Wenn der Lehrer im Unterricht Kebab isst

Andreas Kurz | 
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Weil es ihr Lehrer nicht schafft, die Lerninhalte zu vermitteln, bringen sich einige Schülerinnen und Schüler einer Sekundarklasse den Stoff zu Hause selbst bei. Symbolbild: Pexels

Wegen des Lehrermangels stellen die Schaffhauser Schulen zunehmend Lehrpersonen an, die nicht über das passende Diplom verfügen. Wie sich das auf den Unterricht und den Lernfortschritt der Kinder auswirken kann, schildern Eltern einer Sekundarklasse.

Die Nachricht, dass im Kanton Schaffhausen künftig nach einem Crashkurs praktisch jeder als Lehrperson angestellt werden kann, brachte für Annette V. (alle Namen geändert) das Fass zum Überlaufen. «Ich kann einfach nicht mehr still zuschauen», schreibt die Mutter in einem Mail an die SN. Wie es herauskommen kann, wenn unqualifiziertes Personal unterrichtet, weiss V. aus eigener Erfahrung. Ihre Tochter besucht derzeit eine Sekundarschulklasse in Schaffhausen und wird dort von einem Lehrer unterrichtet, der nicht über das eigentlich dafür notwendige Diplom verfügt. Der Lehrer habe zwar einen Hochschulabschluss, dieser habe aber kaum etwas mit den Fächern zu tun, die er unterrichte. Die Folge: «Er ist nicht in der Lage, Lerninhalte verständlich zu erklären», sagt V.

Einzelne Fachlektionen würden gar nicht abgehalten, stattdessen mache der Lehrer «Fotobearbeitung» mit den Schülerinnen und Schülern. Werden Fachlektionen abgehalten, dann weigere er sich, die Aufgaben zu erklären. Prüfungsinhalte würden im Unterricht nicht behandelt und die Prüfungskorrekturen kämen teils wochenlang nicht zurück, sagt V. Andere Eltern bestätigen ihre Schilderungen.

Lernen mit Youtube-Videos

Offenbar mangelt es nicht nur bei der Didaktik. So gehe der Lehrer während des Unterrichts regelmässig aus dem Schulzimmer und rieche anschliessend nach Tabakrauch, einmal habe er im Klassenzimmer sogar einen Kebab verdrückt, sagt Sonja B., deren Tochter dieselbe Klasse besucht. Das undisziplinierte Verhalten des Lehrers – teils fehle er auch unangekündigt und sei für die Lehrerkollegen nicht erreichbar – färbe auf die Schüler ab. Es sei sehr laut in der Klasse, von einem guten Lernklima könne keine Rede sein.

«Unsere Tochter lernt den Schulstoff seit zehn Monaten praktisch nur noch im Selbststudium.»

Annette V., Mutter einer Sekschülerin

Die Tochter von Sandra T. besucht ein Fach beim betreffenden Lehrer. Der Unterricht verlaufe chaotisch, sagt sie. Der Lehrer sei zwar ein netter Mensch, aber überhaupt nicht in der Lage, den Stoff zu vermitteln. Schülerfragen ignoriere er einfach. Gerade für schwächere Schüler sei das brutal. «Die Motivation geht komplett verloren», sagt T. Ihre Tochter nehme deshalb für dieses Fach jetzt Nachhilfeunterricht, so wie es bereits die halbe Klasse mache. Die Kosten dafür teile sie sich mit zwei anderen Eltern.

Einige Kinder bringen sich den Schulstoff auch einfach selbst bei, beispielsweise mit Youtube-Videos. «Unsere Tochter lernt seit nun mehr zehn Monaten den Stoff in den meisten Fächern praktisch nur noch im Selbststudium», sagt Annette V. Für die meisten Kinder in diesem Alter sei dies jedoch schlicht eine Überforderung. Sie spricht von einer sozialen Schere, die sich öffne. Eltern, die es sich leisten könnten, würden ihre Kinder in die Nachhilfe schicken. Schwierig sei es hingegen für Schüler aus sozial schwachen Familien oder mit fremdsprachigen Eltern, da diese sie beim Lernen nicht unterstützen könnten. Dies habe Konsequenzen, sagt V.: «Einige Klassengspänli werden wegen ungenügender Noten nicht in der Sekundarstufe bleiben können.»

V. sagt, sie habe sich mehrmals direkt an die Lehrperson und schliesslich auch an den Schulvorsteher gewandt. Dieser habe das Problem zwar anerkannt und ihr geschrieben, dass die erhofften Fortschritte hinsichtlich Unterrichtsführung, Didaktik und Pädagogik trotz eines erheblichen Mehraufwands hinter den Erwartungen zurückgeblieben seien. Er wisse derzeit aber nicht, was die Schule noch zusätzlich machen könnte, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. Der Schulvorsteher habe lediglich angeboten, dass die Schülerinnen und Schüler der betroffenen Klasse alle Aufgabenhilfen bei anderen Lehrpersonen besuchen dürften, damit zumindest ein Teil der Fragen geklärt und Lücken gefüllt werden könnten.

Für V. bleibt die Situation unbefriedigend. Sie befürchtet, dass sich die Situation in Zukunft noch verschlechtert: «Ich sorge mich sehr um die schulische und natürlich folglich auch berufliche Zukunft meiner Tochter.»

«So macht man den Beruf kaputt»

Wenig Hoffnung auf Besserung hat auch Sonja B., die selbst als Lehrerin arbeitet. Von den schlechten Lehrkräften direkt betroffen seien neben den Kindern immer auch die Lehrerkolleginnen und -kollegen, die das Ganze dann irgendwie auffangen müssten. Der vom Kanton geplante Crashkurs sei ein Affront gegenüber ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern, sagt sie. «Um Haare zu schneiden, muss man eine Lehre machen, aber Lehrer sein kann offenbar jeder. So macht man den Beruf kaputt.»

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