Wovor hatten die Nachbarn Angst?

Mark Liebenberg | 
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Hier seien Demenzkranke unerwünscht, behaupteten die Verantwortlichen beim Abbruch des Bauprojekts Demenzwohnhaus in Herblingen. Fraglich ist aber, ob das Umbauvorhaben den baulichen Auflagen entsprach. Bild: Selwyn Hoffmann

Anwohner haben ein Demenzwohnheim mit Einsprachen verhindert – so spricht das Land zurzeit über ein Baugesuch in Herblingen. Zweifel sind aber angebracht.

Die Geschichte war am letzten Samstag auf der Frontseite der grössten Zeitung des Landes zu lesen: Einsprachen von Nachbarn gegen eine geplante Demenz-Hausgemeinschaft im Dorfzentrum von Herblingen haben zum Abbruch des Projektes geführt. Der Schaffhauser Bauunternehmer Pius Zehnder musste sein 5-Millionen-Franken-Projekt zurückziehen und hat zur Strafe stattdessen Anfang Woche ein Erotikstudio in der ihm gehörenden Liegenschaft einquartiert – «Zehnders Rache» titelte «Blick online». In den Onlineforen häufen sich die hämischen Kommentare.

In den Spalten der SN hatten indes schon in den letzten Wochen mehrere Leserbriefschreiber ihre Entrüstung über die intoleranten Herblinger in deutlichen Worten kundgetan: «Armselig» sei das, man müsse sich schämen, von «Ausgrenzung von kranken Menschen» war die Rede.

Berechtigte Einwände?

Doch wollten die Quartierbewohner wirklich keine Kranken im Ortszentrum und bodigten deswegen das so sinnvolle, soziale und auch notwendige Projekt mit Einsprachen?

Die SN haben sich Zugang zu den Einsprachen der Anwohner verschafft und sie genau angeschaut. Sie stammen von drei direkt am fraglichen Grundstück an der Adresse Im Höfli 3 angrenzenden Nachbarn. Eine weitere Einwendung kommt vom Heimatschutz Schaffhausen. Eine Privatperson beschwert sich lediglich, dass das Bauvorhaben nicht korrekt ausgesteckt worden sei – der geplante Neubau werde höher als bei der Aussteckung sichtbar. Eine Nachbarin bemängelt, dass Abstandsregeln zu ihrem Grundstück nicht korrekt eingehalten würden. Für die Einzäunung des «Dementengartens» (den die Frau im Schreiben als «begrüssenswerte Idee» einstuft) mit einem hohen Zaun, der bis auf 1,5 Meter an ihren Garten heranreicht, sei sie in ihrer «Privatsphäre empfindlich gestört».

In allen privaten Einwendungen werden die geplanten Pult- und Flachdächer kritisiert. Das Gebäudevolumen sei beim eingereichten Bauprojekt insgesamt zu massiv. Kritisiert werden in den beiden ausführlicheren Schreiben der neue Aufbau eines Dachgeschosses, zu grosse Fensterflächen, die direkt auf die Nachbargrundstücke hinzeigen, sowie das Fehlen einer genügenden Parkplatzplanung für den projektierten Betrieb: Zwölf Einwohner, Besucher und vier bis sechs Mitarbeiter, die ständig im Haus anwesend gewesen seien, hätten kaum Parkplätze gehabt und ins Quartier ausweichen müssen, heisst es.

Der Heimatschutz wiederum bemängelt, dass der Bau «beliebig wirkt in einem von landwirtschaftlichen Bauten geprägten Dorfkern», und empfiehlt eine Überarbeitung des Erscheinungsbilds. Vorbehalte gegenüber dem eigentlichen Betrieb der Institution kommen in den Einsprachen nicht zur Sprache. Zwei der Einsprecher begrüssen in ihren Schreiben die Idee einer Demenzwohngruppe sogar ausdrücklich.

«Wenn die Anwohner vom Sinn eines solchen Projektes überzeugt gewesen wären, hätten sie sich keine Anwälte genommen, basta.»

Pius Zehnder, Bauunternehmer

Die Bauherren hingegen gaben Anfang September an, «zwischen den Zeilen» würden in den Einwendungen «klar Bedenken gegen die Nachbarschaft mit Menschen mit einer Demenzerkrankung deutlich» – mit diesen Worten ist auch der Rückzug des Baugesuches begründet. Vor allem die Beschwerden wegen angeblicher «Immissionen», die vom Betrieb ausgehen würden, hätten ihn und seine Partner davon überzeugt, dass «die Nachbarn das Projekt wohl grundsätzlich bekämpfen würden», sagte Zehnder damals.

Die entsprechende Stelle liest sich in der Einsprache aber anders. Der Rechtsvertreter zweier Nachbarn schreibt nämlich: «Durch den mit einem solchen Wohnheim verbundenen 24-Stunden-Betrieb entstehen neue und übermässige Immissionen durch Lärm, Licht, durch die Weg- und Zufahrten von Fahrzeugen, den Lieferantenverkehr etc.» Der Jurist schreibt aber gleich im nächsten Satz: «Daher müssen Abstände eingehalten werden gegenüber den Grundstücken der Einwender, deren Privatsphäre ist zu schützen bzw. zu beachten, sodass auf derartig grosse Fensterflächen zu verzichten ist.»

Sind das nicht berechtigte Einwände und courant normal bei Bauprojekten? Zehnder sagt auf Anfrage der SN: «Ich hatte einfach keine Lust, noch zwei Jahre mit Anwälten zu kämpfen.» Er bleibt dabei: Die Nachbarn wollten das Wohnheim bodigen. «Wenn die Anwohner vom Sinn eines solchen Projekts überzeugt gewesen wären, hätten sie sich keine Anwälte genommen, basta.» Die baulichen Einwände lässt Zehnder nicht gelten – alle relevanten baurechtlichen Vorgaben habe man eingehalten. «Aber unter den gegebenen Umständen habe ich die Reissleine gerissen», so der Unternehmer.

Kommission: Note ungenügend

Aber auch ohne die Einwände der Nachbarn hätte Zehnder das von ihm eingereichte Bauprojekt in der vorliegenden Form wohl nicht ohne Korrekturen verwirklichen können. Schon die Stadtbildkommission hatte nämlich gravierende Mängel festgestellt.

Wie Tina Nodari, Stabsleiterin im städtischen Baureferat, bestätigt, war das im Juni eingereichte Bauprojekt der Zehnder-Gruppe gleich in mehreren Punkten ungenügend. «Vor allem die Einpassung ins Dorfbild und das Gesamtvolumen des Anbaus entsprachen noch nicht den Vorstellungen der Kommission und der städtischen Fachstellen.»

In einem nächsten Schritt hätte die Baupolizei das Gesuch inhaltlich überprüfen müssen ebenso wie die Einsprachen dagegen. «Deshalb ist es spekulativ zu sagen, ob das Projekt in seiner vorliegenden Form überhaupt bis zur Bewilligungsfähigkeit hätte gebracht werden können», sagt Nodari.

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