«Was stört dich daran?»

Zeno Geisseler | 
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Roland Müller (Grüne) und Herbert Hirsiger (SVP). Bild: Selwyn Hoffmann

Lichtverschmutzung ist nicht gut, da sind sich alle einig. Doch braucht es dagegen jetzt wirklich ein neues Gesetz? Über diese Frage stimmt der Kanton am 13. Juni ab. Dann kommt die Lichtverschmutzungsinitiative an die Urne. Ein Streitgespräch.

Im Fahrwasser der fünf grossen na­tionalen Vorlagen, die am übernächsten Sonntag an die Urne kommen, schwimmt auch ein einziges kantonales Schaffhauser Geschäft mit: Die Lichtverschmutzungsinitiative der Grünen. Der Kanton, so die Forderung, soll Aussenlichtanlagen umfassend reglementieren. Roland Müller, Kantonsrat und Präsident der Schaffhauser Grünen, verteidigt im SN-Streitgespräch die Vorlage. Sein Kontrahent ist SVP-Kantonsrat Herbert Hirsiger.

Ich möchte Sie bitten, kurz an den letzten Abend und die letzte Nacht zu denken. Gab es da ein Licht, das Sie besonders störte?

Herbert Hirsiger: Das einzige Licht, das mich störte, kam vom Scheinwerfer eines Autos, das mir entgegenkam.

Roland Müller: Bei mir ist es der Klassiker: Eine Leuchte vor dem Haus, die direkt ins Zimmer scheint. Ich schlafe zum Glück nicht in diesem Raum, trotzdem muss ich die Läden schliessen. Und dann zündet noch eine Lampe in der Nähe in die falsche Richtung.

Darum geht es

Am 13. Juni stimmt der Kanton Schaffhausen über die Volksinitiative «Mehr Raum für die Nacht (Lichtverschmutzungsinitiative)» der Grünen ab.

Die Initiative verlangt eine generelle Bewilligungspflicht für Aussenleuchten. Weiter macht sie Vorgaben unter anderem zu Betriebs­zeiten, Lichtfarbe und Lichtstärke. Zudem soll der Kanton eine Beratungsstelle einrichten. Die Regierung und eine Mehrheit des Parlaments lehnen die Initiative ab. Die Kantonsregierung argumentiert, dass es bereits entsprechende Bundesvorgaben und -richtlinien gebe. Eine generelle Bewilligungspflicht sei unverhältnismässig und eine kantonale Beratungsstelle zu teuer und unnötig.

Gegen störende Lichter will Ihre Licht­verschmutzungsinitiative, Roland Müller, nun vorgehen. Die Grünen reichten sie im Wahljahr 2020 ein. Von aussen wirkt sie etwas unausgegoren, unter anderem, weil Teile als rechtswidrig taxiert und für ungültig erklärt wurden. War die Initiative letztlich vor allem ein Wahlkampfvehikel?

Müller: Nein. Wir arbeiteten rund zwei Jahre an der Initiative. Die Frage mit dem ungültigen Passus ist keineswegs so eindeutig geklärt, wie es die Kantonsregierung darstellt. Wir wurden bei der Ausarbeitung des Textes von zwei Juristen begleitet. Sie finden nach wie vor, dass wir mit einer Einsprache gegen die Ungültigkeitserklärung gute Chancen gehabt hätten. Doch wir wollten die Initiative an die Urne bringen, statt ein teures juristisches Geplänkel anzureissen.

Hirsiger: Roland, was ist am bestehenden Gesetz falsch? Wieso kann ich nicht einfach zum Nachbarn gehen und mit ihm reden, wenn mich seine Lampe stört? Gegen die Grundfrage, haben wir zu viel Licht, wie können wir mit Licht besser und vorsichtiger umgehen, ist ja nichts einzuwenden. Ich habe auch kein Problem damit, wenn jemand eine Initiative lanciert, weil seiner Ansicht nach die geltenden Gesetze nicht ausreichen. Bei dieser Initiative ist das aber nicht der Fall. Es gibt ein Bundesgesetz, dazu ein kantonales Einführungsgesetz und eine Vollzugshilfe des Bundes, in der detailliert erklärt wird, wie mit Licht umzugehen ist. 130 Seiten, verständlich dargestellt, auch für Laien wie mich.

Müller: Das Bundesgesetz ist unklar formuliert. Die Rede ist etwa vom «Stand der Technik». Das ist schwammig und kann fast alles bedeuten. Wenn ich mit diesem Gesetz zum Nachbarn gehe und mich über seine Leuchte beklage, antwortet er mir vielleicht, dass er meine Frisur auch nicht so toll finde, und das war dann das Ende der Diskussion. Mit unserer Initiative können wir ein Gesetz mit genauen Vorgaben schaffen, das gibt Rechtssicherheit für alle Involvierten.

Hirsiger: Aber im Text der Schaffhauser Initiative gibt es auch einen Gummiparagrafen. Zuerst stehen da sieben Punkte mit genauen Angaben, etwa dass alles bewilligungspflichtig sei, dass es Zeitschalter brauche und so weiter. Dann kommt es: «Lichtemittierende Anlagen, wel­che der Orientierung, der Sicher­heit sowie dem Schutz und der Rettung dienen, sind von den obigen Vorgaben ausgenommen.»

Müller: Was stört dich daran?

Hirsiger: Ich weiss nicht, was das heisst, Roland. Ich komme langsam in ein Alter, in dem ich nicht mehr so gut sehe. Jetzt möchte ich vor dem Haus ein stärkeres Licht installieren, weil dies für mich Sicherheit bedeutet. Darf ich das oder nicht?

Müller: Mit «Sicherheit» ist nicht gemeint, dass Herbert Hirsiger den Heimweg findet. Wir sprechen hier von Blaulichtorganisationen, von der Polizei, vom Spital, von Leuchttafeln, die zum Notfall weisen und so weiter. Aber zum Vorwurf des Gummiparagrafen: Formuliert man eine Initiative genau aus, heisst es, sie sei zu eng und biete keinen Spielraum. Macht man sie zu weit, beklagen sich die gleichen Leute, sie sei zu unverbindlich. Ich finde es schade, wenn man nicht zur Sache diskutiert.

Hirsiger: Es gibt heute schon ein klares Gesetz, vier kurze Zeilen, wunderbar formuliert. Da steht alles drin, etwa, dass Leuchten für Mensch und Umwelt weder schädlich noch lästig sein dürfen.

Müller: Der Bund sagt jedoch auch, dass die Kantone für die Umsetzung zuständig seien, und genau da setzen wir an.

Hirsiger: Aber mit Regeln, die niemand versteht. «Die Farbtemperatur von Leucht­installationen im Aussenraum beträgt maximal 3000 Kelvin», schreibt Ihr. Das sind willkürliche Werte, wunderbares Futter für Rechtsanwälte.

Müller: Die 3000 Kelvin sind eine exakte Limite, das bestätigen auch Biologen. Die Farbtemperatur ist ein wichtiger Wert, welcher auch uns Menschen beeinflusst. Ob Du zu Hause Leuchten mit 7500 oder 5000 Kelvin installierst, ist Dir überlassen, Herbert. Ich rate Dir aber sehr davon ab. Selbst das Smartphone lässt sich so einstellen, dass es am Abend einen rötlichen ­Filter über den Bildschirm legt. So wird dem Körper gesagt, dass er langsam schlafen soll.

«Wir Grüne finden es wichtig, dass es verbindliche Regeln gibt, weil das Unklarheiten beseitigt.»

Roland Müller, Grüne

Sie haben die Vollzugshilfe des Bundes zu Lichtemissionen angesprochen, ein ausführliches Dokument mit genauen Erklärungen zur rechtlichen Lage, mit Hintergründen zur Biologie und vielen konkreten Beispielen. Was stört die Grünen daran?

Müller: Dass sie nicht verbindlich ist. Wir Grüne finden es wichtig, dass es verbind­liche Regeln gibt, weil das Unklarheiten ­beseitigt.

Im Kantonsrat wurde ein Gegenvorschlag verworfen. Sie, Herbert Hirsiger, haben heute betont, dass es nicht grundsätzlich falsch sei, sich über Lichtverschmutzung Gedanken zu machen. Wäre ein Gegen­vorschlag nicht eine Chance gewesen, jene Punkte, die Ihnen wichtig und sinnvoll erscheinen, aufzunehmen und andere, weitgehendere, wegzulassen?

Hirsiger: Die GLP hatte ja einen konkreten Vorschlag für einen Gegenvorschlag präsentiert. Darin war im Wesentlichen bloss die Forderung nach einer staatlichen Be­ratungsstelle gestrichen worden. Das war für uns einfach zu wenig, weshalb wir den Gegenvorschlag ablehnten.

«Wieso kann ich nicht einfach zum Nachbarn gehen und mit ihm reden, wenn mich seine Lampe stört?»

Herbert Hirsiger, SVP

Aber eben, Sie hätten einen Gegen­vorschlag ja mitgestalten können?

Hirsiger: Nochmals, das bestehende Gesetz ist ausreichend, es gab für uns schlicht keinen Grund für eine neue kantonale Re­gelung, und somit auch keinen Grund für einen Gegenvorschlag.

Roland Müller, selbst Sie von den Grünen sprachen sich im Parlament für einen Gegenvorschlag aus. Ist es nicht etwas seltsam, dass sogar Sie als Urheber der Initiative für eine Alternative zu Ihrer eigenen ursprünglichen Idee votierten?

Müller: So funktioniert die Politik. Lieber etwas weniger erreichen als gar nichts. Ob wir unsere Initiative bei einem Gegenvorschlag zurückgezogen hätten, hätte aber das Initiativkomitee zu entscheiden. Jetzt gibt es nur die Initiative, und wir stehen zu unserer Forderung. Wir haben ein Problem mit Licht. Gewisse Tiere essen oder paaren sich nicht, weil sie meinen, es sei Tag, Pflanzen wachsen nachts unter dem Kunstlicht. Es gibt einen starken Rückgang der Insekten und der Amphibien und es entstehen gesundheitliche Probleme der Menschen. Darum müssen wir handeln.

Hirsiger: Zeige mir ein Beispiel, das keine Altlast ist! Es gibt heute ein einfaches, klar verständliches Gesetz und vor allem ein ganz anderes Verständnis über den Umgang mit Licht als nur schon vor noch zwanzig Jahren. Es ist viel passiert.

Schaffhausen ist ein mehrheitlich bürgerlicher Kanton. Ist aus Ihrer Sicht, Herr Müller, ein Sieg an der Urne realistisch?

Müller: Das ist wie beim Fussball: Wir gehen auf den Platz mit dem Anspruch, zu gewinnen. Ob es uns gelingen wird? Ich hoffe es. Es ist aber kein Sieg für uns Grüne, sondern für die Natur, für die Menschen, für die Biodiversität.

Wäre bei einem Nein, Herr Hirsiger, das Thema für Sie erledigt oder wären Sie bereit, bei einem neuen Anlauf die Hand auszustrecken?

Hirsiger: Wie gesagt, in der Sache bringen wir viel Verständnis für das Anliegen auf. Es spricht absolut nichts dagegen, störende Lichter, etwa in einem Schaufenster, auszuschalten oder anders einzustellen. Das können wir aber jetzt schon. Dafür braucht es aber keine Initiative, die letztlich nur viel kostet und wenig bringt.

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