Trudi läuft und läuft und läuft …

Maria Gerhard | 
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Ein Mann und sein Käfer: Raphael Niedermann steht mit seinem VW auf dem Feld gegenüber von der Büsinger Kirche. Bild: Begüm Ürek

Vor 80 Jahren wurde der Grundstein für die VW-Werke gelegt. Trotz überschatteter Vergangenheit ist ein Fahrzeug heute immer noch Kult: der Käfer.

Eigentlich ist seine Frau schuld, dass Raphael Niedermann an diesem sonnigen Freitagnachmittag auf einem Parkplatz in Buchthalen steht und seinen Käfer fein säuberlich mit einem weichen Tuch poliert. «Sie wollte immer so einen haben», sagt der 39-Jährige. Er sei zwar auch immer ein Fan von Oldtimern gewesen, aber eher von englischen Fahrzeugen. Einen VW-Käfer haben sie sich trotzdem angeschafft. Heute fährt sie bevorzugt den alten VW-Bus und Niedermann den Beetle. Und so kommt es, dass er nach der Arbeit – er betreibt ein Ein-Mann-Transportunternehmen – vom Lastwagen steigt und sich für Ausflüge in seinen VW-Käfer quetscht. Einen restaurierungsbedürftigen Käfer hat er in seiner Garage, und dann gibt es noch dieses knuffige Modell aus dem Jahr 1965 – in Panama-Beige. Er hat es nach seiner Grossmutter benannt: Trudi. Niedermann öffnet eine der Türen, damit man einen Blick in das ­Innere werfen kann: Am Armaturenbrett hängt eine kleine Porzellanvase (früher wurde sie von VW mitgeliefert), allerdings ohne Blumen, dafür zwinkert einem ein gelber Smileyaufkleber zu, und über dem zierlichen Handschuhfach hängt eine Plastikblumenkette.

Man spürt jeden Riss im Teer

Niedermann lädt zu einer Spritztour ein. Und wer noch nie Käfer gefahren ist, für den ist das ein echtes Erlebnis. Zunächst ist es doch enger als gedacht. Während man in den weichen Ledersitzen versinkt, haben die Beine kaum Freiheit. Und anschnallen? «Der ist ja älter als Baujahr 70, da gab es noch keine Einbaupflicht», sagt er. Wofür sind die Knöpfe? Niedermann betätigt zur Demonstration einen kleinen Schalter, die Scheibenwischer – die etwas zierlich, zerbrechlich aussehen – bewegen sich nach links und rechts. Und dann ist da noch ein Knopf, unten gleich neben dem Bremspetal, fürs Fernlicht. So viel zur Bedienungsanleitung. Es kann also losgehen! Der Wind bläst durch das offene Schiebedach, und die Sonne wärmt angenehm das Haar, während der Beetle die Buchthalerstrasse hinunterrollt und langsam an Geschwindigkeit gewinnt. «Er kommt auf 110 km/h», sagt Niedermann, und da ist ein bisschen Stolz in seiner Stimme, «aber nicht für lange.» Damit das Fahrzeug nicht überlastet werde, gebe er mal mehr, mal weniger Gas.

Er ist schon weit herumgekommen mit seiner Trudi. In ganz Europa fährt er zu Oldtimertreffen oder Veranstaltungen der verschiedenen VW-Käfer-Clubs. Dabei hat er auch schon einmal einen Pokal gewonnen – für die weiteste Anreise. Das war in Wörth an der Donau, bei Regensburg. «Das sind immerhin rund 500 Kilometer», sagt Niedermann. Wobei es mitunter schon anstrengend sei, so lange im Käfer unterwegs zu sein. Tatsächlich spürt man in einem Oldtimer die Strasse noch so richtig – und zwar jeden kleinen Riss im Teer. Und ein Radio zur Unterhaltung gibt es bei diesem Exemplar auch nicht, das hätte damals in den 6oer-Jahren Aufpreis bedeutet. Braucht es aber nicht: Mit seinem leicht röhrenden Sound bietet der Käfer ein höchst eigenes Unterhaltungsprogramm.

Ein Auto für die Hippies

Knutschkugel oder Kugelporsche, das urchige Vehikel hat im Laufe seiner Geschichte schon viele Namen erhalten. Trotz so mancher Macke ist es als Erfolgsmodell – sozusagen – rund um den Globus gefahren. Vor 80 Jahren wurde der Grundstein für die VW-Werke in Wolfsburg, wie der Ort später hiess, gelegt. Ob gross gefeiert wird? Niedermann bezweifelt das eher. «Bislang ist VW immer sehr verhalten mit seinen Jubiläen umgegangen», sagt er, «wahrscheinlich wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit.» Ferdinand Porsche nahm 1933 den Auftrag von Adolf Hitler an, ein billiges Volksauto für alle zu entwickeln. Porsche griff eine Idee des Konstrukteurs Béla Barényi aus den 20er-Jahren auf. 1939 sollte der «Kraft-durch-Freude-Wagen» in Serie gehen. Der Krieg kam dazwischen.

So konnten erst 1947 Privatpersonen die ersten Modelle kaufen, und bereits 1955 feierte Volkswagen das millionste Exemplar. «Er läuft und läuft und läuft ...», hiess es damals in der Werbung. Später wird der «Love Bug» zusammen mit dem VW-Bus zum Kultauto der langhaarigen Hippies. «Es gibt wohl kein Plattencover aus der Zeit, wo er nicht drauf zu sehen ist», sagt Niedermann, «er stand für ein ganz bestimmtes Lebensgefühl, für Freiheit.»

Käfer-Liebe steckt an

Und auch Niedermann erlebt das heute noch so, wenn er mit seiner Trudi über die Landstrassen braust oder stark kurbeln muss, wenn er um die Ecke fährt. Es sei halt ein Auto mit Charakter, mit Persönlichkeit. Er würde bei vielen Gelegenheiten auf das Auto angesprochen. «Den konnte man sich schliesslich früher noch leisten, die Leute haben einen Bezug zum Käfer», sagt er. Oft würde das ganz besondere Erinnerungen wecken. Und die Begeisterung werde schliesslich weitergegeben. Sein neunjähriger Sohn möchte später auch mal einen Käfer fahren.

«Seien wir ehrlich, praktisch ist er nicht, dafür herzig»

Richtet gerade diesen weissen VW-Käfer her: Raphael Bättig. Bild: Selwyn Hoffmann

Mechaniker Raphael Bättig ist den ganzen Tag von purer Nostalgie um­geben. Zusammen mit Robin Wehrli betreibt er in Merishausen eine Autowerkstatt, die sich neben den herkömmlichen Dienstleistungen vor allem auf Oldtimer spezialisiert hat. Ein bis zwei VW-Käfer richten sie zuweilen im Winter her.

Und da, gleich neben einem VW-Bus aus dem Jahr 1978, steht auch schon einer: ein weisser Käfer aus dem Jahr 1968. Er soll für den Sommer wieder auf Vordermann gebracht werden. «Sein Besitzer hat ihn schon mit 18 Jahren gefahren», erzählt Bättig. Dann habe dieser ihn allerdings verkauft, der Rechteckkäfer (so genannt wegen der rechteckigen Heckscheibe) sei durch zwei, drei Hände gegangen, bis ihn sich der Erstbesitzer vor ein paar Jahren schliesslich wieder zurückgekauft habe. Wenn das mal keine echte VW-Käfer-Liebe ist!

Aber was ist eigentlich dran an dem Kugelporsche, wie er manchmal auch scherzhaft genannt wird? «Seien wir ehrlich, praktisch ist er nicht», sagt Bättig, lacht und braucht nur die vordere Haube zu öffnen, wo vielleicht gerade mal zwei Einkaufstaschen Platz haben. Viele seiner Kunden seien in ihren 40ern oder 50ern. «Die finden: In dieser schnelllebigen Zeit braucht es Entschleunigung.» Aber auch die jungen Leute würden die alten Autos wieder mehr zu schätzen wissen. Seine Frau fahre auch einen Käfer: «Weil er halt so herzig ist», sagt Raphael ­Bättig. (mcg)

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