Vorbehalte gegenüber neuen Staatsanwälten

Daniel Jung | 
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Gleich zwei Staatsanwälte aus dem Kanton Thurgau wechseln nach Schaffhausen. Andreas Zuber wurde im Dezember vom Kantonsrat ­gewählt, Linda Sulzer am Montag. Vom Bundesgericht wurden die beiden wegen ihres Vorgehens schon einmal deutlich kritisiert.

Schaffhausen.«Filmreifer Justizpfusch»: So betitelte der «Blick» am Dienstag ­einen Kommentar zum grossen Strafprozess von Kümmertshausen, der am Montag in Kreuzlingen seinen vorläufigen Abschluss fand: Nach 42 Verhandlungstagen wurden dort verschiedene Schuldsprüche ausgesprochen; der Kernpunkt der Tötung eines IV-Rentners, die sich 2010 ereignet hatte, konnte jedoch nicht ganz aufgeklärt werden (siehe SN vom Dienstag). Der «Blick» kritisierte deshalb die Thurgauer Staatsanwaltschaft als «Laiendarsteller». Besonders harsch geht die Boulevardzeitung mit Andreas Zuber und Linda Sulzer ins Gericht, die das Verfahren bis 2015 geleitet haben.

Beide werden die Thurgauer Staatsanwaltschaft bald verlassen – und neu im Kanton Schaffhausen tätig sein. Andreas Zuber wird Leitender Staatsanwalt der ­Allgemeinen Abteilung. Vom Kantonsrat wurde er am 4. Dezember mit 39 von 54 gültigen Stimmen gewählt – 15 Kantonsräte legten damals leer ein. Und am letzten Montag wurde auch die Schaff­hauserin Linda Sulzer als Staatsanwältin gewählt. Sie erhielt 44 von 50 gültigen Stimmen.

«Krasse Verfahrensfehler»

Für ihr Vorgehen im Fall Kümmertshausen wurden die zwei Staatsanwälte im Jahr 2015 scharf gerügt. Sie hätten «zahlreiche und teilweise krasse Verfahrensfehler begangen», schrieb das Bundesgericht im Urteil vom 27. April 2015, bei dem es um ihren Ausstand im Strafverfahren ging. Das Bundesgericht kam damals zum Schluss, dass die beiden Strafverfolger im Verfahren befangen wirkten. Deshalb wurden die beiden zum Ausstand verpflichtet und die Ermittlungen anderen Personen anvertraut. Zudem erfolgte im selben Fall auch eine Anzeige wegen Amtsmissbrauch gegen ­Zuber und Sulzer.

In Schaffhausen wurden die beiden Juristen trotz dieser Kritik gewählt. Beide Staatsanwälte waren vor ihrer Wahl von der Wahlvorbereitungskommission auch zum Fall Kümmertshausen befragt worden, wie Peter Scheck (SVP, Schaffhausen), Präsident der Justizkommission des Kantonsrats, auf Anfrage erklärte.

«Etwas originelle Methoden»

Scheck räumt ein, dass Zuber und Sulzer bei den Ermittlungen im Fall Kümmertshausen «etwas originelle Methoden» angewandt haben. Er sieht darin aber kein Problem. «Vielleicht hätte das in einem anderen Fall zum Ziel führen können», sagt er. «Hier waren sie nicht ganz auf der richtigen Spur – aber auch nicht ganz auf der falschen.»

Es gehöre aber zur Arbeit der Strafverfolgungsbehörden, dass nicht jede Spur, die man verfolge, auch zum Ziel führe – gerade wenn viele Personen in einen Fall involviert seien, die alle nicht die Wahrheit sagten. «Das ist das Berufsrisiko», sagt Scheck. Insgesamt seien die Ermittlungen im Fall Kümmertshausen sicher nicht optimal gelaufen, so Scheck.

Ein Hindernis für die Wahl der beiden Staatsanwälte in Schaffhausen kann Scheck darin aber nicht erkennen. So sei sich die Justizkommission der Vorwürfe, die gegen Zuber und Sulzer erhoben worden seien, vollständig bewusst gewesen.

Es gebe keinen Zusammenhang zwischen ihrer Anstellung und der Tatsache, dass sie gemeinsam am Fall Kümmerts­hausen gearbeitet hätten. Es sei auch nicht so gewesen, dass Zuber seine frühere ­Mitarbeiterin nach Schaffhausen geholt habe. Die Schaffhauserin Sulzer habe sich unabhängig für die Stelle in der Munotstadt beworben.

Die Kommission hat drei qualifizierte Bewerber in Vorstellungsgesprächen beurteilt. «Linda Sulzer hat hier mit Abstand am meisten überzeugt», sagt Scheck. ­Dabei stützt er seine Einschätzung auch auf die Beurteilung der Schaffhauser Staatsanwaltschaft ab. Er ist überzeugt, dass in beiden Fällen die richtige Entscheidung getroffen wurde. «Das Ver­fahren ist fair und absolut richtig abgelaufen», so Scheck.

«Ein gewisses Klumpenrisiko»

Kritisch sieht Roland Müller (Grüne, Neuhausen) die Wahl der beiden Staatsanwälte. Er ist Mitglied der Justizkommission und sagt: «Für mich ist relevant, dass die beiden vom Bundesgericht gerügt wurden.» Dies sei keine Lappalie und keineswegs nur auf die Taktik eines Strafverteidigers zurückzuführen. Zudem sei das Verfahren wegen Amtsmissbrauch noch hängig. «Ich finde, wir nehmen hier ein gewisses Klumpenrisiko auf uns, wenn wir gleich zwei Personen anstellen, die vom selben Verfahren tangiert werden könnten.» Obwohl er kein Jurist sei, sage ihm der gesunde Menschenverstand, dass dies ein relevantes Risiko sei. Er überlegt sich deshalb, einen Vorstoss zum Wahlverfahren einzureichen, um den Prozess zu verbessern. «Ich glaube, das ist nötig», so Müller, «wir müssen das in der Fraktion aber noch besprechen.» Die Wahl von Zuber und Sulzer sei aber abgehakt.

«Überhaupt kein Bauchweh»

Ebenfalls Mitglied der Justizkommission ist der Schaffhauser Stadtpräsident Peter Neukomm (SP), der von 1991 bis 2012 selbst als Untersuchungsrichter und Staatsanwalt tätig war. Auf die Wahl der beiden neuen Staatsanwälte angesprochen, sagt er: «Nein, ich habe überhaupt kein Bauchweh.» Neukomm ist fachlich von beiden frisch gewählten Strafverfolgern überzeugt. Linda Sulzer geniesse schweizweit in Fachkreisen einen exzellenten Ruf. Zudem verfüge sie über eine hohe Sozialkompetenz. Dass nun gleich zwei Staatsanwälte nach Schaffhausen wechselten, die in ­einem prominenten Fall kritisiert worden seien, sei nicht so gesucht gewesen. «Das mag nach aussen hin etwas komisch wirken, das gebe ich zu», sagt Neukomm. Es sei aber kein Grund, ihre Wahl abzulehnen.

«Nichts Ungewöhnliches»

Auch dass Zuber und Sulzer wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch angezeigt worden seien, spreche nicht gegen ihre Wahl. «Es passiert fast jedem, der längere Zeit in diesem Bereich tätig ist, dass Strafanzeigen gegen ihn eingereicht werden», sagt Neukomm. Er selbst habe diese Erfahrung mehrfach gemacht: «Das ist für einen Strafverfolger nichts Aussergewöhnliches.» Bei ihm seien die Verfahren in allen Fällen eingestellt worden – das erwartet Neukomm auch im Fall von Zuber und Sulzer.

Neben Scheck, Müller und Neukomm sind auch noch Samuel Erb (SVP) und ­Lorenz Laich (FDP) Mitglieder der Justizkommission.

In der Wahlvorbereitungskommission waren zudem noch der Präsident des Kantonsgerichts, die Präsidentin des Ober­gerichts, der Erste Staatsanwaltschaft, ein Vertreter der Anwaltskammer und der Leiter des Volkswirtschaftsdepartements vertreten. Sie waren jedoch nur in beratender Funktion tätig und hatten kein Stimmrecht bei der Wahlempfehlung zuhanden des Kantonsrats.

Nach einem der grössten Strafprozesse der Thurgauer Geschichte bleiben Fragen offen

Am 20. November 2010 wurde ein 53-jähriger Mann in seiner Wohnung im thurgauischen Kümmertshausen von zwei Männern brutal überfallen. Seinen Hund setzten die beiden Angreifer mit Tränengas ausser Gefecht, den Mann knebelten und fesselten sie. Das Opfer erstickte.

Im Laufe der Ermittlung stellte sich heraus, dass der IV-Rentner in die Machenschaften einer kriminellen Organisation geraten war: eine Gruppe aus türkisch-kurdischen Kreisen, die Flüchtlinge und Heroin geschmuggelt haben sollen.

Die Ermittlungen im Fall waren ­zunächst vom Thurgauer Oberstaatsanwalt Andreas Zuber und von der Staatsanwältin Linda Sulzer geführt worden. Insgesamt wurde gegen 14 Männer ­ermittelt.

Die Staatsanwaltschaft hatte im Dezember 2014 entschieden, gegen einen Mann ein abgekürztes Verfahren zu führen. Dieser «Kronzeuge» wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Gegen diesen Entscheid wehrte sich der Verteidiger eines anderen Beschuldigten und erhielt schliesslich vor Bundesgericht recht: Die Abtrennung des Verfahrens des Kronzeugen sei «äusserst problematisch», weil unklar sei, welche Rolle der Mann im Fall tatsächlich gespielt habe, so das Bundesgericht.

Zuber und Sulzer wurden auch in einem anderen Entscheid des Bundesgerichts stark kritisiert. Sie hätten «zahlreiche und teilweise krasse Verfahrensfehler begangen». Letztlich sei der Anschein der Befangenheit zu bejahen. Deshalb übernahmen andere Strafverfolger den Fall.

Die Hauptverhandlung wurde schliesslich am 20. Februar 2017 am Bezirksgericht Kreuzlingen gestartet. Nach 42 Gerichtstagen wurden nun am Montag die Schuldsprüche eröffnet, das Strafmass wurde aber noch nicht bekannt gegeben.

Dabei kam das Gericht zu dem Schluss, dass der Kronzeuge als Einziger am Tod des IV-Rentners schuldig sei – wegen eventualvorsätz­licher Tötung durch Unterlassung. Der 39-Jährige wurde gleich im Gerichtssaal verhaftet. Wer den IV-Rentner ­effektiv getötet hat, bleibt aber auch nach dem Prozess offen. Drei Mit­angeklagte wurden vom Gericht von dem Vorwurf der vorsätz­lichen ­Tötung freigesprochen.

Den Auftrag zum Überfall hat gemäss Urteil der Kopf der Gruppe gegeben. Weil eine Tötungsabsicht fehlte, qualifizierte das Gericht die Tat als Anstiftung zum Raub. Vier der Beschuldigten wurden komplett freigesprochen. (dj./sda)

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