitet, erklärt, dass die Arbeitsbelastung diesen Winter früher als normal sehr hoch war. Die typischen Winterviruswellen hätten bereits im Oktober und November angefangen statt wie bislang im Januar. «Glücklicherweise kamen RSV und Influenza zeitlich etwas versetzt, sonst wäre die Situation noch viel schwieriger gewesen.» Weil die RSV-Welle höher war als in den letzten Jahren und sich das Virus in Familien, Kitas und ­Schulen stark verbreitete, sei es zu einer Überlastung der Spitäler gekommen. «Ich musste in meiner 15-jährigen Praxistätigkeit noch nie so viele Säuglinge unter drei Monaten ins Spital einweisen.» Die Kinderärztin berichtet auch, dass die Geduld der Eltern infolge der Pandemie deutlich ab- und die Verunsicherung zugenommen habe. Etwa bei längeren Wartezeiten oder wegen des öfter besetzten Telefons.

«Ich musste noch nie so viele Säuglinge unter drei Monaten ins Spital einweisen.»

Isabelle Güss, Kinderärztin

Auch Sandrine Bolli, Leitende Ärztin ­Pädiatrie und Neonatologie bei den Spitälern Schaffhausen, spürte in den letzten Wochen eine grosse Verunsicherung. Manche Eltern würden kurze Zeit nach Beginn von Fieber oder grippalen Symptomen den Notfall aufsuchen. Dabei seien grippale Infekte und Fieber bei Kindern üblich. Zwar sollte man mit jungen Säuglingen in den ersten Lebensmonaten bei Fieber rasch eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Aber bei Kleinkindern oder Kindergartenkindern könne zwei, drei Tage abgewartet werden, bevor man sich in eine Kinderarztpraxis begebe. Dies, sofern keine Atembeschwerden hinzukämen und es dem Kind nicht allzu schlecht ginge. Über die Gründe für die steigende Verunsicherung kann Sandrine Bolli nur mutmassen. «Vielleicht hat man verlernt, mit Infekten umzu­gehen?»

Weitere Infektionswelle in Sicht

Bolli sagt, dass der Andrang bei den Spitälern Schaffhausen vor allem im Dezember und über die Feiertage gross war. Problematisch war zusätzlich, dass schweizweit stationäre Betten für kranke Kinder fehlten. In Schaffhausen selbst stünden nur wenige Betten zur Verfügung. Die Kinder zu verlegen, sei wegen der Überlastung anderer Spitäler mit grösseren Kinderabteilungen sehr schwierig gewesen.

Sowohl Bolli als auch Güss sagen, dass sich die Situation seit diesem Monat leicht verbessert habe. Güss rechnet jedoch bald mit einer weiteren Infektionswelle. In der Regel ereigne sich diese zwei Wochen nach Schulstart.

Mangel an Ibuprofen-Saft

Problematisch ist in den Kinderarzt­praxen derzeit auch die Medikamenten­versorgung. So gibt es wegen Lieferengpässen kaum Ibuprofen-Sirup. Abhilfe scheint jedoch in Sicht, da Apotheken neu selbst fiebersenkenden Sirup für Kinder herstellen dürfen. Das Bundesamt für Gesundheit hat das gemäss Informationen des SRF kürzlich erlaubt. So soll etwa in der Apotheke zum Mohrenkönig in Stein am Rhein noch in diesem Monat Sirup hergestellt werden können.

Bei Fieber auch mal abwarten

Nicht nur in den Kinderarztpraxen der Region gibt es viel zu tun, sondern auch bei den Hausärztinnen und Hausärzten. So wie bei Martin Bösch. In seiner Praxisgemeinschaft in Beringen sei die Situation aktuell angespannt. Der Andrang sei dabei ähnlich wie in früheren Wintern vor der Pandemie. Allerdings handhabe man die Terminvergabe anders als vor Corona.

Neu erhalten Patienten, die am Telefon über Husten und Fieber klagen, nicht in jedem Fall einen Termin. «Wenn das Fieber 38,5 Grad nicht überschreitet und nicht länger als drei Tage dauert, keine Atemnot besteht und man nicht vorerkrankt ist, ist das in der Regel nicht nötig», sagt Bösch. Stattdessen rate man je nach Symptomen oft zum Abwarten und zum Covid-Test. Nach wie vor sei das Virus weit verbreitet. Bösch will so den Andrang verringern und zudem vermeiden, dass Coronainfizierte im Wartezimmer Diabetikern, Herz- oder Krebspatienten mit hohem Risiko begegnen. Nicht alle Patienten hätten Verständnis für das Vor­gehen. Es käme vor, dass Mitarbeiterinnen der Praxis sich einiges anhören müssen, so Bösch.

Der Schaffhauser Hausarzt Ueli Haag, eigentlich im Pensionsalter und auf der Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin, berichtet davon, dass er derzeit nicht einmal eine Stellvertretung finde. «Die Praxis ist pumpenvoll.» Pro Woche erhalte er mehrere Anfragen, ob er denn nicht neue Patienten aufnehmen könne.

Die aktuelle Belastung hängt gemäss Bösch und Haag, die auch Präsident und Vizepräsident des Vereins für Hausarztmedizin in der Region Schaffhausen sind, mit der generellen Überlastung und Nachfolgeproblematik bei den Hausärztinnen und Hausärzten zusammen. «Die Anzahl der Hausärzte ist weiterhin nicht ausreichend für eine Versorgung, vor allem in solchen Zeiten mit hohem Patientenaufkommen, wenn dann noch Medizinische Praxisassistenten fehlen oder krankheitshalber ausfallen», sagt Bösch.

 

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