«Anna Göldi»: So viel Geld wurde verbrannt

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Licht und Schatten: Szene aus dem «Anna Göldi»-Musical. Bild: Selwyn Hoffmann

Bei der Pleite des Musicals «Anna Göldi» ist nun klar, wie viel Geld noch übrig ist und wer sich die meisten Forderungen ans Bein streichen muss. Auch der Staat verliert sehr viel Geld.

von Zeno Geisseler und Saskia Baumgartner

«Werden Sie Zeuge, wie die Wahrheit ans Tageslicht kommt»: Mit diesem Spruch wollten die Macher des Musicals «Anna Göldi» im letzten Spätsommer 30'000 bis 40'000 Zuschauer nach Neuhausen locken. Tatsächlich kamen dann nur etwa 11'000. Die insgesamt 47 Vorstellungen zwischen August und Oktober fanden meistens vor gähnend leeren Rängen statt. Um die zwei Millionen Franken teure Show zu finanzieren, wäre gemäss Businessplan der Schaffhauser Musicalfirma Stageworks GmbH eine Auslastung von fast 60 Prozent notwendig gewesen, es war jedoch weniger als die Hälfte. Mitte November deponierte Stageworks die Bilanz. Anfang Dezember eröffnete das Kantonsgericht über die Gesellschaft Konkurs.

Der Kanton muss einspringen

Dutzende von Gläubigern blieben zurück. Die gute Nachricht für sie: Es gibt noch etwas Geld. Dies geht aus dem Inventar und dem Kollokationsplan, also der Auflistung aller angemeldeten und genehmigten Forderungen, hervor, der seit dieser Woche aufliegt. Im Inventar sind Vermögenswerte von genau 117'327.51 Franken aufgeführt. Davon sind rund 90'000 Franken in bar oder auf einem Konto verfügbar. Ebenfalls unter das Guthaben fällt eine bereits früher bekannt gewordene Defizitgarantie des Kantons von 25'000 Franken.

Dieses Geld reicht aber bei Weitem nicht aus, um alle 78 anerkannten Forderungen zu begleichen. Diese liegen bei rund einer Million Franken. Die knapp 120'000 Franken Guthaben werden nicht gleichmässig auf diese Ansprüche verteilt. Geld gibt es nur für Forderungen der 1. Klasse, das sind Löhne und Vorsorgebeiträge, insgesamt betragen diese Forderungen 160'000 Franken. Diese Gläubiger können laut der Auflistung des Betreibungs- und Konkurs­amts mit einer Konkursdividende von 66 Prozent rechnen. Das heisst, pro Franken Schuld gibt es 66 Rappen ausbezahlt.

Glück gehabt haben 22 Mitarbeitende, darunter auch Schauspielerinnen und Schauspieler: Sie müssen nicht auf eine Auszahlung aus dem Konkursverfahren hoffen, sondern haben ihre Löhne vollständig aus der Insolvenzentschädigung erhalten, insgesamt rund 103'000 Franken. Der Kanton hat diese Summe ins Konkursverfahren eingebracht und wird rund 68'000 Franken zurückerhalten.

Gar kein Geld mehr gibt es für alle anderen Gläubiger, darunter Lieferanten, Dienstleister – und wieder den Staat: fast 10'000 Franken Arbeitgeberanteil an der AHV, offene AHV-Beiträge von 55'000 Franken, 42'000 Franken nicht bezahlte Mehrwertsteuer.

Schon früh Liquiditätsprobleme

Die konkursite Stageworks GmbH ist eng verschachtelt mit der Leading Communication GmbH (Gesellschaftszweck: «Umfassende Beratung von Unternehmen in betriebswirtschaftlichen Fragen sowie deren Umsetzung, insbesondere in den Bereichen Kommunikation und Marketing»). Die beiden Unternehmen teilen sich Adresse (Herrenacker 15, Schaffhausen), Kaderleute und Mitbesitzerinnen. Finanziell am wichtigsten ist Karin Spörli. Sie ist Chefin und Hauptgesellschafterin von Leading Communication, und sie ist, mit einem Anteil von 10'000 Franken, grösste Gesellschafterin von Stageworks. Stageworks war nur eines von mehreren Mandaten für sie: Spörli ist unter anderem auch Geschäftsführerin des Städtischen und des Kantonalen Gewerbeverbandes.

Zweite Hauptperson ist Diane Kiesewetter. Sie ist Minderheitsbesitzerin von ­Leading Communication und zweitwichtigste Kapitalgeberin von Stageworks. Vor allem aber war sie die letzte Geschäftsführerin von Stageworks. Ein Amt, das sie von Spörli übernommen hatte. Weder Kiesewetter noch Spörli wollten gegenüber den SN zum Fall Stellung nehmen. «Kein Kommentar», sagte Spörli. «Dem bereits Gesagten ist nichts hinzuzufügen», ergänzte Kiesewetter.

Eigentlich hätte «Anna Göldi» der Beginn einer Musicaltradition am Rheinfall werden sollen.

In einem Interview mit dieser Zeitung Mitte November, kurz nachdem Stageworks die Bilanz deponiert hatte, sagte Kiesewetter: «Wir haben alles versucht, um noch gegenzusteuern. Wir haben überall Kosten gespart, selbst Mittel investiert, auf eigene Kompensation von Leistungen verzichtet.»

Auf finanzielle Details wollte sie damals nicht eingehen, diese werden nun aber aus den Unterlagen deutlich. Schon Ende Juli, weit vor der Premiere, ging «Anna Göldi» fast das Geld aus. Karin Spörli gewährte am 27. Juli ein Privatdarlehen über 100'000 Franken als «Liquiditätsüberbrückung», wie es im Kollokationsplan heisst. Am 31. August sagte Spörli im Gespräch mit den SN, «wenn man etwas bewegen will, muss man auch ein Risiko eingehen. Ich glaube einfach an diese Produktion.» Finanziell, so Spörli im gleichen Gespräch, sei die Produktion «auf Kurs».

Am 5. Oktober, gut zwei Wochen vor der Dernière, sagte Kiesewetter angesichts der sehr schleppenden Ticketverkäufe, «dass es so schwierig wird, das haben wir nicht ver­mutet». Sie kündigte Gespräche mit möglichen weiteren Geldgebern an, sagte aber auf Nachfrage nicht, mit wem.

Kurz danach floss tatsächlich Geld, aber aus eigenen Mitteln: Am 10. Oktober 2017, also nur rund einen Monat vor der Insolvenz, gewährte die Leading Communication der Stageworks ein Darlehen von 170'000 Franken. Mit gleichem Datum schoss auch Karin Spörli nochmals 50'000 Franken ein. Dieses Geld ist nun weg, genau wie Rechnungen der Leading Communication an die Stageworks im Umfang von gut 60'000 Franken. Geschäftsführerin Kiesewetter hingegen schoss privat kein weiteres Geld ein, auch die anderen drei Gesellschafter von Stageworks tauchen im Konkursinventar nicht auf.

Eigentlich hätte «Anna Göldi» der Beginn einer Musicaltradition am Rheinfall werden sollen. Stattdessen wurde es zu einer grossen Pleite.

Der Kanton hatte für das Jahr 2018 bereits weitere 75'000 Franken als Unterstützung für eine weitere Stageworks-Produktion vorgesehen.

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