Queerdom zeigt Flagge in Schaffhausen
Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender sollen akzeptiert werden und gleichberechtigt sein. Dafür setzt sich der Schaffhauser Verein Queerdom seit zehn Jahren ein.
Schweiz auf Platz 22 hinter Ungarn
Der weltweite Dachverband ILGA untersucht regelmässig, wie es in den einzelnen Ländern um die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen steht. Der Verband hat eine Liste von Forderungen aufgestellt, die aus seiner Sicht für eine Gleichstellung notwendig wären – darunter sind unter anderem Punkte wie die Ehe für alle, die Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes insbesondere gegen Homo- und Transphobie oder das Verbot der operativen Geschlechtskorrektur bei intersexuellen Kindern.
Gemäss ILGA Europe erfüllt die Schweiz 38,44 Prozent der Forderungen. Damit liegt das Land im europäischen Vergleich im Mittelfeld auf Platz 22, direkt hinter Ungarn und Estland. Den besten Wert aller europäischen Länder erreicht Malta mit knapp 94 Prozent vor Belgien (rund 79 Prozent) und Norwegen (rund 78 Prozent). Das Schlusslicht ist Aserbaidschan mit 4,7 Prozent.
Von den Schweizer Nachbarländern wird Frankreich auf Platz 6 am besten bewertet, Deutschland belegt den 12., Österreich den 13. Rang. Hinter der Schweiz liegen Italien auf Platz 32 und Liechtenstein auf 39.
2017 belegte die Schweiz noch Rang 26. Im Ranking verbessert hat sich das Land innerhalb des vergangenen Jahres unter anderem aufgrund der Einführung des Rechts zur Stiefkindadoption für Homosexuelle. Handlungsbedarf besteht gemäss ILGA in der Schweiz neben dem Adoptionsrecht und der Ehe für alle etwa beim Rechtsschutz gegen Hassverbrechen. Gut möglich, dass die Schweiz in den kommenden Jahren weitere Plätze gutmacht. Denn bei der Öffnung der Ehe für Homosexuelle gibt es Fortschritte. Die Rechtskommission des Nationalrats hat im Juli die Weichen für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative «Ehe für alle» der Grünliberalen gestellt. Die Kommission hat die Verwaltung beauftragt, bis Februar 2019 eine Vorlage auszuarbeiten. (sba)
Montag, 8.30 Uhr, Fronwagplatz. Mitarbeiter des Hochbauamts ziehen eine Regenbogenfahne Meter um Meter in die Höhe. Die rot-orange-gelb-grün-blau-violette Fahne ist seit den 1970er-Jahren weltweit Symbol der LGBT-Bewegung, also von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender.
In diesen Tagen zeigt Schaffhausen für den Verein Queerdom Flagge. Bis Samstag werden vier Regenbogenfahnen an den Masten am Fronwagplatz hängen. Anlass ist das zehnjährige Bestehen des Vereins. Queerdom hat bei der Stadt Schaffhausen angefragt, ob die Beflaggung möglich ist. «Die Stadt hat sofort zugesagt, das hat uns sehr gefreut», sagt Peter Rüegg, der Queerdom zusammen mit Daniel Flachsmann präsidiert. Rüegg sieht die positive und rasche Antwort der Stadt zur Beflaggung auch als Zeichen der Akzeptanz.
In der Vergangenheit hat der Verein nicht immer positive Erfahrungen bei ähnlichen Anfragen gemacht. 2010 wollte man mehrere Plakatständer aufstellen, um auf den Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie aufmerksam zu machen. Die Verwaltungspolizei lehnte das Gesuch damals ab, weil «kein überregionales öffentliches Interesse» an der Veranstaltung bestehe. Der Verein organisierte kurzerhand eine Pressekonferenz, die Grossstadträte Andi Kunz (AL) und Hermann Schlatter (SVP) reichten zudem eine Kleine Anfrage ein. Die Verwaltungspolizei entschuldigte sich.
Kampf für Gleichberechtigung
Politisches Engagement gehört bei Queerdom dazu. Der Verein hat 2009, ein Jahr nach seiner Gründung, eine Unterschriftenaktion zur Petition «Gleiche Chancen für alle Familien» gestartet. Dabei ging es um das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. «Es war beeindruckend, wie viele Leute unterschrieben haben», sagt Flachsmann. Leider habe es dann weitere acht Jahre gedauert, bis endlich etwas passiert sei. Seit dem 1. Januar 2018 ist es Homosexuellen nun zumindest erlaubt, das Kind ihres Partners zu adoptieren. Ein Teilerfolg. Denn Kinder zu adoptieren, die nicht vom Partner oder von der Partnerin stammen, ist für Schwule und Lesben nach wie vor nicht möglich.
Fragen des Adoptionsrechts sind Teil der parlamentarischen Initiative «Ehe für alle». Die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, ist Queerdom ein grosses Anliegen. Eingetragene Partnerschaften gibt es in der Schweiz seit 2007. Schwule und Lesben in einer eingetragenen Partnerschaft haben jedoch nicht dieselben Rechte wie verheiratete heterosexuelle Paare – das Adoptionsrecht ist eines der Unterschiede. Flachsmann berichtet über ein befreundetes schwules Paar aus Deutschland, das kürzlich dort heiratete – im Nachbarland wurde die Ehe für alle 2017 eingeführt. Flachsmann ist zuversichtlich, dass die Schweiz bald nachzieht und die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bei einer Volksabstimmung angenommen würde.
Ebenfalls Handlungsbedarf bestehe bei homo- und transphober Gewalt. Flachsmann ist selbst zweimal Opfer eines Hassdelikts geworden. Das erste Mal vor einigen Jahren in der Tram in Zürich. Sein Freund und er hielten Händchen, als sie von mehreren Jugendlichen beschimpft und bespuckt wurden. Flachsmann konnte nicht reagieren. «Man ist wie gelähmt», sagt der 28-Jährige. Er habe es einfach nicht glauben können, dass so etwas passiere – am helllichten Tag, an einem öffentlichen Ort, in einer Stadt wie Zürich. Das zweite Mal ist Flachsmann sogar geschlagen worden.
In Schaffhausen haben weder Flachsmann noch Rüegg bislang negative Erfahrungen gemacht. Rüegg, der auch hier arbeitet, hat sich lange überlegt, inwieweit er in der Öffentlichkeit stehen möchte. Als Mitglied eines Vereinsvorstands gehöre das ja auch mit zum Amt. «Meine Befürchtungen haben sich aber nicht bewahrheitet.» Er sei nie persönlich angegriffen worden.
Monatlicher Treffpunkt
Verbale und körperliche Attacken gegen LGTB-Menschen werden in der Schweiz oft nicht angezeigt. Wenn doch, werden sie nicht explizit als Diskriminierungen und Gewalt aufgrund der sexuellen Orientierung erfasst. Weshalb auch nicht klar ist, wie oft solche Attacken vorkommen. Hier müssten Fakten geschaffen werden, sagt Flachsmann. Queerdom ist jedoch nicht nur politisch engagiert, sondern will vor allem mit seinem Treffpunkt in Schaffhausen dienen. Einmal im Monat kommen die Vereinsmitglieder in der Fassbeiz zusammen. Neu finden die Treffen abwechselnd im Restaurantbereich und im Sitzungszimmer der Fassbeiz statt. «Manche Leute, die zu uns kommen, haben sich noch nicht geoutet», erklärt Flachsmann.
Im letzten Jahr wurde in Schaffhausen der Verein Andersh gegründet, der ebenfalls ein Treffpunkt für Anderssexuelle sein will. Der Fokus bei Andersh liegt jedoch auf Jugendlichen, die nicht das primäre Zielpublikum von Queerdom sind, wo der Altersdurchschnitt zwischen 30 und 40 Jahren liegt. Flachsmann sieht den Verein nicht als Konkurrenz. Man tausche sich gegenseitig regelmässig aus.
In nächster Zeit stehen bei Queerdom einige Veränderungen an. So will man sich im Vorstand auf die Suche nach neuen Gesichtern machen. Heute ist der Vorstand nur mit Männern besetzt. «Das ist natürlich nicht gerade ideal, wenn man als Verein auch Frauen ansprechen will», sagt Flachsmann. Zudem will der Verein sein Angebot überprüfen und eventuell anpassen. Derzeit stehen bei Queerdom Bowlingturniere oder Wanderungen sowie Besuche von Gay Prides auf dem Jahresprogramm.
Miteinander ins Gespräch kommen
Ein Anlass wird auf jeden Fall weiter bestehen: die jährliche Standaktion anlässlich des Coming Out Day, wo Queerdom das Gespräch mit der Bevölkerung sucht. Die nächste Standaktion findet diesen Samstag statt. Zur Feier des 10-jährigen Bestehens hat der Verein Politiker zum Austausch eingeladen – zugesagt haben unter anderem Ständerat Hannes Germann (SVP), Kantonsrat Kurt Zubler (SP) und Grossstadträtin Iren Eichenberger (Grüne). Zu finden ist Queerdom auf dem Fronwagplatz – unter den Regenbogenfahnen.