«Scafhusun» als mittelalterliche Stadt der 500 Erker

Andreas Schiendorfer | 
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Im Pavillion im Park fand der Vortrag der Senioren Universität statt. Bild: SN-Archiv/Melanie Duchene

Die Vortragsreihe «Schaffhausen im Mittelalter» von Kurt Bänteli stiess an der Seniorenuniversität auf so grosses Interesse, dass Programmleiterin Erna Weckerle eine Fortsetzung in Aussicht stellte.

«Zum Mittelalter gibt es unglaublich viele Halbwahrheiten und ein grosses Unwissen», bilanzierte Kurt Bänteli, ausgewiesener Fachmann in mittelalterlicher Stadtarchäologie und profunder Kenner der schriftlichen Quellen. «Meine Motivation ist es, ein möglichst authentisches Bild des Mittelalters zu erforschen.» Und in der Tat, das neue Bild, das er von Schaffhausen zu zeichnen vermag, ist faszinierend und überraschend. In der Diskussion erklärte er beinahe beiläufig, dass der bekannte Turm am Ort beim Fronwagplatz nicht wie hundertfach beschrieben auf das Rittergeschlecht am Ort zurückgeht, sondern dass im Mittelalter mit «Ort» einfach eine Ecke bezeichnet wurde. Der Turm an der Ecke. Der Gegenbeweis dürfte schwerlich zu erbringen sein. Und selbst dann verbleiben noch so viele kleinere und grössere Ent­deckungen über das mittelalterliche Schaffhausen, wie sie auf keiner Kuhhaut Platz haben.

Pestfriedhof unter Bachturnhalle

Begonnen hat Bäntelis Vortragsreihe «Schaffhausen im Mittelalter. 1045–1600. Eine archäologisch-historische Zeitreise in vier Etappen durch die einstige Stadt der Superlative» im Januar 2020, und eigentlich hätte sie sofort abgeschlossen werden sollen. Nun sind wegen der modernen Pandemie drei Jahre daraus geworden. Dazu passend sprach Bänteli über die mittelalterliche Pandemie, die seit 1347 in Europa auftretende Pest. Sie sei in Schaffhausen «bislang sehr rudimentär untersucht» worden, meinte er kritisch – wobei man das leider von vielen Themen sagen muss. 1564 forderte die Pest 400 Todesopfer, so viele, dass die Stadt einen neuen Friedhof zwischen dem Agnesen- und Webertörli anlegte. Demnach befand er sich auf dem Areal der Bachturnhalle und wurde 1566 nochmals stark beansprucht, als sogar 700 Pesttote zu beklagen waren.

«Meine Motivation ist es, ein möglichst authentisches Bild des Mittelalters zu erforschen.»

Kurt Bänteli, Dozent an der Seniorenuniversität

Besonders verdienstvoll ist, dass Bänteli den Frauen im Mittelalter die Reverenz erweist und in seiner Häuserdatenbank 1250–1780 bei jedem Hausbesitzer auch den Namen seiner Frau aufführt. Dies ist fast immer möglich und zeigt bislang wenig beachtete familiäre Netzwerke auf. Nicht einfach wird es sein, die Schicksale dieser Frauen in Porträts zu veranschaulichen. In seinem Referat deutete er an, bei wem dies gelingen könnte. Die Schneidermeisterin Elsi Sporrer, offizielles Mitglied der Zunft zum Schneidern, liess 1460 die von einem Toggenburger Bigamisten schwer verletzte Elsa Strölin bei sich im Haus Löwengrube in der Münstergasse wohnen und bildete nachweislich Lehrtöchter aus. Und Anna Huber, die Witwe des Konrad von Fulach, leitete von 1467 bis 1500, also während 33 Jahren, die Vogtei Rüdlingen-Buchberg-Ellikon als Lehen des Abtes von Rheinau. Und es gelang ihr, die Vogtei nochmals für neun Jahre ihrer Tochter Annli von Fulach – Mitglied der Herrenzunft – zu sichern.

Die älteste Stadtansicht

Intensiv befasste sich Bänteli mit dem mittelalterlichen Seelenheil, so wies er beispielsweise auf das um 1470 entstandene Fresko mit der Kreuztragung Christi an der Westwand des St. Johann hin, welches die älteste Stadtansicht von Schaffhausen darstellt. Er zeigte nach einer 250-jährigen Durststrecke die prägenden Bauten der drei letzten Aller­heiligen-Äbte auf und verwies auf einen bislang nicht bekannten Versuch der Gegenreformation mit Heinrich Jestetten im Jahr 1550.

Und nicht zuletzt belegte er einen anhaltenden nachreformatorischen Bauboom in Schaffhausen, wo nun nach der Verstaatlichung der Kirchengüter viel Geld und Boden zur Verfügung stand. Beispielsweise schoss 1529/30 der ortsbildprägende neue Salzhof innert zehn Monaten in die Höhe. An fast jedem Haus entstanden zwischen 1549 und 1579 zeittypische Fenstererker. Allerdings hat sich von diesen nur einer, kaum erkennbar, am «Goldenen Adler», Unterstadt 8, erhalten. Trotzdem müsste man laut Bänteli von Schaffhausen als der Stadt der 500 Erker sprechen.

Zuletzt gaben Kurt Bänteli und Erna Weckerle bekannt: Fortsetzung folgt 2024.

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