So wirkt sich der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche auf die Region aus

Ralph Denzel | 
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Die Kirche steckt in einer Krise - und auch in der Region kommt dies an. Symbolbild: Pixabay

Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise, auch wegen immer neuen Enthüllungen zum Thema Missbrauch. Auch in der Region kämpfen Geistliche um Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

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Diese Zahl belastet derzeit die katholische Kirche, nicht nur schweizweit, sondern auch in der Region Schaffhausen. Hinter dieser Zahl versteckt sich nämlich nicht weniger als die Zahl von Opfern, die sich seit 2010 bei betreffenden Stellen in der Schweiz gemeldet haben, weil sie Opfer von sexuellen Übergriffen im Bereich der Kirche wurden. Darunter befinden sich Erwachsene, die solche Erfahrungen im Kindesalter machen mussten, Erwachsene, bei denen Geistliche oder Mitarbeiter der Kirche übergriffig wurden und teils auch Mitarbeiter der Kirche, die ebenfalls Opfer wurden.

Es ist ein Skandal, der die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert. Sie stehe einer «unverschämten, aggressiven und zerstörerischen Offenbarwerdung des Bösen» gegenüber, wie Papst Franziskus dazu sagte. «Es handelt sich um abscheuliche Verbrechen, die auf dem Antlitz der Erde ausgemerzt werden müssen.»

Wie das funktionieren soll, darüber berieten vor Kurzem mehrere Bischöfe, Kardinäle und der Papst in Rom bei einer Anti-Missbrauchskonferenz. Das Medienecho war dabei einstimmig: Es geht um die Zukunft der katholischen Kirche und das bisschen Glaubwürdigkeit, welches diese Institution noch hat. SN-Italien-Korrespondent Peter Straub schrieb dazu: «Der Missbrauchsskandal mit weltweit Tausenden fehlbaren Priestern und Hunderttausenden Opfern hat die Kirche in einen Abgrund blicken lassen, der ihre Existenz bedroht.» Auch in der Region geht das Thema nicht spurlos an der Kirche vorbei.

«Das Thema beschäftigt uns alle»

Fragt man Pfarrer Urs Elsener vom katholischen Pastoralraum Schaffhausen-Reiat, wie das Thema sexueller Missbrauch in der Region wahrgenommen wird, wird er ernst: «Das Thema beschäftigt uns alle – und natürlich auch mich.» Über die Medien bekäme man immer wieder neue, skandalöse Enthüllungen mit. Allerdings muss er einschränken: «Ich werde nicht dauernd auf dieses Thema angesprochen, aber ich spüre, dass es die Leute ziemlich beschäftigt», so der Geistliche.

Das schlägt sich auch in den Austrittsgesuchen nieder, die immer wieder bei ihm auf dem Schreibtisch landen. «In diesem Jahr hatten wir bisher 18 Austritte aus der Kirche», gibt er an. In den vergangenen Jahren gab es knapp 100 in der Kirchgemeinde Schaffhausen pro Jahr. Oft war das Thema Missbrauch ein Grund, warum die Menschen der Kirche den Rücken kehrten. Urs Elsener findet das einerseits nachvollziehbar, aber gleichzeitig auch schade: «Man muss meiner Meinung nach stark zwischen Weltkirche und Ortskirche unterscheiden. Die Themen der Weltkirche beschäftigen mich letztlich ja nur am Rande.»

Das sehen allerdings viele Gläubige anders. Im Kanton Schaffhausen kommen im Schnitt auf 1000 Gläubige 12,7 Kirchenaustritte – alleine bei der katholischen Kirche. Zum Vergleich: 2010, als das ganze Ausmass des Missbrauchsskandals erst langsam publik wurde, lag die Quote noch bei 8,3 Personen pro 1000 Gläubige.

Das typische Opfer: Männlich und jung

Betrachtet man das Thema Missbrauch durch die katholische Kirche auf nationaler Ebene, fällt einem auf: Ein Grossteil der Vorfälle geschah zwischen den sechziger und siebziger Jahren. Das zeigen Erhebungen der Schweizer Bischofskonferenz. Allerdings fanden 25 Fälle von Übergriffen in den vergangenen sechs Jahren statt. Ein Grossteil der Opfer waren Buben, meistens im Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren.

Trotzdem ist das Thema Missbrauch und die Rolle der Kirche in der Jugendarbeit der katholischen Kirchen in Schaffhausen kaum ein Problem – wenn es angesprochen wird, dann eher von den Leitern der Jugendabteilungen und nicht von den Jugendlichen. Marco Martina, Jugendpastoral in Schaffhausen, bestätigt: «Ich habe das Gefühl, dass Jugendliche dieses Thema zwar in denen Medien zum Teil mitbekommen, jedoch die Verknüpfung mit der Schaffhauser Kirche nicht machen.» Weiter sagt er: «Wenn, dann bin ich derjenige, der dieses Thema aufgreift.»

Die Frage, wie es weitergehen soll mit der Kirche, ist dabei für die Geistlichen in der Region schwierig zu beantworten: «Jeder einzelne Mensch weiss, wie schwierig es ist, eigenes Fehlverhalten zuzugeben. Vor allem wenn sich Fehler häufen, wird es schlimmer und schmerzhafter, sobald man sie offenlegt oder sie von anderen aufgedeckt werden», sagt zum Beispiel Marco Martina. Darum tue sich die Kirche auch so schwer damit, den richtigen Umgang mit diesen Skandalen zu finden. «Es ist offensichtlich, dass die Weltkirche momentan damit kämpft.»

«Genug kann man da nie machen»

Es gilt nun zu sehen, inwieweit die Weltkirche dieses Thema aufarbeiten kann. In der Schweiz, ist Urs Elsener jedenfalls überzeugt, werde bereits viel gemacht. «Schon seit 2002 gibt es Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz zu diesem Thema.» Dass es nun auch so breit in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist dabei nur ein logischer Schritt für ihn, denn: «Genug kann man da nie machen.»

Ob die Missbrauchskonferenz dazu beiträgt, den Mitgliederverlust der Kirche zu stoppen, ist dabei auch für Experten nicht klar. Urs Elsener sagt: «Das Thema ist leider nicht so neu. Wir beschäftigen und jetzt schon seit fast 20 Jahren damit – die Austrittszahlen sind allerdings mehrheitlich gleich geblieben.»

Ähnlich sieht es Marco Martina: «Niemand von uns wird sich jemals vorstellen können, was so ein Missbrauch für einen Menschen bedeutet. Es sind viel zu viele Gräueltaten passiert. Jeder einzelne Missbrauch ist einer zu viel.» Er ist der Meinung: «Es ist enorm wichtig, dass alles, was man jetzt weiss, angegangen wird. Es ist nicht fehlende Barmherzigkeit, einen kirchlichen Mitarbeiter wegen eines gravierenden Fehlverhaltens sofort zu entlassen. Fehlende Barmherzigkeit ist es aber, Kinder und Jugendliche vor einem Missbrauch nicht zu beschützen. Das sind wir den Familien schuldig, die uns ihre Kinder anvertrauen.»

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