Hagenturm und Randenhus wieder im Visier

Zwei Windkraftstandorte will der Kanton neu im Richtplan festlegen – zusätzlich zum Chroobach, dessen Planung bereits weit fortgeschritten ist. Die beiden neuen möglichen Standorte liegen im geschützten Gebiet.
Nachgefragt

Herr Kessler, die Regierung legt Hagenturm und Siblinger Randenhus als mögliche Windkraftstandorte im Richtplan fest. Was bedeutet das konkret?
Martin Kessler: An den beiden Standorten auf dem Randen existieren zurzeit keinerlei Projekte. Es sind aber zwei Standorte im Status des Zwischenergebnisses, die sich aufgrund der Abklärungen bereits aus der Windpotenzialstudie 2009 als geeignet für die Nutzung der Windenergie herauskristallisiert haben und die bereits im aktuellen Richtplan als Vororientierung enthalten sind.
Wieso kommt die Neubeurteilung gerade jetzt?
Kessler: Der Regierungsrat wollte die Abstimmungsergebnisse zur Energiestrategie 2050 des Bundes vom 21. Mai abwarten. Das Stimmvolk hat Ja gesagt – notabene auch die Schaffhauser Stimmbevölkerung. Zudem sind mit dem kürzlich erfolgten Abschluss der Umweltverträglichkeitsabklärungen im Projekt Chroobach die Voraussetzungen jetzt gegeben, diesen Standort im Richtplan festzusetzen, damit die nächsten Schritte an die Hand genommen werden können.
Aufgrund welcher Kriterien wurden die Standorte überprüft?
Kessler: In der aktuellen Anpassung ging es darum, die vier möglichen Standorte für Grosswindanlagen aufgrund neuer Erkenntnisse und Ergebnisse zu beurteilen, also etwa aufgrund der einsetzbaren Technologie, Windverhältnisse, Ertrag, Wirtschaftlichkeit, Raumplanung und Umwelt sowie Aspekten wie Schattenwurf, Lärm, Sichtbarkeit. Die Beurteilung hat zur Einschätzung geführt, auf den Standort Wolkensteinerberg im oberen Kantonsteil zu verzichten.
Aber die beiden Standorte Hagenturm und Randenhus Siblingen liegen in einem Schutzgebiet von nationaler Bedeutung.
Kessler: Diese Diskussion muss geführt werden! Mit dem Ja zum neuen Energiegesetz wurden die Interessen des Naturschutzes und der Energieversorgung auf den gleichen Level gesetzt. Eine Interessenabwägung hat demzufolge stattzufinden.
Der Kanton Thurgau hat wegen der Kritik an Grosswindanlagen beschlossen, die konkreten Standorte erst in einer späteren Revision festzulegen. Wieso prescht Schaffhausen hier vor?
Kessler: Ja, der Thurgauer Regierungsrat hat eine leicht andere Vorgehensweise beschlossen. Windenergieanlagen sind Anlagen mit weiträumigen Auswirkungen. Sie bedürfen aber einer Planungsgrundlage im kantonalen Richtplan. Sowohl der Kanton Schaffhausen als auch Thurgau beschreiten diesen Weg. Es ist unsere Pflicht, die Stromversorgung für die Zukunft sicherzustellen, und diese gehört den erneuerbaren Energien. Die Windenergienutzung ist Teil der Lösung.
Interview: Mark Liebenberg
Dagegen würden selbst die drei Windturbinen von Verenafohren alt aussehen: Fünf, respektive sieben Windräder an zwei Standorten im Randen – nein, zum jetzigen Zeitpunkt ist nichts dergleichen geplant. Aber ein mögliches Szenario zeichnet die Regierung des Kantons Schaffhausen vor. Im Rahmen der Überarbeitung des Kapitels Windenergie im kantonalen Richtplan hat der Regierungsrat eine Aktualisierung und Neubeurteilung der bekannten Grosswindstandorte im Kanton Schaffhausen vorgenommen. Die Ergebnisse liegen nun vor: Vier mögliche Standorte wurden neu untersucht und bewertet. Der Chroobach und der Wolkensteinerberg im oberen Kantonsteil, der Standort Hagenturm im Hochranden sowie das Gebiet Randenhus, beim gleichnamigen Ausflugsrestaurant in der Gemeinde Siblingen.
Schon eine Windpotenzialstudie aus dem Jahr 2009 hatte diese Standorte als geeignet definiert. Neue, präzisere Windressourcenberechnungen kommen jetzt zum Schluss, dass, wenn alle vier Standorte realisiert würden, 82 bis 108 Gigawattstunden an Strom produziert werden könnten – fast doppelt so viel, wie noch vor acht Jahren angenommen.
Siblingen: Erschliessung schwierig
Gemäss Erläuterungsbericht zur Richtplanrevision soll der Standort Chroobach in der Gemeinde Hemishofen von der Richtplankategorie Zwischenergebnis in die Kategorie Festsetzung befördert werden. Das Vorhandensein eines konkreten Projekts und die umfangreichen Vorarbeiten der letzten drei Jahre haben die Errichtung eines Windparks auf dem Hügelzug an der Grenze zwischen der Gemeinde Hemishofen und dem baden-württembergischen Schienerberg nach Ansicht der Regierung gut reifen lassen. Bereits wieder ausgeschieden ist dagegen der Wolkensteinerberg auf der Grenze zwischen den Gemeinden Hemishofen und Stein am Rhein. Die Nähe zu einem international bedeutsamen Wasser- und Zugvogelreservat macht eine Nutzung dort laut Bericht aus ornithologischer Sicht unwahrscheinlich. Der Kanton hat deshalb mitgeteilt, dass er auf eine Weiterverfolgung am Wolkensteinerberg verzichtet (siehe SN vom 25. August).
Als «kritisch» stuft der Bericht auch den Standort Randenhus ein, der sich nördlich und östlich des gleichnamigen Restaurants erstreckt und die Hügel Ebenhau und Lang Randen beinhaltet. Besonders die Erschliessung des potenziellen Standorts für bis zu sieben mögliche Windräder erscheint schwierig. Dies könne sich jedoch ändern, falls die Transportindustrie neue Lösungen auf den Markt bringe.
Der Standort Hagenturm befindet sich auf dem höchsten Punkt des Randens (912 m ü. M.) an der Grenze zu Deutschland, 2,5 km nordöstlich von Beggingen und zum Teil auf Gemeindegebiet von Merishausen. Mit minimal zwei und maximal fünf Windturbinen mit Nabenhöhen bis 140 Metern, sei dieser Standort gut geeignet, Windkraft optimal zu ernten, steht im Bericht.
Mitten im Schutzgebiet
Der Haken ist bloss, dass die beiden interessanten Standorte Hagenturm und Randenhus im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) sind. Das neue nationale Energiegesetz erhöht zwar die Chancen, auch in diesen Gebieten Windenergieprojekte realisieren zu können, indem eine Abwägung zwischen nationalen Schutz- und Nutzungsinteressen ermöglicht wird. Aber Konflikte sind da vorprogrammiert. Denn zu Eingriffen ins BLN-Schutzgebiet würde die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkomission (ENHK) wahrscheinlich ein Wörtchen mitreden. Deren Präsident, der frühere Schaffhauser Regierungsrat Herbert Bühl, lässt sich auf Anfrage nicht in die Karten blicken. «Die ENHK hat im Rahmen eines Vorprüfungsverfahrens zu den vorgeschlagenen Änderungen der Schaffhauser Regierung gegenüber dem Bundesamt für Raumentwicklung eine Stellungnahme verfasst. Diese wurde in einem verwaltungsinternen Verfahren erstellt und ist nicht öffentlich.» Bühl verweist aber auf die Stellungnahme der ENHK zur geplanten Energieverordnung (siehe Kasten links).
Im Rahmen der öffentlichen Auflage der Teilrevision des kantonalen Richtplans bis am 20. Oktober können sich nun alle Interessenten zum Inhalt äussern. Darauf basierend kann der Richtplan fertiggestellt, vom Regierungsrat beschlossen und dem Kantonsrat zur Genehmigung vorgelegt werden.
Chroobach: Erste konkrete Entscheide fallen bereits im nächsten Jahr

Die Planungsarbeiten rund um den Windpark Chroobach mit vier Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von je 200 Metern und einer Leistung von je rund 3 Megawatt in der Gemeinde Hemishofen gehen weiter. Dies sagt Projektkoordinator Patrick Schenk, der die Planungsarbeiten im Auftrag der Projektträgerschaft aus EKS AG und SH Power leitet. «Wir haben die notwendigen Untersuchungen zur Umweltverträglichkeit ausführlich und auf lokale Bedürfnisse ausgelegt. Dies hat Zeit benötigt. Wir sind aber nach wie vor im Plan», so Schenk. Mit dem Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfungen ist die Voraussetzung gegeben, diesen Standort im Richtplan festzusetzen. Es folgt anschliessend eine Prüfung der kantonalen Ämter. «Gleichzeitig ist nach zehn Sitzungen die erste Phase des Begleitprozesses abgeschlossen», sagt Schenk. Vor einem Jahr waren mehrere Personen im Protest aus der Begleitgruppe ausgetreten. «Nach dem Austritt ging die Arbeit konstruktiv weiter. Wir haben gegenüber den ausgetretenen Personen die Türen stets offen gelassen, ebenso neuen Interessierten.» Zudem sei man auch offen für den Dialog mit Betroffenen aus dem benachbarten Deutschland. «Als Nächstes stehen weitere Detailplanungsarbeiten an, die Weiterführung eines geeigneten Mitwirkungsprozesses sowie die Vorbereitung für die kommunale Nutzungsplanungsänderung.» Die Gemeindeversammlung von Hemishofen muss nämlich der Änderung ihres Zonenplans zustimmen. «Mit der Eingabe der Nutzungsplanungsänderung rechnen wir Anfang 2019. Erst danach kann die Gemeindeversammlung darüber entscheiden», sagt Schenk. Zunächst müssen jedoch die Änderungen im kantonalen Richtplan noch durch den Kantonsrat. Wenn die Gemeinde Ja sagt zur Nutzungsplanungsänderung, dann erst kommt es zu einem Baubewilligungsverfahren.(lbb)
Eidgenössische Kommission: Energischer Protest
Neue oder bestehende Windkraftanlagen oder Windparks gelten als von nationalem Interesse, wenn sie mindestens 10 Gigawattstunden pro Jahr produzieren – dies will der Bundesrat nach der Annahme der Energiestrategie im Mai 2017. Die Schwelle, ab wann eine Anlage von «nationalem Interesse» sei, werde damit so tief angesetzt, dass die Schutzwirkung der Bundesinventare im Bereich Natur- und Heimatschutz «komplett ausgehebelt» werde, schreibt die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) in einer Stellungnahme. Die Folge: Jedes Mal müsste eine Interessenabwägung vorgenommen werden, und der Natur- und Heimatschutz würde nicht mehr in jedem Fall höher gewichtet werden, wenn es gegen Projekte Einsprachen gibt. So könnten Windkraftanlagen mit nur gerade zwei Turbinen zum «nationalen Interesse» erklärt werden, schreibt die ENHK. Damit unterlaufe man die Ziele des Natur- und Heimatschutzgesetzes in einem «wohl frivolen Ausmass», schreibt die Kommission.(lbb)