«Waren Sie nie eifersüchtig?»

Alfred Wüger | 
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Gertrud und Arthur Tschudi blicken zurück auf ein langes Leben zu zweit. Gemeinsame Interessen und der Aufbau eines erfolgreichen Geschäftes haben die beiden zusammengeschweisst. Bild: Julia Leppin

Vor 65 Jahren gaben sich Arthur und Gertrud Tschudi das Ja-Wort. Sie feiern also nach der goldenen und der diamantenen mit der Familie und mit Freunden heute die eiserne Hochzeit.

Wer mit den Tschudis spricht, bekommt Einblick in ein Leben ohne grosse Brüche und Verwerfungen, in ein langes Leben, das die beiden bereits seit 70 Jahren Seite an Seite führen. Und seit 65 Jahren sind Gertrud und Arthur auch verheiratet.

«Kennengelernt haben wir uns im Kaufmännischen Verein», sagt sie. «Dort haben wir beide in einer Scheinfirma mitgewirkt.» Liebe auf den ersten Blick sei es zwar nicht gerade gewesen, aber: «Er war immer so ein fröhlicher junger Mann, ein lustiger. Er fiel einfach auf.» – «Da möchte ich noch etwas präzisieren», sagt er. «Seit dem 7. März 1948 haben wir uns gern.»

Schätzele und schmüüsele

Und dann folgt die Geschichte hinter diesem Datum. Sie hätten immer ein wenig, brav und harmlos, miteinander geschätzelet. «Meine Frau hat noch eine Zwillingsschwester. Wenn ich im Kaufmännischen Verein aus dem Fenster sah und die beiden kamen, wusste ich nicht, welche die meine ist. Und wenn dann eine hereinkam, habe ich einfach diese umarmt.» Dann habe es manchmal geheissen: «Ich bin nicht Trudi.» Er habe sie einfach nicht auseinanderhalten können. Zumal sie sich auch immer noch gleich angezogen hätten. Auf einer Wanderung über den Kohlfirst in die «Guggere» und zurück, wo sie auch wieder geschätzelet und geschmüüselet hätten, sei dann Trudi vor ihn hingestanden und habe gesagt: «Gäll, etz gömmer mitenand.» Das sei ihre private Verlobung gewesen. Vor 70 Jahren.

Dass sie noch zusammen sind, dafür haben die Tschudis eine plausible Erklärung. «Erstens haben wir eine grundsolide Einstellung gehabt», sagt Arthur. «Die gleichen musikalischen Interessen, die Liebe zum Theater.» Sie hätten sich Schallplatten mit Opernarien gekauft. 40 Franken hätten die gekostet, und man habe damals einen Monatslohn von 500 oder 600 Franken gehabt. «Wir haben uns das vom Munde abgespart», sagt Gertrud. Und Arthur: «Und dann haben wir zusammen das Geschäft aufgebaut. Das hat uns ganz enorm zusammengebunden.»

Arthur und Gertrud Tschudi entwickelten eine bedeutende Geschäftstätigkeit. 1962 eröffneten sie im Löwengässchen einen Laden mit Mercerie und Modewaren, das sie hatten kaufen können. «Meine Frau ist eine begnadete Verkäuferin», sagt Arthur Tschudi, «sie hatte 1948 den besten Lehr­abschluss im Kanton hingelegt. Der Umsatz wurde grösser. Es ging ganz gewaltig obsi.» Mercerie und Mode, das sei ein wichtiger Markt gewesen damals. «Damals hat jede Frau genäht und gestrickt. Auch in den ­Warenhäusern waren die Merceriewaren gleich beim Eingang.» 1964 kauften die Tschudis in Ascona ein Stickereigeschäft, 1966 dann ein Merceriegeschäft in Olten. Dort hatten sie schliesslich zwei Läden und einen noch in Luzern. «Den Laden in Luzern kaufte ich zwei geldgierigen Appenzellerinnen ab», sagt Arthur Tschudi, «legte denen 105 Tausendernoten auf den Tisch und verlangte eine anständige Quittung. Solche Dinge vergisst man nicht.»

Sie hätten kämpfen müssen, so die Tschudis, aber dann sei es ihnen materiell gut gegangen und auch persönlich. 1964 wurde das einzige Kind, der Sohn Adrian, geboren. Der habe später dann eines Tages seine deutsche Herzensdame den Eltern vorgestellt. Arthur Tschudi: «Noch in der Tür erklärte ich ihr: ‹Ich rede nicht Schriftdeutsch mit Ihnen. In diesem Haus wird Schweizerdeutsch geredet.›» Da sei das Eis dann gebrochen gewesen. Und als Arthur noch mehr erzählt, sagt seine Gattin: «Du musst doch jetzt nicht so ausholen!» Und er, lachend: «Doch, das ist doch lustig.» Gertrud: «Ich will jetzt etwas sagen. Wir waren sehr grosszügig dem jeweils andern gegenüber.» Und an ihren Mann gewandt: «Ich habe nie geschimpft, wenn du jassen gingst.» Und wieder sagt Arthur: «Ich muss präzisieren. In Olten hatte ich ein Zimmer. Ich war vier Tage dort. Sechs Verkäuferinnen haben nur Merceriewaren verkauft. Da war etwas los!» Wenn er dann mit dem Zug in Schaffhausen angekommen sei, hätten ihn die Jasskollegen schon am Bahnhof abgeholt. «Da haben wir immer über die Schnur gehauen, jedes Mal wurde es zwölf oder zwei am Morgen, bis ich heimging.»

Immer per Sie mit den «Fräuleins»

Nein, Stress hätten sie nie gehabt, sagen die Tschudis. Und das, obwohl Arthur neben dem Management seiner sechs Geschäfte auch noch in einer Baugesellschaft wirkte. Einmal in Savognin sogar als Gesellschafter. «Da habe ich richtig viel Geld verdient», sagt er mit einem Lächeln. Berichtet davon ohne übertriebenen Stolz. «Wir sind zu Geld gekommen.» Sie hätten aber auch anderen geholfen, die ein Geschäft aufbauen wollten, und zwar auch materiell.

«Wir waren sehr grosszügig dem jeweils andern gegenüber. Ich habe nie geschimpft, wenn du jassen gingst.»

Getrud Tschudi

Dass Arthur Tschudi nach seiner Ausbildung zum Kaufmann der erste eidgenössisch diplomierte Versicherungsfachmann im Kanton war sowie treibender Motor in der Verbindung Commercia, haben wir bis jetzt unterschlagen. Nicht unterschlagen wollen wir seinen Cerevis «Eros». Er lacht. «Ich habe mich immer mit der Frauenwelt verstanden.» – «Waren Sie nie eifersüchtig, Frau Tschudi?» – «Nein! Er war immer per Sie mit den Fräuleins. Auf Geschäftsausflügen war er immer der Hahn im Korb.»

«Und dann haben wir zusammen das ­Geschäft aufgebaut. Das hat uns ganz enorm ­zusammengebunden.»

Arthur Tschudi

1992 verkauften die Tschudis das Geschäft im Löwengässchen. Es existiert noch immer. Und womit beschäftigen sich Arthur und Gertrud heute? Seit nunmehr 25 Jahren leben sie im Ruhestand. «Der Haushalt gibt viel Arbeit», sagt sie und er: «Ich schreibe viele Briefe. Alle von Hand. Und wir besuchen Bekannte im Alterheim. Wir kennen ausserordentlich viele Leute. Es erfüllt mich mit Stolz, wenn ich sehe, wie meine Frau jeweils begrüsst wird. Sie ist sehr beliebt.» Sie sei die Seele des Geschäftes gewesen, habe den Einkauf gemacht. Und sie hat das Geschäft gehütet, wenn ihr Mann auf Reisen war. «Aber seit 1992 haben wir alle Reisen gemeinsam gemacht», sagt er. Alle Kontinente hätten sie bereist. «Wir haben alle nennenswerten Sehenswürdigkeiten gesehen.» Ob er seiner Frau denn heute im Haushalt helfe, Teppiche klopfe, Geschirr spüle? «Nein», ruft er sofort, «das wäre ja noch schöner!» – «Ich habe eine Frau, die mir hilft», sagt Gertrud Tschudi. Übrigens: Sie singt noch in zwei Chören. Da ist sie wieder, die Leidenschaft für die Musik. «Ich höre auch viel sakrale Musik», sagt Arthur Tschudi, der sich schon früh in der jungen Kirche engagiert hat. «Ich war immer ein Suchender. Das Buch ‹Was ich glaube› von Hans Küng hat mich tief beeindruckt. Ich glaube an Christus. Trotz all den Zweifeln, die ich mein ganzes Leben lang gehabt habe: Ich will glauben.» Gertrud Tschudi war katholisch und ist später in die reformierte Kirche übergetreten. «Aber ihre Mutter hat mich später dann doch wie ihren eigenen Sohn behandelt», sagt Arthur.

Und was würden die Tschudis anders machen, wenn sie noch einmal von vorn beginnen könnten? «Eigentlich nichts. Wir haben versucht, unsere Sache zu leisten, und das ist uns, nach unserer Meinung, auch gelungen. Wir konnten viel nehmen, glauben aber, dass wir durch unsere Präsenz auch viel geben konnten.»

Gertrud und Arthur Tschudi

Am 5. September konnte Arthur Tschudi seinen 90. Geburtstag feiern. Seine Gattin Gertrud ist andert- halb Jahre jünger. Die beiden sind geistig und körperlich in guter Verfassung und leben seit 1954 am Römer-stieg 6 in Schaffhausen. Vor 70 Jahren, am 7. März 1948, haben sie sich mündlich ­einander versprochen. Und fünf Jahre später, am 3. Oktober 1953, ­haben die beiden ­geheiratet. Der Ehe ­entsprang ein Sohn, ­Adrian Tschudi.

 

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