Warum wir gaffen, es aber nicht sollten

Daniel Zinser | 
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Nach diesem Unfall auf der Fulachstrasse kam es zu einem weiteren Auffahrunfall, bei welchem der Verursacher durch den ersten Unfall abgelenkt wurde. Bild: shpol

Wenn es irgendwo auf den Strassen so richtig kracht, sind neugierige Menschen nicht weit. Das «Gaffen» kann einen aber so richtig teuer zu stehen kommen.

Es passierte am vergangenen Freitagabend im Feierabendverkehr. Auf der Fulachstrasse kam es zwischen zwei Autos zu einer schweren Kollision. Das eine Fahrzeug blieb auf dem Dach liegen. Glücklicherweise blieben die beiden involvierten Personen unverletzt. Die Unfallstelle mit dem auf dem Dach liegenden Auto bot ein spektakuläres Bild. Im Bus, der die Unfallstelle kreuzte, wurden zahlreiche Handys gezückt, vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer verrenkten sich die Hälse. Dem einen wurde seine Neugier zum Verhängnis. Abgelenkt von der Unfallstelle vergass er auf den Verkehr zu achten und provozierte prompt einen Auffahrunfall.

Seien wir mal ehrlich, wer schaut, wenn er an einem Unfall oder Tatort vorbeifährt, konsequent weg? Wohl niemand. Für Verkehrspsychologen ist das sogenannte Gaffen ein ganz natürliches Phänomen. «Jeder Mensch hat den Drang, neugierig zu sein und diese Neugier zu befriedigen. Gaffen ist eine Abwandlung der Neugier, es ist eine egoistische Variante von Neugierde», erklärte der deutsche Psychologe Haiko Ackermann kürzlich in einem Interview mit dem Nachrichtensender «n-tv» und erklärte auch gleich den Ursprung dieser doch etwas sonderbaren menschlichen Eigenschaft. «In früheren Zeiten, als wir noch im Freien gelebt haben, ist Neugier eine ganz wichtige Lebenseigenschaft gewesen. Der Mensch hat seine Umwelt beobachtet, um zu erkennen, ob eine Gefahr droht. Neugierde hat uns geschützt und gerettet.»

Von Geld bis hin zu Gefängnisstrafen

Auch wenn Gaffer von der Gesellschaft kritisch beäugt werden, ist es grundsätzlich nicht strafbar. Schlimm wird es erst, wenn Rettungskräfte oder Polizisten bei der Arbeit behindert werden. Wer andere davon abhält, Nothilfe zu leisten oder sie dabei behindert, wird laut dem Schweizer Strafgesetzbuch mit einer Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft. Wer in amtlicher Funktion tätige Rettungskräfte an einer Handlung hindert, wird mit einer Geldstrafe von bis zu 30 Tagessätzen bestraft. Ebenfalls mit einer Geldbusse bestraft wird, wer die Weisungen der Polizei nicht befolgt oder die Strasse beim Wahrnehmen der Warnsignale der verschiedenen Blauchlichtorganisationen nicht sofort freigibt.  

«Im Normalfall sehen es die Leute aber ein, dass sie weitergehen sollen.»

Patrick Caprez, Mediensprecher der Schaffhauser Polizei

Situationen mit vielen Gaffern gleichzeitig, welche sich den Anweisungen der Einsatzkräfte widersetzen, sind im Kanton Schaffhausen laut dem Mediensprecher der Schaffhauser Polizei, Patrick Caprez, unbekannt. «Aus unserer Sicht gibt es hier in Schaffhausen keine grösseren Probleme mit Gaffern.» Es kann vorkommen, dass seine Kollegen Personen von Unfallstellen wegweisen müssen, da diese den Einsatz stören. «Im Normalfall sehen es die Leute aber ein, dass sie weitergehen sollen», ergänzt Caprez.

Selten müssen auch die Einsatzkräfte der Feuerwehr der Stadt Schaffhausen «Gaffer wegschicken». Für den Kommandanten Peter Müller ist das Verhalten dieser Leute aber ganz logisch. «Wir kommen mit viel Lärm auf den Platz und sorgen natürlich für viel Aufsehen, da ist es normal, dass die Leute neugierig werden».

«Die Leute, die solche Fotos im Internet publizieren, wissen unter Umständen gar nicht, was sie anrichten.» 

Patrick Caprez, Mediensprecher der Schaffhauser Polizei

Für Peter Müller wie auch Patrick Caprez ist klar: Um neugierige Anwohner oder Passanten vom Zentrum des Geschehens fern zu halten, sei eine gute Absperrung unverzichtbar. «Eine weitläufige Absperrung schützt die Privatsphäre der Opfer und ist aus Pietätsgründen bei Verletzten und Toten sehr wichtig», erklärt Mediensprecher Patrick Caprez.

Das Smartphone-Problem

Ein Problem sieht Patrick Caprez in den Smartphones, welche heutzutage alle über eine gute Kamera verfügen. Wenn Bilder von schweren Unglücken mit Todesopfer oder Schwerverletzen bereits im Internet zu sehen sind, bevor die Polizei die Angehörigen informieren kann, wird die Situation für diese noch tragischer als sie ohnehin schon ist. Der Mediensprecher der Polizei hat solche Fälle erlebt: «Die Leute, die solche Fotos im Internet publizieren, wissen unter Umständen gar nicht, was sie anrichten.» .

Für Feuerwehrkommandant Peter Müller ist klar: Um Personen vom «gaffen» abzuhalten, könne schon ein einfaches Gespräch helfen. «Man sollte diese Menschen fragen, wie sie sich fühlen würden, wenn sie da auf dem Boden liegen und andere mit dem Smartphone filmend daneben stehen würden».

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