Mit neun Giftschlangen unter einem Dach

Julia Heiri | 
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Fredy Schibli und seine Schwarzschwanz-Klapperschlange. Bild: Selwyn Hoffmann

Fredy und Susann Schibli teilen ihr Heim mit neun Giftschlangen. Dies ist nur unter Einhaltung verschiedener Sicherheitsvorkehrungen und einer Bewilligung möglich - und nicht ungefährlich.

Vielleicht liegt’s an den Erwartungen, die man als Laie an gefährliche Schlangen hat, aber die Klapperschlangen wirken überraschend klein. Auf den ersten Blick scheinen die Terrarien sogar leer. Schaut man aber genau hin, kringeln sich die giftigen, ungefähr 70 Zentimeter langen Reptilien, gut getarnt im rotbraunen Sand. Seit mehr als 35 Jahren hat Fredy Schibli, der von Beruf Gefängnisaufseher ist, bereits Schlangen. «Eigentlich seit ich damals aus meinem Elternhaus ausgezogen bin. Ich wollte schon immer Schlangen halten, meine Mutter war aber dagegen», erinnert er sich.

Im ersten Stock des Hauses der Familie Schibli in Beringen stapeln sich in einem eigens dafür eingerichteten Raum einige leere und sieben bewohnte Terrarien. In diesen leben neun Klapperschlangen unterschiedlicher Unterarten. «Die Tiere faszinieren mich einfach», sagt Fredy Schibli, «sie sind wunderschön.» Auch sei er ein grosser Fan von Nordamerika, der Heimat dieser Schlangenart.

Routine und Konzentration

Der Aufwand an Zeit und Geld könne für Schlangen- und Reptilienhalter ziemlich hoch sein. Vor allem zu Beginn müsse man die ganze Einrichtung finanzieren. Aber da er seit über 30 Jahren Schlangen halte, sei seine Ausrüstung längst komplett. «Sogar als ich noch um die 100 Schlangen hatte, betrug der Zeitaufwand nicht mehr als ein paar Tage pro Monat», erklärt er, «eine Maus alle drei Wochen, mehr fressen die nicht.» Einzig der Wasserwechsel alle paar Tage könne sich, wenn man viele Tiere ­besitze, etwas hinziehen. Nacheinander überall aufschliessen, altes Wasser raus und ­frisches rein, das brauche Routine und Konzentration. «Man würde das niemals alkoholisiert oder mit einer starken Grippe machen», so Schibli, «Man muss sich einfach bewusst sein, dass diese Tiere giftig sind, damit ist nicht zu spassen.»

Umziehen mit Giftschlangen

Seit sieben Jahren wohnen Susann und Fredy Schibli in ihrem Haus. «Der Umzug war wohl schon etwas ungewöhnlich», sagt Susann Schibli und lacht. Die gelernte Tierpflegerin war damals noch Besitzerin von 36 Vogelspinnen, die auch mit mussten. «Die Schlangen wiederum habe ich in Kisten verpackt und im Auto transportiert», sagt Fredy Schibli. Es sei dabei wichtig, diese doppelt oder gar dreifach zu sichern. «Zuerst packt man die Schlange in ein Säckchen, damit sie nicht entwischen kann, falls die Kiste, beispielsweise bei einem Unfall, beschädigt wird», erklärt Schibli. Danach werde die Kiste gut verschlossen und teilweise noch in eine weitere Kiste verstaut. «Am Schluss muss man gut sichtbar anschreiben, was für ein Tier drin und ob es giftig ist.»

Gehen Schiblis in die Ferien haben sie ein Abkommen mit einem befreundeten «Terrarianer» geschlossen. So bezeichnen sich Halterinnen und Halter all jener Tiere, die in Terrarien leben. Man hilft sich und tauscht die neuesten Informationen aus. Das kann sogar so weit gehen, dass man sich vor der Fütterung anruft. Wenn nach einer abgemachten Zeitspanne kein Rückruf erfolgt, löst der andere den Notruf aus. Gerade bei Alleinstehenden «Terrarianern» mit Gifttieren, sei das nicht unüblich, erklärt Susann Schibli.

«Man würde das niemals alkoholisiert oder mit einer starken Grippe machen.»

Fredy Schibli, Giftschlangenhalter und Gefängnisaufseher

Für die Haltung von Giftschlangen gibt es in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland klare Regeln. Jede Person, die Giftschlangen und sonstige Gifttiere halten möchte, muss eine Bewilligung beantragen. Nach eingehender Prüfung verschiedenster Umstände (siehe unten) und dem Absolvieren eines Kurses, wird für höchstens zwei Jahre eine Bewilligung erteilt. Das bedeutet viel Papierkram. «Noch aufwendiger wird es, wenn man mit den Schlangen an eine ausländische Reptilienbörse reisen will», sagt Fredy Schibli. «Grundsätzlich bin ich aber froh, dass hier in der Schweiz so genau hingeschaut wird», sagt er. «Wenn ich mir vorstelle, jeder könnte einfach diese Tiere halten, das wäre ein Problem», so Schibli weiter. Es gehe ihm dabei um die allgemeine Sicherheit, aber auch um das Tierwohl. ­Susann Schibli ergänzt: «Es gibt Leute, die sich viel zu wenig einlesen, bevor sie sich ein anspruchsvolles Tier zulegen.» Da gehe es oft gar nicht mehr um das Interesse am Tier an sich, sondern darum, mit dessen Gefährlichkeit zu prahlen. «Bei Schlangen gilt dasselbe wie bei Hunden: Immer der Halter ist das Problem und niemals das Tier», erklärt Susann Schibli.

Fredy Schibli erzählt, man habe früher noch keinen Kurs für die Bewilligung benötigt. Den habe er nach rund 30 Jahren Giftschlangenhaltung noch nachholen müssen. «Der Kursleiter hat seine Biss­narben herumgezeigt und behauptet, dass Leute ohne Bissspuren keine richtigen Schlangenhalter seien.» Fredy Schibli lacht. Er habe den Kurs dann bei einem anderen Kursleiter beendet, da er sich das nicht ­anhören wollte. «Ich hatte noch nie einen Biss», sagt er und zuckt mit den Schultern.

Ein Beil mitnehmen

Nicht alle Schlangengifte schaden in gleicher Weise, und nicht alle Schlangen sind gleich gefährlich. «Eine Schwarze Mamba würde ich nicht wollen, die ist unglaublich schnell, schlau und sehr giftig», sagt Fredy Schibli. Früher habe er aber mal zwei ­Gabun-Vipern gehabt. Beisst diese Schlangenart, stirbt das gebissene Körperteil innert 15 Minuten ab. Er fügt an: «In Terrarianer-Kreisen erzählt man sich, dass man ein Beil zur Fütterung mitnehmen sollte, falls sie einen in den Finger beisst.» Mit dem Beil könne man sich diesen abhacken, bevor sich das Gift im Körper verteile. Das sei aber nur ein Schauermärchen. Sollte es doch mal zu einem Biss kommen, sind die Schiblis vorbereitet. Sie zahlen einen Jahresbeitrag von 150 Franken ans Serum-Depot in Münsterlingen. Dort wird sichergestellt, dass das entsprechende Gegengift der von ihnen ­gehaltenen Schlangenart jederzeit zur Verfügung steht. Zu dieser Massnahme ist ­jeder Giftschlangenhalter in der Schweiz verpflichtet.

Um Vorurteile abzubauen, haben Fredy und Susann Schibli ihren Nachbarn die Schlangen gezeigt und festgestellt, dass die Angst verschwindet, sobald man über alle nötigen und zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen informiert. «Ein Freund von mir weigert sich trotzdem noch immer zu uns nach Hause zu kommen», sagt Fredy Schibli. Das mache ihm aber nichts aus, es sei ja jedem selber überlassen, sagt er und zuckt mit den Schultern.

«Wir müssten ziemlich viele Menschen evakuieren»

Nur drei Personen im Kanton Schaffhausen haben eine Bewilligung zur Haltung von Giftschlangen. Andere Gifttiere werden in Schaffhausen im Moment nicht gehalten. Insgesamt halten diese drei Personen ungefähr 60 Giftschlangen von etwa 25 verschiedenen Giftschlangenarten. Laut Fritz Fankhauser, Veterinärpolizist bei der Schaffhauser Polizei, gibt es immer wieder Schlangen-Junge oder neu erworbene Tiere, weshalb diese Zahlen variieren können. Ende der 90er-Jahre habe es einen ziemli- chen «Schlangen-Boom» gegeben, so Fankhauser. Damals hatten im Kanton ungefähr 25 Person eine Bewilligung zur Haltung von Gift- oder Riesenschlangen.

Keine Beziehung möglich

Hat jemand noch keine Bewilligung, muss diese Person ein Gesuch stellen. Anschliessend sucht Fankhauser das Gespräch, fragt nach Beweggründen und Erfahrung im Umgang mit Reptilien. «Bereits Erfahrung mit nicht bewilligungspflich- tigen, ungiftigen Schlangen zu haben, ist sehr wichtig», sagt Fankhauser. Sei dies bei der gesuchstellenden Person nicht der Fall, rate er grundsätzlich vom Erwerb der Giftschlangen ab. «Ich empfehle dann jeweils, zuerst drei bis vier Jahre lang un­giftige Schlangen zu halten», so Fankhauser. Es gebe dann viele, die nach einigen Monaten merkten, dass Schlangen doch nicht so «ihr Ding» seien. Schlangen zu halten, könne enttäuschend sein. «Anders als bei einem Hund ist es unmög-lich, zu Schlangen eine Beziehung aufzubauen», erklärt Fankhauser, selbst Halter ungiftiger Schlangen. Bevor die Bewilligung schliesslich erteilt wird, muss die Person einen oder mehrere Kurse besuchen und einen Sachkundenachweis erbringen. Als Nächstes wird die Aus­rüstung kontrolliert. Terrarien müssen abschliessbar sein, aber auch ­ent­sprechend der Art eingerichtet, ­beheizt, belüftet oder befeuchtet ­werden. Weiter müssen die Terrarien in einem abschliessbaren Raum ­stehen, unter dessen Tür darf es ­keinen Spalt haben, und die Fenster müssen mit Fliegengittern gesichert sein.

Wurde die Bewilligung erteilt, können jederzeit unangemeldete Kon­trollen erfolgen. Die Bewilligung ist höchstens zwei Jahre gültig und muss laufend erneuert werden. Sie kann aber auch auf ein Jahr oder ein halbes reduziert werden. Dies geschieht vor allem, wenn bei Kontrollen Mängel festgestellt wurden, die zuerst behoben werden müssen.

Worst-Case-Szenario

Laut Fankhauser hat es im Kanton Schaffhausen erst dreimal einen Vorfall mit einer in Gefangenschaft lebenden Giftschlange gegeben. Einen in den 60ern, zwei sind etwas weniger lange her. Einen Todesfall gab es aber noch nie. «Es spricht für unsere Regeln, dass wir eine so gute Statistik haben», so Fankhauser. Auch sei es heutzutage eher selten, dass man an einem Schlangenbiss sterbe. Es komme auf die individuelle allgemeine Verfassung an, die Durchblutung spiele eine Rolle und wo man ­gebissen werde. «Je weiter weg vom Herzen, desto besser», so Fankhauser. Dann sei es wichtig, die Person nicht zu bewegen, um die Verteilung des Gifts im Körper nicht zu beschleunigen. «Meist wird man in der Schweiz von der Rega ins nächste Spital geflogen, wo man dann das Serum erhält», erklärt Fankhauser weiter.

Falls trotz aller Vorkehrungen ­einmal eine Giftschlange entwischt, gibt es natürlich einen Notfallplan. «Würde das im Sommer passieren, müssten wir in einem dicht besie­delten Gebiet wohl ziemlich viele Menschen evakuieren», erklärt Fank­hauser. «Im Winter ist es bedeutend weniger prekär. Da Schlangen Wechselwarmblüter sind, würden sie draussen nicht allzu weit kommen und irgendwann einfach erstarren und sterben.» (jhe)

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