Der Unbequeme von aussen

Isabel Heusser | 
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Nach der Abzocker-Initiative trat er aus dem Schatten seines politischen Ziehvaters: Claudio Kuster. Bild: Julia Leppin

Als Lehrling half er seinem Arbeitgeber Thomas Minder, Leserbriefe zu verfassen. Heute setzt Claudio Kuster eigene politische Themen – und eckt damit an.

Wer in der Politik gehört werden will, muss laut sein. Das musste auch Claudio Kuster feststellen. Sieben Jahre lang hat er sich für die Abzocker-Initiative engagiert, hat Unterschriftenbögen verschickt, Sammelaktionen in der ganzen Schweiz koordiniert, Fachliteratur gewälzt, Managerlöhne verglichen. Alles im Dienste seines Chefs, Thomas Minder. Dieser lancierte die Initiative 2006 gemeinsam mit Kuster, in der Schweiz kannte man sie aber als «Minder-Initiative». Kuster hielt im Hintergrund die Fäden zusammen. Wenn sein Name fiel oder er für Minder einen Anruf entgegennahm, fragten die Leute: «Claudio wer?» «Das hat mich schon geärgert», sagt der Schaffhauser. «Es war auch meine Initiative.» Laut wird er immer noch nicht. Gehört wird er heute trotzdem.

Dabei sei es eigentlich nie sein Ziel gewesen, in der Politik aktiv zu werden, sagt Kuster. «Ich bin da reingerutscht.» Am Anfang stand: Thomas Minders Firma Trybol. Im Jahr 2004 begann der damals 24-jährige Kuster eine abgekürzte kaufmännische Lehre, zuvor hatte er ein Informatikstudium an der ETH abgebrochen («zu viel Mathematik»). Minder, damals noch nicht im Ständerat, brauchte nicht nur einen Büroangestellten, sondern auch einen Assistenten. Sein Lehrling machte nicht nur Buchhaltung, sondern half Minder auch, Leserbriefe mitzuverfassen. Über Managerlöhne wusste er damals noch nicht viel. «Aber ich fand es toll, wie er den Abzockern auf den Schlips trat.»

Mal schnell eine Initiative starten

Kurz nach Abschluss der Lehre folgte dann Minders Anfrage, die den Grundstein für Kusters politisches Engagement bildete. «Minder sagte, er wolle schnell eine Volksinitiative aufgleisen, und fragte mich, ob ich drei Monate Zeit hätte, mich zu engagieren.» Kuster hatte. Aus den drei Monaten wurden sieben Jahre. 2008 kam die Initiative zustande; 2011 wurde Minder, damals noch ein politischer Neuling, als Parteiloser in den Ständerat gewählt. Und 2013 nahmen die Schweizer Stimmberechtigten die Abzocker-Initiative mit einem Ja-Stimmenanteil von 67,9 Prozent an. Eine politische Sensation. «Damals habe ich gesehen, dass man auch als Parteiloser etwas bewirken kann.»

Persönlicher Mitarbeiter von Thomas Minder ist er immer noch. Doch Kuster, parteilos, ohne politisches Amt, ist aus dem Schatten seines politischen Ziehvaters herausgetreten und selbst aktiv geworden. Jüngst hat er zusammen mit der AL das Referendum gegen die Verordnung über das Öffentlichkeitsprinzip der Stadt Schaffhausen ergriffen. Mit Erfolg: Sie wurde am 23. September an der Urne abgelehnt.

Zwei Initiativen hängig

Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt nicht, Kuster hat mehrere politische Projekte am Laufen. Demnächst wird das eidgenössische Parlament die von ihm mitlancierte Initiative «Mehr Transparenz», welche die Offenlegung der Parteifinanzierung fordert, vorberaten. Auf kantonaler Ebene wurde kürzlich die Boden-Initiative eingereicht, die zusätzliche raumplanerische Verschärfungen im Baugesetz fordert. Neben Kuster im Komitee sitzen Kantonsrat Patrick Portmann (SP), Nationalrätin Martina Munz (SP) und Simon Furter, Leiter der WWF-Geschäftsstelle Schaffhausen. Und auf kommunaler Ebene fordert er in Schaffhausen mittels einer Volksmotion die Einführung von frankierten Stimmcouverts. Daneben arbeitet er Teilzeit bei der Trybol, unterrichtet Informatik und Wirtschaftskorrespondenz am KV, bloggt unter dem Titel «Napoleon’s Nightmare» über staatspolitische Themen und schreibt als Gastautor in verschiedenen Zeitungen.

Auch heute noch agiert Kuster meist im Hintergrund. Im persönlichen Gespräch wirkt er zurückhaltend und bescheiden, er hat eine ruhige Stimme, redet sich auch bei Lieblingsthemen nicht in Rage. Seine wichtigsten Anliegen sind grundsätzlicher Natur: direkte Demokratie, politische Rechte, Gewaltentrennung, Transparenz. Stundenlang kann er sich in juristische Fachtexte und Gesetzbücher vertiefen. Was treibt ihn an? Die Antwort kommt schnell: «Mein Gerechtigkeitssinn. Mir war immer wichtig, dass Regeln eingehalten werden.» Er lacht. «Darauf habe ich schon bei Brettspielen im Kindergarten geachtet.» Die Regeln einzuhalten, sei auch in der Politik wichtig: «Oft versuchen Politiker, die Regeln zu ihren eigenen Gunsten auszulegen oder zurechtzubiegen.»

Auf die Frage, was er im politischen System der Schweiz verändern würde, wird er wieder grundsätzlich: «Ich wünschte mir, dass das Wahlverfahren für den Nationalrat endlich fair wird.» In Schaffhausen könne man faktisch nur zwischen zwei Parteien, SVP und SP, auswählen, «obwohl wir 13 Parteien haben». Das würde sich mit einem doppeltproportionalen Zuteilungsverfahren ändern.

Kuster beschreitet auch mal den rechtlichen Weg – und eckt damit an. Im Frühling reichte er Beschwerde ein gegen die Abstimmungsbüchlein zur Zusammenführung der Schaffhauser Busbetriebe sowie zum Bau des neuen Polizei- und Sicherheitszentrum, weil die Magazine nicht vollständig und sachlich gewesen seien. «Mit seinen Beschwerden und Einsprachen hat er in den letzten Jahren eine Manie entwickelt», sagt Walter Hotz, Präsident der kantonalen SVP, amtierender Kantonsratspräsident und Grossstadtrat. «Mir ist nicht klar, was er damit erreichen will. In erster Linie beschert er der Verwaltung viel Arbeit.» Als Querulant wolle er ihn nicht gerade bezeichnen. «Aber ich finde es schade, dass er sich als politisch interessierte Person in diese Richtung entwickelt hat», sagt Hotz.

Minders Troubleshooter

Einen Versuch, selbst in die Politik einzusteigen, wagte Kuster im Jahr 2016. Damals kandidierte er auf der Liste der GLP für den Kantonsrat, erfolglos. Wird es nochmals einen Versuch geben? «Vielleicht.»

«Einer wie er gehört nach Bern.»

Thomas Minder, Ständerat

Für Thomas Minder ist klar: «Einer wie er gehört nach Bern.» Auch wenn das bedeuten würde, dass der Ständerat seinen Troubleshooter, wie er Kuster nennt, verlieren würde. Das würde er zwar bedauern, aber: «Er ist flügge geworden und hat seine eigenen politischen Ideen», sagt Minder. «Momentan hat er so viele Jobs, aber eigentlich sollte er sich voll auf die Politik konzentrieren können.» Minder sieht ihn im Generalsekretariat einer Partei («vielleicht bei den Grünliberalen») oder in der Bundesverwaltung: «Er hat ein unglaublich grosses staatspolitisches Verständnis und ist in rechtlichen Fragen sehr versiert, obwohl er kein Jurist ist.»

Versuchskaninchen für Trybol

Richtung Bern denkt Kuster noch nicht. Seine Rolle als Mann von aussen gefällt ihm, und sich einer Partei anzuschliessen, kommt derzeit nicht infrage. «Mich stört es, wenn man nicht über Parteigrenzen hinaus zusammenarbeiten kann.» Auch mit seinem Arbeitgeber Minder sei er sich nicht immer einig. «Er redet mir aber nicht drein, sondern lässt mich machen. Diese Kulanz ist nicht selbstverständlich.» Die beiden verbindet mehr als eine jahrelange Zusammenarbeit. Sie sind in Neuhausen aufgewachsen, als Parteilose oft als Einzelkämpfer unterwegs, interessieren sich für ökologische Themen. Und nicht nur Minder, auch Kuster spielt Versuchskaninchen für neue Trybol-Produkte. In seinem Badezimmerschränkchen stehen immer ein paar Cremes und Shampooflaschen zum Ausprobieren.

Manchmal nimmt er nicht nur Pflegeprodukte, sondern auch viel Arbeit mit nach Hause. Sein politisches Engagement fordert viel freie Zeit. Kuster darf auf eine verständnisvolle Partnerin zählen: Sie ist ehemalige Gemeindeschreiberin. Wenn er sich mal gar nicht mit Politik beschäftigen will, spielt er Poker – da ist Transparenz für einmal nicht das oberste Gebot.

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