Lohnen sich Defibrillatoren in der Stadt überhaupt?

Ralph Denzel | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Sind AEDs Lebensretter - oder nur gut für die Beruhigung? Bild: zVg

Immer mehr Geschäfte und Firmen legen sich Defibrillatoren zu – auch die Stadt Schaffhausen schaffte sich schon solche Geräte an. Wie sehr können diese im Notfall überhaupt helfen?

Geht man in den Redaktionsräumen der Schaffhauser Nachrichten in Richtung Vordergasse, hängt über einem Abfallkübel ein neongelber Defibrillator. Benutzen mussten wir ihn noch nie, aber irgendwie ist es beruhigend zu wissen, dass so ein Gerät in Reichweite ist – oder etwa nicht?

Defibrillatoren können Leben retten – die Frage ist nur wann

In der Schweiz gibt es laut der Gesellschaft Schweizerische Herzstiftung 50‘000 Zwischenfälle wie Herzinfarkte, Hirnschläge und Herz-Kreislauf-Stillstände. Bei allen zählt jede Minute, denn die Überlebenschancen bei solchen Ereignissen sind sehr gering: «Bei einem Kammerflimmern verringern sich die Überlebenschancen des Opfers rapid, pro Minute um sieben bis zehn Prozent», sagt Peter Ferloni von der Schweizerischen Herzstiftung. So besteht nach vier Minuten zwar noch Chancen auf eine Erholung, aber «nach zehn Minuten ohne Herz-Lungen-Wiederbelebung muss meist der Tod festgestellt werden». Das ergibt ein sehr kurzes Zeitfenster bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand von gerade mal vier bis höchstens sechs Minuten.

Auch in so einem Fall sollen dann sogenannte externe, vollautomatische Defibrillatoren Lebensretter sein können. Dabei gibt es jedoch mehrere Probleme.

Einmal die Verfügbarkeit.

In der Stadt Schaffhausen sind diese Geräte an wichtigen Punkten positioniert, also unter anderem auf dem Munot, im Allerheiligen und etwa im Stadthaus. Vor allem aber durch die knapp bemessenen Zeiten, die ein Patient hat, wenn er «reanimationspflichtig» geworden ist hat, können diese Strecken teils zu lang sein um jemandem mit so einem Gerät zu helfen. Das Gesundheitsamt des Kantons sagt dazu: «Die Idee viele Defibrillatoren in der Stadt zu platzieren ist gut, aber die Umsetzung scheint viele Fragen aufzuwerfen.» So auch die Frage, ob das Geld für Defibrillatoren, nicht besser für die Vorsorge eingesetzt werden sollte. Dies würde laut Kantonsärztin Maha Züger derzeit schweizweit diskutiert werden. Schaffhausen sei in der Frage allerdings neutral. Sie stellt aber auch klar: «Defibrillatoren können Leben retten, aber man muss auch wissen, wie man mit diesen Geräten umgeht.»

Angst vor der Reanimation

Eigentlich sollten die Geräte absolut sicher sein. So sagt Rolf Artho, Präsident der Samariter Neuhausen: «AEDs (automatische, externe Defibrillatoren – Anm. d. Red.) lösen nur dann aus, wenn sie auslösen sollen. Also zum Beispiel bei einem sogenannten Kammerflimmern.» Das liegt vor, wenn das Herz nicht mehr im gewohnten Rhythmus schlägt. Dadurch kann nicht genug Blut gepumpt werden und im schlimmsten Fall der Tod eintreten. Peter Ferloni erklärt diesen Zustand so: «Diese plötzliche Rhythmusstörung kommt einem elektrischen Gewitter oder Chaos im Herzen gleich.» Eine Defibrillation stoppt das Kammerflimmern. «Aber bis ein Defibrillator verfügbar ist und auch nach erfolgreicher Defibrillation muss das Herz mit Herzmassage und Beatmung unterstützt und gestärkt werden.»

In solchen Fällen sind Defibrillatoren Lebensretter – allerdings können sie auch auch eine trügerische Sicherheit bieten, denn für einen Laien ist es oft nicht abschätzbar, was für ein Ereignis gerade vorliegt. So sagt Rolf Artho: «Bei einem kompletten Herzstillstand löst ein Defibrillator gar nicht erst aus.» Gehen in so einem Fall auf der Suche nach einem Gerät wertvolle Minuten verloren, kann das für den Patienten schwerwiegende Folgen haben.

Viele Menschen haben zudem Angst vor einer Reanimation, wie Rolf Artho und Maha Züger bestätigen: «Ein Grossteil der Bevölkerung hat eine sehr hohe Hemmschwelle eine Reanimation durchzuführen», sagt Maha Züger. Das ist nicht verwunderlich: Es ist ein grosser Unterschied, ob man einen Menschen reanimiert oder nur eine Puppe. Bei einem Menschen können bei einer Reanimation oft mehrere Rippen brechen, wie Peter Ferloni erklärt. «Der Mythos, dass man dabei eine Lunge oder ähnliches punktiert ist jedoch falsch.» Trotzdem erschrecke dies viele Ersthelfer – und die Angst davor schreckt auch viele ab. Trotzdem sollte das kein Grund sein, mit einer Reanimation aufzuhören: «Überlebt der Patient dank Eingreifen eines Helfers, werden eine oder mehrere gebrochene Rippen nicht seine Sorge sein. Wenn nichts gemacht wird, überlässt man den Betroffenen dem Tod», so Peter Ferloni.

Kaum Überlebenschancen – mit und ohne Defibrillator

Ein Defibrillator, wie sie in der Stadt verfügbar sind, sind meistens sogenannte Vollautomaten. Laut Nadine Koller von Procamed, einer der grössten Hersteller für Defibrillatoren in der Schweiz, seien die Geräte so gedacht, dass jeder, auch ein Laie, diese sofort bedienen können. «Der Defibrillator sagt genau, was man machen muss.»

Das «Swiss Registry of Cardiac Arrest» (SWISSRECA), eine Forschungsprojekt, dass die Überlebenschancen nach einem Herzstillstand untersuchte, fordert hingegen zusätzlich zu der Ausstattung mit Defibrillatoren, in der Schweiz müsse man «ein ausgeklügeltes regionales Netzwerk von Ersthelfern, welches die Wartezeit auf einen Rettungswagen bestmöglich überbrücken hilft» aufbauen. Das bedeute, dass vor allem die Ausbildung von Helfern intensiviert werden müsse. Denn laut dem Gesundheitsamt des Kantons kann auch ein schneller Defibrillatoreinsatz nicht garantieren, dass ein Mensch überlebt – wichtiger sei es daher, dass ein Ersthelfer weiss, was er tut und auch keine Hemmschwelle hat, dies zu tun.

Denn selbst wenn alles gut läuft, sind die Chancen für einen Patienten, der ausserhalb eines Krankenhauses einen Herzstillstand erleidet, nicht gut. «Tatsache ist, dass von der Alarmierung bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes durchschnittlich zehn bis zwölf Minuten vergehen», erklärt Peter Ferloni. Auch daher sei «nebst einer raschen Alarmierung von Rettungssanitätern die frühe Wiederbelebung mit BLS (Basic Life Support – lebensrettende Sofortmassnahmen – Anm. d. Red.) und auch eine Defibrillation bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand wesentlich für das Überleben der Opfer.»

Auch der Kardiologe Jörg Peter vom Kantonsspital Schaffhausen sagte uns in einem früheren Gespräch: «Nur fünf bis 13 Prozent der Personen, die ausserhalb des Spitals einen Herzstillstand erleiden und im Spital weiter behandelt werden, überleben bis zum möglichen Spitalaustritt.» Vorrangig muss daher klar sein: Man muss sich trauen, dass man hilft und darf nicht zurückschrecken. Defibrillatoren können ebenfalls Leben retten – aber letztlich muss man selbst auch bereit sein zu helfen.

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren