«Frau Kromer, wir brauchen Sie!»

Maria Gerhard | 
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«Ich bin immer eine fröhliche Natur gewesen», sagt die 105-jährige Elsa Kromer über sich selbst. Bild: Bruno + Eric Bührer

Sie ist die älteste Frau in der Stadt Schaffhausen: Elsa Kromer feiert im Alterszentrum Kirchhofplatz heute ihren 105. Geburtstag. Wer mit ihr auf der Couch sitzt, kann so einiges lernen – über das Leben und seine Herausforderungen.

Die Geburt von Elsa Kromer – genau heute vor 105 Jahren – wurde nicht nur mit Freude aufgenommen: «So ein Unglück, noch ein Mädchen», soll eine Kundin zu ihrem Vater, dem Maler Tenz in Thayngen, gesagt haben. Der hat die Dame zwar zurecht­gewiesen, aber insgeheim hätte er sich wohl auch lieber einen Buben gewünscht, einen Erben für sein Geschäft. «Er hatte ja schon drei Mädchen», sagt Elsa Kromer. Sie muss lachen, denkt sie an das alles zurück. Ihre Kindheit sei sehr schön gewesen, auch wenn sie und die Schwestern immer mithelfen mussten. «Während andere Kinder draussen spielen durften, haben wir Farbkübel geschleppt», sagt sie. Und dabei sei sie immer so eine Zarte gewesen. Geschadet habe ihr die Arbeit aber nichts, vielmehr habe sie sie auf das Leben vorbereitet. In all den Jahren, die nun hinter ihr liegen, musste sie immer fleissig sein.

Unterwegs mit dem Rollator

Elsa Kromer wohnt heute im Alterszentrum Kirchhofplatz in Schaffhausen. Ihr Zimmer ist liebevoll eingerichtet. Auf dem Nachttischchen steht eine Vase mit roten Rosen darin, darüber hängt ein Bild, eine Skizze von dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist. Schaut man genauer hin, sind die Fenster und Türen mit Schwarz-Weiss-Fotos beklebt. Da schauen die Schwestern aus dem einen Fenster und dort die Mutter, da der Vater. Elsa Kromer hat es sich auf der Couch gemütlich gemacht. Sie sitzt fast gerade, beide Hände im Schoss gefaltet, die Lammfellfinken an den Füssen.

«Ich gehe häufig noch mit meinem Rollator zur Apotheke oder zum Coop. Die kennen mich dort alle schon.»

Trotz ihres hohen Alters ist sie noch fit. «Ich gehe häufig noch mit meinem Rollator zur Apotheke oder zum Coop», sagt sie, «die kennen mich dort alle schon.» Ansonsten, das gesteht sie etwas verlegen, schlafe sie einfach gerne. «Und es ist so schön, dass sie mich hier schlafen lassen», sagt sie, lacht wieder, und ihre Augen funkeln, als gäbe es nicht mehr Glückseligkeit. Überhaupt sei sie hier im Alterszentrum sehr zufrieden. Bis sie 95 Jahre alt war, hat die Seniorin ihren Haushalt noch so gut wie allein besorgt. «Aber dann ging das Treppensteigen nicht mehr so gut», sagt Elsa Kromer, «und ich musste immer in den Keller, um die Wäsche zu machen.» Da sei sie gar nicht unglücklich gewesen, als sie im Alterszen­trum aufgenommen wurde.

 

Seit 75 Jahren Witwe

Sich auszuruhen, das hat sich Elsa Kromer wirklich mehr als verdient. In ihrem Leben gab es immer wieder Schicksalsschläge. Eine ihrer Schwestern ist mit 13 Jahren an einer Hirnhautentzündung gestorben. Und als ihre Mutter mit 48 Jahren einen Schlaganfall erlitt, halbseitig gelähmt war und nicht mehr sprechen konnte, mussten sich die Mädchen abwechselnd um sie kümmern. «Erst nach einem halben Jahr hat sie wieder ein Wort gesagt», erinnert sich Elsa Kromer. Sie hätten ihr damals Tee serviert, und die Mutter hätte gestammelt: «heiss». «Da sind uns die Tränen runtergelaufen», sagt sie.

Aber damit nicht genug. Elsa Kromer heiratet mit 25 Jahren und zieht nach Stein am Rhein, bringt Tochter Margrith zur Welt, zwei Jahre danach stirbt ihr Ehemann Karl. Fragt man die Seniorin nach ihm, wird sie, die sonst recht gerne erzählt, zum ersten Mal ganz still. Man spürt, viel will sie dazu nicht sagen, vielleicht weil diese Erinnerungen ganz ihr gehören. Nur: «Es war Liebe auf den ersten Blick.» Nach seinem Tod bleibt sie 75 Jahre Witwe. Da gab es wirklich keinen, der sie in Versuchung geführt hätte, noch einmal zu heiraten? Die Antwort kommt prompt und energisch: «Mol, mol, da hat es schon ein paar gehabt, die mich gerne geheiratet hätten.» Aber sie habe dann letztlich doch immer nicht gewollt. Einer war ihr zu reich und zu angeberisch, der andere habe sich für ihr Kind nicht richtig interessiert.

Die beste Zickzacknäherin

Langweilig war es ihr in der Zwischenzeit nicht. Anfangs als junge Frau musste sie schliesslich für sich und ihre Tochter sorgen. Eine Ausbildung hatte Elsa Kromer nicht, da sie vor der Hochzeit ja immer im Malergeschäft und im Haushalt der Eltern tätig war. Da kommt die Chefin der Bäckerei Etzweiler in Stein am Rhein zu ihr: «Frau Kromer, wir brauchen Sie!». Also steht sie aushilfsweise an der Verkaufstheke, das Baby immer dabei. Und so wird es in ihrem Leben immer wieder heissen: «Frau Kromer, wir brauchen Sie!» Sie arbeitet mal als Kindermädchen, mal macht sie Heimarbeit, und in einer Näherei wird sie die beste Zickzacknäherin und macht Büstenhalter und Hösli. Zwischendurch ist sie auch noch die Verantwortliche fürs Restaurant Park Casino. «Das war wirklich sehr viel Arbeit», sagt sie. Da hätte sie ihr Kind vernachlässigen müssen, weshalb sie gekündigt habe. Zuletzt arbeitet sie bis zur Pensionierung in der Velo- und Felgenfabrik Weinmann.

Hört man Elsa Kromer so zu, ist man baff darüber, was sie alles gemacht, gestemmt hat. Wenn sie auf ihr Leben zurückblickt, ist sie zufrieden damit? Die Antwort kommt sofort: «Ja». Immer wieder habe sie den Mut gehabt, etwas Neues zu beginnen, und dadurch viel erlebt. Zu ihrem Geburtstag, den sie ganz ruhig im Kreise ihrer Verwandten feiern will, wünscht sie sich jetzt nur eines: dass ihre Tochter Margrith dabei sein kann. Die ist inzwischen 75 Jahre alt und hatte vor Kurzem eine schwere Operation. Hoffentlich erfüllt sich der Wunsch.

 

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