Abflug für «Envol» nach 20 Jahren

Julia Heiri | 
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«Dis donc!» wurde vom Erziehungsrat als Ersatz für «Envol» gewählt. Bild: Julia Leppin

Im Rahmen des Lehrplans 21 wird nach 20 Jahren ein neues Französischlehrmittel eingeführt. Lehrmittel und deren Gestaltung prägen­ ­Erinnerungen an die Schulzeit.

Ein weisses Buch, A4-Format, darauf abgebildet ein grosser, farbiger Schmetterling, der ein wenig an die Muster aus dem Rorschachtest erinnert: «Envol». Fast eine Generation Schaffhauserinnen und Schaffhauser hat damit in der Schule Französisch gelernt. Im August 2020 wird auf der Primarstufe das altehrwürdige Französischlehrmittel durch ein neues ersetzt. «Dis donc!» heisst es. Auf der Sekundarstufe I folgt die Umstellung zwei Jahre später. Französischlehrmittel, die vor «Envol» kamen und gingen, überdauerten jeweils nur rund ein Jahrzehnt in den Schaffhauser Schulen. Bei seinem finalen Abflug wird «Envol» ganze 20 Jahre auf dem Buckel haben.

Familie Dupont und Félix le chat

Das Schulfranzösisch mag bei vielen weit in den Hintergrund gerückt sein. Trotzdem blieb meist so einiges aus den Französischlehrmitteln haften. Findige Lehrbuchautoren erschufen fiktive Familien und Figuren oder auch Lieder, die geblieben sind. Wohl alle, die mit «Envol» Französisch gelernt haben, erinnern sich noch an Félix le chat oder das Lied «Salut, ça va?».

Mitte der Siebzigerjahre hatte der Bundesratskandidat und Erziehungsdirektor Christian Amsler Französisch in der Schule. «Den Namen des Lehrmittels weiss ich nicht mehr, aber die Familie Dupont ist mir in Erinnerung geblieben», so Amsler.

Auch Alexander Blunschi erinnert sich. Der Moderationsleiter bei Radio SRF 3 ist in Neuhausen zur Schule gegangen und hat in Schaffhausen die Kanti besucht. Französischunterricht hatte Blunschi Anfang der Neunzigerjahre mit «Echanges», dem Vorgänger von «Envol». «Eine Gruppe Jugendlicher waren die Hauptpersonen: René, Nicole, Pierre et Christine. Alles spielte in der Stadt Poitiers in Frankreich», sagt Blunschi und lacht: «Le magnétophone marche – das ist mir auch geblieben. Der Kassettenrekorder läuft.»

Klar ist Französisch wichtig.

Alexander Blunschi, Moderationsleiter SRF 3

Die Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz ist in den Sechzigern in Zürich zur Schule gegangen und erinnert sich daran, dass ihr Französischlehrer jeweils von sich aus Lieder oder lustige Gedichte in den Unterricht eingebaut hat. «Damals waren Schulbücher stärker auf reines Pauken ausgelegt als heute», sagt Munz. Mit diesem Lehrer habe Französisch Spass gemacht, obwohl sie nie besonders gut darin gewesen sei. «Ich bin halt einfach Mathematikerin», sagt sie lachend. Richtig Französisch habe sie erst im Welschland bei einem Praktikum gelernt.

Getestet in 30 Klassen

Gründe für den Wechsel des Französisch­lehrmittels gibt es mehrere. Einerseits sei das 20 Jahre alte «Envol» nicht mehr zeitgemäss, weshalb es auch beim Verlag auslaufe, sagt Markus Stump vom Erziehungsdepartement. Im «Envol» kommen beispielsweise noch Kassetten vor, während Smartphones inexistent sind. «Die gesellschaftlichen, technischen und didaktisch-pädagogischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre erfordern eine Anpassung und eine Modernisierung des Lehrmittels», erklärt Stump. Andererseits sei das Nach­folgelehrmittel «Dis donc!» sehr gut auf die Umsetzung des Lehrplans 21, welcher in Schaffhausen ab dem nächsten Schuljahr gilt, ausgelegt. Damit sei «Dis donc!» auch eine geeignete Unterstützung für die Lehrpersonen. Ein wichtiges Kriterium sei gewesen, dass in der Primar- und Sekundarschule mit dem gleichen Lehrmittel unterrichtet werden könne, so Stump. Zudem biete «Dis donc!» den Schülerinnen und Schülern auch digitale Lernmöglichkeiten.

«Dis donc!» wurde bereits während der Entwicklung durch die Lehrmittelverlage Zürich und St. Gallen während eines ­Jahres getestet und aufgrund von Rückmeldungen laufend angepasst. 30 Schulklassen aus 3 Kantonen waren daran beteiligt. Die Evaluation im Kanton Schaff­hausen dauerte wiederum ein Jahr und war Aufgabe einer Auswahlkommission, bestehend aus zwölf Französischlehrpersonen beider Stufen und verschiedener Schulen. Kriterien im Auswahlprozess deckten unter anderem folgende Bereiche ab: Pädagogik und Didaktik, Thematik und Inhalt, Form und Gestaltung. Nach der Evaluation erfolgte ein Bericht mit einer Empfehlung an den Erziehungsrat, welcher sich schliesslich für «Dis donc!» entschied.

Französisch aus Respekt

Für die Arbeit brauche er Französisch leider eher selten, weshalb er seit seiner Schulzeit sehr viel vergessen habe. «Das nervt mich, weil es schade ist», so Blunschi. Denn: «Klar ist Französisch wichtig», sagt er, «Englisch ist natürlich die Nummer eins, aber Französisch ist eben die Nummer zwei.» Gefühlt die Hälfte der Schweiz spreche Französisch, das merke man in der Ostschweiz vielleicht nicht so, aber je weiter man nach Westen gehe, desto präsenter werde Französisch, so Blunschi.

Martina Munz braucht Französisch regelmässig für ihre Arbeit in der Parlamentskommission. «In Bundesbern muss man als Deutschschweizer Französisch beherrschen. Verstehen ist da aber immer etwas wichtiger als sprechen.» Mit Sprache werde immer auch Kultur vermittelt, so Munz. Für den Zusammenhalt in der Schweiz sei es absolut zentral, dass man eine andere Landessprache lerne.

Damals waren Schulbücher stärker auf reines Pauken ausgelegt als heute.

Martina Munz, Schaffhauser Nationalrätin

Christian Amsler war früher Lehrer und hat Fünft- und Sechstklässler unterrichtet. Er war damals während seiner Ausbildung zum Französischlehrer im Neuenburger Jura tätig. «Spätestens wenn man national unterwegs ist, braucht man andere Landessprachen. Aber für mich hat es auch einfach mit Respekt zu tun, dass man in der französischen Schweiz Französisch spricht.»

Neue Schulbücher in fast allen Fächern: Was es kostet, und wer es bezahlt

Mit der Einführung des Lehrplans 21 im Kanton Schaffhausen ab dem kommenden Schuljahr wird auch ein Grossteil der Standardlehrmittel abgelöst. Federführend bei der Auswahl neuer Schulbücher, die auf der Höhe der Zeit sind, ist die kantonale Lehrmittelkommission: Sie wird aus der Lehrerschaft gewählt und evaluiert in unterschiedlichen fachlichen Zusammensetzungen die neuen Lehrmittel, die zur Auswahl stehen. Präsident Mario Hartmann: «Das sind keine leichtfertigen Entscheidungen. Die ausgewählten Lehrmittel sollten schliesslich für die nächsten ungefähr zehn Jahre Gültigkeit haben.» In vielen Fächern habe man ausserdem einige Jahre gewartet, bis klar gewesen sei, wann der Lehrplan 21 im Kanton eingeführt werde und welche neuen, auf seine Erfordernisse zugeschnittenen Materialen auf den Markt kommen würden. Viele jetzt verwendeten Lehrmittel sind denn auch schon leicht veraltet – wie das Französischlehrmittel «Envol» .

Linkslastiges Geschichtsbuch: Keine Empfehlung im Kanton

Das in acht Kantonen verwendete Geschichtslehrmittel «Gesellschaften im Wandel» des Zürcher Lehrmittelverlags hat im Kanton Schaffhausen den Kürzeren gezogen. Die kantonale Lehrmittelkommission hat sich letzte Woche stattdessen für das Konkurrenzprodukt aus dem Klett-und-Balmer-Verlag, «Zeitreise», entschieden. Es soll mit der Einführung des Lehrplans 21 ab dem kommenden Schuljahr im Kanton als Standardwerk für den Geschichtsunterricht eingesetzt werden. In verschiedenen Kantonen haben bürgerliche Parteien Vorstösse gegen «Gesellschaften im Wandel» eingereicht, weil das neu konzipierte Lehrmittel einseitig linke Anliegen darstelle, was die politische Neutralität im Unterricht verletze.

Mit diesen politischen Auseinandersetzungen habe der Entscheid der Schaffhauser Lehrmittelkommission jedoch nichts zu tun, erklärt deren Präsident Mario Hartmann. «Wir haben uns davon nicht irritieren lassen.» Durchgesetzt habe sich einfach das geeignetere Lehrmittel, sagt er. Bei der Evaluation sei eine Fachkommission aus zehn Lehrpersonen beteiligt gewesen und habe demokratisch entschieden. «Das Lehrmittel vom Klett-Verlag ist etwas konventioneller als das des Zürcher Lehrmittelverlags und hat einen klassischeren chronologischen Aufbau. Die Kommissionsmitglieder fanden, es decke die Bedürfnisse für die Praxis an Schaffhauser Schulen am besten ab.»

Für die Evaluation von drei potenziellen Lehrmitteln für den Geschichtsunterricht hat sich die Kommission ein Dreivierteljahr Zeit genommen und auch die Verlage eingeladen, ihre Produkte zu präsentieren und Fragen direkt zu beantworten. (lbb)

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