Mit Sprayereien auf der Suche nach der Traumfrau

Isabel Heusser | 
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Dem 40-jährigen Mann aus dem Zürcher Oberland, der sich gestern vor dem Kantonsgericht verantworten musste, wird eine ganze Reihe von Straftaten vorgeworfen. Bild: Selwyn Hoffmann

Er besprayte Wände mit «Liebesbäumen», fuhr bekifft Auto und transportierte Hanfpflanzen: Vor dem Schaffhauser Kantonsgericht stand gestern ein Mann, der eine Verschwörung witterte.

Die Verhandlung hatte eben erst begonnen, da erhob sich der Beschuldigte und wollte schon wieder gehen – so empört war er, dass er vor Gericht erscheinen musste. Zuvor hatte er Einzelrichterin Dina Weil mit Beschimpfungen eingedeckt. Dann aber, er hatte sich schon seine Jacke angezogen und sich zu seinem Wanderrucksack umgedreht, besann er sich um und setzte sich wieder. Um gleich zu betonen, dass er vier Mil­lionen Franken Schadenersatz vom Kanton verlange. «Ihr habt meinen Ruf und meine Ehre verletzt», schleuderte er Weil entgegen.

Dem 40-jährigen Mann aus dem Zürcher Oberland, der sich gestern vor dem Kantonsgericht verantworten musste, wird eine ganze Reihe von Straftaten vorgeworfen: mehrfache geringfügige Sachbeschädigung, Führen eines Motorfahrzeugs in fahrunfähigem Zustand, Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Verletzung der Verkehrsregelverordnung, Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges sowie mehrfache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes. Dafür beantragte die Staatsanwaltschaft in Schaffhausen eine unbedingte Geldstrafe von 45 Tagessätzen à 30 Franken plus eine Busse von 900 Franken. Ausserdem sollte eine frühere bedingte Strafe des Bezirksgerichts Hinwil in eine unbedingte Strafe umgewandelt werden. «Warum ist die Strafe so hoch? Ich habe doch kein Geld», sagte der arbeitslose Mann, der gemäss Strafbefehl als Künstler tätig ist.

«Nur ein paar wütende Bauern»

Konkret hatte der Mann in zwei Zürcher Gemeinden – das zuständige Gericht hatte den Fall an den Kanton Schaffhausen übergeben – insgesamt sechsmal mit grüner Farbe ein Baumsymbol und den Verweis auf eine Homepage gesprayt: mal an die Wand einer Bushaltestelle, mal auf einen Elektroverteilkasten. Eine betroffene Gemeindeverwaltung, die Zürcher Baudirektion sowie eine Privatperson verlangten dafür Schadenersatz und Genugtuung; diese Forderungen waren auf den Zivilweg verwiesen worden.

Er habe die Frau, die er liebe, gesucht, sagte der Mann zu Einzelrichterin Dina Weil, und habe gehofft, dass sie sich so bei ihm melde. «Es war ein Liebesbaum mit einer schönen Botschaft.» Die Homepage, deren Namen er gesprayt habe, zeige ausserdem, wie man die Welt schon am nächsten Tag retten könne. «Wieso sollte die Frau denn merken, dass sie gemeint ist?», fragte die Richterin. «Weil sie die schönsten grünen Augen hat», antwortete der Beschuldigte. Allerdings sei er sich nicht sicher, ob die Frau wirklich in der Gegend lebe, sagte der Mann: «Kollegen haben mir von ihr erzählt.» Warum die Sprayereien strafbar sein sollen, konnte er überhaupt nicht verstehen. Es seien ja nur ein paar Bauern wütend geworden.

Hanfpflanzen für einen Garten

Wütend war auch der Beschuldigte selbst – auf die Staatsanwaltschaft und die Polizei. «Ihr könnt schon blöd tun wegen so kleiner Sachen, aber dann kommen Klagen auf euch zu.» Gemäss Strafbefehl hatte er die Frist zur Abgaswartung seines Autos um neun Monate überschritten und war mit einem 50 Zentimeter langen Riss in der Frontscheibe gefahren. Ausserdem war er in Schaffhausen und an anderen Orten bekifft im Auto unterwegs gewesen; ein anderes Mal hatte ihn die Polizei bei ­einer Fahrzeugkontrolle mit Hanfpflanzen im Auto erwischt. Diese habe er für den Eigengebrauch bei «irgendjemandem» im Garten einpflanzen wollen, erklärte der Beschuldigte.

Dass er wegen seines Marihuana­konsums nicht mehr fahrfähig gewesen sein soll, glaubte er nicht. «Mich würde interessieren, auf welcher Basis das festgelegt wird», sagte der Mann, der teilweise wegen ähnlicher Delikte vorbestraft ist. «Ich muss das schwarz auf weiss haben und verlange ein ärztliches oder psychiatrisches Gutachten.» Marihuana zu rauchen, sei nicht schädlich. «Ich konsumiere genau so viel, damit ich gesund bleibe, ich bin einer der gesündesten Menschen überhaupt.» Trotzdem werde er wie ein asozialer Schwerverbrecher behandelt. Dabei sei er Hochleistungssportler. Die wahre Droge sei Alkohol. «Der wird überall getrunken, und niemanden stört es.» Dass er nun verurteilt werden solle, schmerze ihn.

Als die Einzelrichterin dem Mann zum Schluss der Verhandlung das letzte Wort gab, holte er noch einmal richtig aus. «Ihr seid nicht neutral und befangen», sagte der Beschuldigte. «So ­etwas habe ich noch nie erlebt.» An der mündlichen Urteilseröffnung wollte er nicht teilnehmen. «Ich kann ja sowieso nichts mehr daran ändern.» Die Urteilsbegründung wird dem Mann darum schriftlich zugestellt.

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