Unzufriedene Kitas spannen zusammen

Alexander Vitolić | 
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Sprecherin Gabriela ­Wichmann will die Position und die Interessen der Kindertagesstätten gegenüber dem Kanton stärken. Bild: Melanie Duchene

Die neu gegründete Interessengemeinschaft Kindertagesstätten Schaffhausen (IG Kitas SH) macht ihrem Unmut wegen zunehmend ­strenger Auflagen durch den Kanton Luft. Ein steter Abbau von Betreuungsplätzen sei die absehbare Folge. Der Kanton wehrt sich.

Im November 2021 haben sich die Schaffhauser Kitas zur Interessengemeinschaft Kindertagesstätten Schaffhausen ( IG Kitas SH) zusammengeschlossen. Auslöser für deren Gründung sei die Einführung des Gesetzes zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Vorschulalter und der dazugehörigen Be­treuungs­gutschriften-Verordnung, sagt die IG in einer Mitteilung von gestern Donnerstag. Konkret äussern die Verantwort­lichen darin ihre Unzufriedenheit über die Zusammenarbeit mit dem Kanton. Die IG Kitas SH soll der Branche Gehör verschaffen und setzt sich ein für verbesserte Rahmenbedingungen sowie eine Attraktivierung der Lehre und des Berufsbilds.

Im Wesentlichen geht es dabei um die kantonale Pflegekinderverordnung (PAVO). Sie mache den Kitas unnötig das Leben schwer, schreibt die IG Kitas SH. Die PAVO regelt die Bewilligung und Aufsicht für die Aufnahme von Minderjährigen ausserhalb des Elternhauses. Zu den Zielen der eidgenössischen PAVO gehören insbesondere die Schaffung einheitlicher Standards in der Fremdbetreuung und die Professionalisierung des Berufswesens. Darin werden unter anderem auch der Ausbau, die erforder­lichen Platzverhältnisse pro Kind, die Ausbildung der Fachkräfte und finanzielle Entschädigungen angeregt. Für die Umsetzung sind hingegen die Kantone selbst zuständig. So verfügt auch der Kanton Schaffhausen über eine Verordnung, die er nach Ansicht der IG Kitas SH allerdings zu strikt und – entgegen der eigentlichen Absichtserklärungen des Regierungsrats – zum Nachteil vieler Kindertagesstätten auslege, sagt Gabriela Wichmann, Sprecherin der Interessengemeinschaft, auf Nachfrage.

Umsetzung hat Reduzierung zur Folge

«Die Richtlinien tragen der Situation im Kanton nur ungenügend Rechnung», sagt Wichmann. So berücksichtigten die ge­forderten Platzverhältnisse (fünf Quadrat­meter pro Kind) die Nebenräume nicht, die in einer Kindertagesstätte ebenso zum Betreuungsraum gehörten wie die Küche oder der Ruheraum: «Eine Kindertagesstätte ist ja kein Aufbe­wah­rungsort.» Auch die Anforderungen an die Mitarbeitenden in Bezug auf die FaBe-Grundausbildung (ausschliesslich mit der Fachrichtung Kinderbetreuung) habe zur Folge, dass die Auswahl an Fachkräften unnötig eingeschränkt sei. In der Folge würde so auch die Anzahl Kita-Plätze stagnieren oder zurück­gehen.

In Betreuungsplätzen ausgedrückt, vertrete die IG zum jetzigen Zeitpunkt bereits über 90 Prozent der privaten Krippenplätze im Kanton, so Wichmann. Zuspruch erhalte sie aber auch von mehreren staatsnahen Einrichtungen und Horten.

«Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass ­die Mindeststandards jederzeit eingehalten werden.»

Nadine Wolfer, Erziehungsdepartement Kanton Schaffhausen

Einen ideellen Fürsprecher und finanzstarken Unterstützer hat die IG Kitas SH in der Industrie- und Wirtschaftsvereinigung Schaffhausen (IVS): Die Verfügbarkeit von genügend und finanziell attraktiven Kita-Plätzen ist ein elementarer Faktor zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, schreibt die IVS in einer Stellungnahme. «Die Angebote von privaten Institutionen bilden eine wichtige Ergänzung zu jenen der öffent­lichen Hand.» Doch genau diese kämen ­immer stärker unter Druck. Weil der Kanton grössere administrative Anforderungen stelle sowie unnötige Verschärfungen der kantonalen Pflegekinderverordnung umsetze. «Dieser Umstand erschwert insbesondere die Berufstätigkeit von Müttern, was vor dem Hintergrund des bestehenden und zunehmenden Fachkräftemangels schädlich für den Wirtschaftsstandort ist», kommentiert die IVS weiter.

Massstab für die Qualitätssicherung

Während das Erziehungsdepartement die Gründung der IG Kita SH grundsätzlich begrüsst, weil damit Anliegen und Ansprechpersonen konsolidiert würden, reagiert es auf Nachfrage der SN auch mit leichtem Unverständnis auf die Vorwürfe: «Seit der Einführung der kantonalen PAVO im Jahr 2019 wurden die Rahmenbedingungen nie verschärft und den Betreuungseinrichtungen wurde ausreichend Zeit für die Umsetzung gewährt», schreibt Nadine Wolfer, Leiterin Abteilung Kind Jugend Familie (KJF). Die Zahl der Betreuungsplätze sei sogar um 219 gestiegen. «Aktuell weist der Kanton 1126 Betreuungsplätze aus und weitere Ausbauten sind in diversen Gemeinden sowie der Stadt Schaffhausen in Planung», so Wolfer weiter. Leider sehe die IG nicht, dass die definierten Standards der Qualität dienten. «Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass ihr Kind wohl betreut und sämtliche Sicherheitsmassnahmen und Mindeststandards jederzeit eingehalten werden.»

«Wir bieten uns als Mediato­r und Ansprechpart­ner zwischen Kitas, Behörden und Verbänden an.»

Gabriela Wichmann, Sprecherin IG Kitas SH

Einig ist man sich darin: Es besteht Handlungsbedarf, denn ohne Kinder­tagesstätten geht es nicht. So stehen die beiden Parteien miteinander auch nicht auf Kriegsfuss: «Die IG Kitas SH bietet sich an als Mediatorin und Ansprechpartnerin zwischen den Kitas, Behörden und Verbänden», schreibt Wichmann. Dass sie bei der anstehenden Überarbeitung der Pflegekinderverordnung mit einbezogen würden, habe ihr Regierungsrat Patrick Strasser zugesichert. Schliesslich ziehe man letztlich am gleichen Strang.

IVS-Präsident Giorgio Behr formuliert es so: «Die professionelle Kinderbetreuung soll als das wahrgenommen und behandelt werden, was sie ist – ein massgeblicher Pfeiler des Wirtschaftsstandorts Schaffhausen.»

Audio
IG-Mitglied Seraina Chenna im Interview mit Radio Munot.

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