Opfer eines Verbrechens oder schon selbst ein Täter?

Daniel Zinser | 
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Werden Sie angegriffen, dürfen Sie aus Notwehr handeln. Doch wie weit dürfen Sie dabei gehen? Bild: Symbolbild Pixabay

Wer bestohlen oder angegriffen wird, der darf sich wehren. Will er sich dabei aber stets an das Gesetz halten, ist er dabei schnell eingeschränkt.

Stellen Sie sich folgende Situation einmal vor. Sie haben Ihr Auto gerade am Strassenrand parkiert, da fährt Ihnen ein anderer Autofahrer den Seitenspiegel ab. Dazu verkratzt er auch noch die ganze Vordertüre. Der Mann steigt aus, betrachtet den Schaden und entschuldigt sich bei Ihnen. Als es darum geht, die Polizei zu rufen oder Personalien auszutauschen, will Ihr Gegenüber aber plötzlich weg. Als er zurück in sein Auto steigen will, blockieren Sie ihm den Weg. Dürfen Sie ihn festhalten bis die Polizei kommt? Und wenn er sich dagegen wehrt?

Bevor wir zur Antwort auf diese Frage kommen, noch ein anderes Beispiel. Sie schlendern am Abend spät durch die Altstadt. Ein unbekannter Mann schlägt Ihnen völlig überraschend seine Faust ins Gesicht und klaut Ihnen danach Ihr Portemonnaie. Nachdem Sie sich erholt haben, verfolgen Sie den Täter und stellen ihn. Er will Ihr Geld aber nicht freiwillig herausgeben. Natürlich wollen Sie Ihr Portemonnaie aber wieder haben, aber dürfen Sie dabei Gewalt anwenden ohne selbst in Konflikt mit dem Gesetz zu geraten?

Keine einfache Antwort 

Eines sei schon im Vorherein gesagt: Eine einfache und klare Antwort auf diese Fragen gibt es nicht. Für Gesprächsstoff sorgte dieses Thema vor rund einer Woche in Konstanz, als ein flüchtender Dieb in der Konstanzer Fussgängerzone durch Passanten gestoppt wird. Der Südkurier beschrieb die Szene wie folgt:

Es ist gegen 18 Uhr als ein Mann von der Markstätte kommend um die Ecke in die Rosgartenstraße rennt. Verfolgt wird er vom Ladendetektiv eines Drogeriemarkts, der ihn beim Diebstahl eines Parfums beobachtet hatte. Ein Passant schlägt dem flüchtenden Ladendieb seine Umhängetasche ins Gesicht, der mutmaßliche Ladendieb gerät ins Stolpern. Der Ladendetektiv holt den Flüchtigen ein, ringt ihn mit mindestens einem weiteren Passanten zu Boden und hält ihn fest, bis die Polizei eintrifft.

Dürfen die das?

Die Frage, die sich auch der Südkurier stellte, ist folgende: Dürfen die das? Die Antwort ist schwammig. In Deutschland gilt das Jedermann-Festnahmerecht. Heisst einfach ausgedrückt: Wenn es die Situation erfordert, darf jedermann eine Person festhalten, die gegen das Gesetz verstossen hat. Dies aber nur, bis die Polizei kommt. Und wie ist es in der Schweiz? Eine Anfrage bei der Medienstelle der Schaffhauser Polizei ergibt die praktisch identische Antwort: «Grundsätzlich sind Sie als Privatperson gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung berechtigt, eine Person vorläufig festzuhalten, wenn Sie diese bei einem Verbrechen oder Vergehen auf frischer Tat ertappt haben», erklärt Cindy Beer, Fachperson Öffentlichkeitsarbeit bei der Schaffhauser Polizei.

So gesehen wäre man also im ersten von unseren Fallbeispielen im Recht, wenn man sein Gegenüber festhalten will. Aber – und nun kommt ein wirklich grosses «aber»: Gewalt dürfe dabei nur als äusserstes Mittel angewendet werden und müsse verhältnismässig sein, erklärt Cindy Beer. Heisst, Sie können den Autofahrer, der ihr Auto beschädigt hat, zwar festhalten, wehrt sich dieser aber zu stark, sind Ihnen auch hier die Hände gebunden, wenn Sie weiter nach Gesetz handeln wollen.

Verfolgen Sie den Täter, ist es keine Notwehr mehr 

Kommen wir zur Lösung unseres zweiten Fallbeispiels. Hier könnte man ja auf Notwehr plädieren. Naja, falsch gedacht. Studiert man nämlich das Strafgesetzbuch, ist Notwehr dort ziemlich genau definiert:

Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren.

Auf unser Fallbeispiel angewendet, bedeutet das also, dass Sie zwar im Moment des Überfalls auch zurückschlagen dürfen um sich selbst zu verteidigen, nicht aber dem Täter nachrennen und selbst Gewalt anwenden. Da Sie ja schliesslich nach seiner Flucht nicht in unmittelbarer Gefahr sind. Ein kleines Ringen um Ihr Portemonnaie dürfte zwar noch drinliegen, wollen Sie hier aber auf der sicheren Seite bleiben, hilft Ihnen bei stärkerer Gegenwehr wohl nur ein Anruf bei der Polizei.

Der Eigenschutz hat oberste Priorität

So oder so. Man solle sich auf keinen Fall selbst in Gefahr bringen. So hat das auch die Schaffhauser Polizei am liebsten, wie Cindy Beer erklärt: «Der Eigenschutz soll stets höchste Priorität haben. Niemandem ist gedient, wenn man sich bei einer solchen Aktion selbst in Gefahr bringt.» In jedem Fall sei unverzüglich die Polizei zu informieren.

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