Die Tortour macht ihrem Namen alle Ehre

Daniel F. Koch | 
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Richtig kämpfen mussten die Teilnehmer an der diesjährigen Tortour. Starkregen und heftiger Sturm begleiteten die Radsportler auf ihrem Weg durch die Schweiz.

«Die Tortour ist eine grosse Herausforderung und verlangt allen alles ab. Es ist keine Kissenschlacht», kommentierte Adrian Horat langjähriges OK-Mitglied und als ­Interviewer im Zielraum im Einsatz, etwas scherzhaft das, was die Teilnehmer an der Tortour erlebt hatten. Der grösste mehrtägige Nonstop-Ultra­cycling-Event der Welt mit Start und Ziel in Schaffhausen machte seinem Namen alle Ehre. Die Radsportler und deren Crews waren gefordert. In zwei Tagen ist eine 1000 Kilometer lange Nonstop-Rennstrecke über fünf Alpenpässe rund um die Schweiz zu meistern. Gefahren wird Tag und Nacht, solo oder im Team. «Das harte, schweiss­treibende Abenteuer verspricht unvergessliche Emotionen und ein einzigartiges Raderlebnis», werben die Organisatoren des Anlasses. Wer sich aber dieser Herausforderung stellt, muss hart mit sich selbst und darf nicht zimperlich sein.

Beissen beim Aufstieg

Roger Nachbur, der Sieger der diesjährigen Tortour aus Stein im Fricktal verriet, was er gefühlsmässig durchmachen musste: «Der Aufstieg auf den Sustenpass war richtig hart», so der glückliche Sieger. «In der Abfahrt konnte ich mich aber gut erholen und fühlte mich danach wieder fit. Das Unwetter am Jaunpass war jedoch so heftig, dass ich für kurze Zeit im Auto warten musste, bis das Schlimmste vor­über war. Wegen grosser Müdigkeit machte ich in der Nacht zwei kurze ­Powernaps, das half», erklärte Nachbur im Ziel. Bei den Organisatoren um Roy Bruderer und seinem Team in der Rennzentrale sind solche extremen Wetterkapriolen ein Grund, dass die Alarmlampen aufleuchten. «Wir verfolgen natürlich das Wetter und den Wetterverlauf ganz genau. Zieht sich ein Unwetter zusammen, werden Vorsichtsmassnahmen eingeleitet. Die Teams werden per SMS informiert. Ebenso wenn es Streckensperrungen gibt», erklärte der OK-Präsident. Dort wird dann entschieden, ob die Fahrer warten wie der Sieger Nachbur oder weiterfahren. Das wiederum kann ganz gefährlich werden, zum Beispiel wenn ein Baum auf die Strasse fällt oder heftiger Wind den Fahrern das Leben schwer macht. «Letztlich entscheiden die Teams, was gemacht wird», sagt Bruderer. Oder das Gefühl der Fahrer. Oft ist es natürlich besser, bei Starkregen im Begleitfahrzeug zu warten, bis eine Weiterfahrt ohne grosses Risiko wieder möglich ist.

Bei der Siegerehrung konnten die Teilnehmer, egal in welcher Kategorie gestartet wurde, immer wieder Anekdoten vom Rennen zum Besten geben. Sei es, dass in Waldstücken Wildtiere die Strecke kreuzten oder jede Menge Kröten über eine nasse Strasse hüpften. Überall gab es spannende Geschichten zu hören. Doch nicht nur die Fahrer hatten etwas zu erzählen. Mindestens ebenso viel können die Begleitpersonen berichten. Franco Marvulli beispielsweise, immerhin viermal Weltmeister, fünfmal Europameister und mindestens 29-mal Schweizer Meister auf der Bahn, der die Tortour selbst schon mehrfach gefahren ist: «Wenn man seine Aufgaben als Betreuer ernst nimmt, ist das mindestens so anstrengend, wie wenn man als Fahrer unterwegs ist», so Marvulli, der 2013 seine Karriere beendete und heute als Moderator, Vortragsredner und Veranstalter tätig ist.

Marvullis Erfahrungen teilt auch René Girsberger. Der Unternehmer aus Unterstammheim führte lange Jahre eine Radsportgruppe (Rufalex). Er hatte in der Kategorie Mixed ein Viererteam zusammengestellt und fuhr mit einem Kollegen auf der Tour mit. «Ein hartes Stück Arbeit war das. Weil unser Team so gut harmoniert hat, hat sich diese Arbeit aber letztlich gelohnt», erklärte Girsberger bei der Siegerehrung. Sein Team gewann die Kategorie Vierer mixed.

SRF begleitete die Siegerin

Während die Kommunikation mit den Aktiven vorwiegend über die sozialen Medien läuft und viele Artikel in Printmedien veröffentlicht werden, durften sich die Organisationen in diesem Jahr auch über aktuelle Berichte im Schweizer Fernsehen freuen. Die Sendung «Sport aktuell» begleitete ­Nicole Reist, die Favoritin und spätere Gesamtsiegerin, auf der 1000-Kilometer-Strecke. Die Bilder, die über den Bildschirm flimmerten, zeigten, was die Veranstaltung ausmacht: tolle Landschaften und viel Leidenschaft bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Kein Wunder, fasste OK-Präsident Roy Bruderer in einer ersten Analyse der Tortour 2017 seine Gefühle so zusammen: «Wir sind mit dem ganzen Anlass auf dem richtigen Weg.» Die Jubiläums-Tortour findet 2018 vom 16. bis zum 19. August statt.

Tortour-Erlebnis als Vorbereitung auf Paracycling-WM

Neben Fabian Cancellara war Heinz Frei einer der bekanntesten Starter an der Tortour. Für den 15-fachen Gold- medaillengewinner an Paralympics war der Wettkampf die Einstimmung auf die Paracycling-WM in Südafrika, die in einer Woche stattfindet.

«Wenn es passt, absolviere ich gerne die Tortour», sagt Heinz Frei (59). Im nacholympischen Jahr kam der Wettkampf für ihn gerade recht. Zusammen mit Ehefrau Rita absolvierte der Behindertensportler, der als Pionier im Rollstuhlsport gilt, in der Kategorie Zweierteam das mittlere Tortour-Format, die Challenge. Dieser Wettkampf führt über 525 Kilometer. «Ich kenne die Tortour, weil ich schon in einem Vierer- und einem Sechserteam gefahren bin», erzählt Heinz Frei.

Wieder einmal hatte das in Oberbipp lebende Ehepaar Frei wie so oft, ein gemeinsames grosses sportliches Ziel vor Augen. Grosse Ziele hat der Paraplegiker schon viele erreicht. 15 Goldmedaillen an Paralympics machen Frei zum erfolgreichsten Behindertensportler der Schweiz. Meistens ist auch Rita Frei an der Seite ihres Gatten. «Neun Goldmedaillen habe ich an Sommerspielen und sechs an Winterspielen im Langlaufschlitten geholt», erzählt Frei. Der Start in Schaffhausen, auf den sich Rita und Heinz Frei gemeinsam intensiv vorbereitet haben, ist für beide vor allem ein spannendes Erlebnis, sowohl sportlich als auch wegen der Natur und der grossartigen Landschaft. «Nach der Tortour hat jeder Teilnehmer etwas zu erzählen. Das ist eine der schönsten Seite dieser Anlasses», sagt Frei, der die Strecke mit dem Handbike absolviert hat. Vor allem bei Regen kann das eine unangenehme Sache werden, weil das Wasser sich auf dem Sitz sammelt. Bei der Tortour lief es aber optimal. Vor allem für Rita Frei, die mit ihrer Leistung mehr als zufrieden war. «Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder so zwäg sein werde, wie in diesem Jahr», zog sie ihr persönliches Fazit. Jede Etappe hatte das Team 2 Arme und 2 Beine, das mit der Startnummer 222 unterwegs war, in der Vorbereitung abgefahren, um sich mit der Strecke vertraut zu machen. «Meine Frau ist eher die Planerin, ich bin der Prag- matiker, der mit Urvertrauen an den Start geht», lacht Heinz Frei, wenn er nach der Aufgabenteilung im Team gefragt wird.

Üben für die Paracycling-WM

Für den prominenten Sportler, der sich vor allem auf die Handbike-Weltcup-Rennen fokussiert, ist der Tortour-Start bereits Teil der Vorbereitung auf die Paracycling-WM, die vom 31. August bis zum 3. September in Pieter-maritzburg in Südafrika ausgetragen wird. «Mit meiner Erfahrung starte ich dort gelassen und schaue, was herauskommt. Die Grundfitness und die Tortour sind eine ideale Vorbereitung auf diesen Wettkampf.» Beweisen muss Frei sich und der Konkurrenz mit seinem Palmarès nichts mehr. Mit dieser Gewissheit reist er gelassen an die ­Titelkämpfe.

«Meine Ambitionen sind die eines Spielverderbers. Ich darf, muss aber nichts gewinnen. Unter diesem Motto trete ich an», lacht der Glatzkopf. Wenn das für die nächste Medaille reicht, bitte schön. Heinz Frei nimmt sie gerne in Empfang.

Das Schicksal hat bei Heinz Frei früh zugeschlagen. Er war erst 20 Jahre alt, als er bei einem Berglauf so schwer stürzte, dass die Diagnose Querschnittslähmung gestellt werden musste. Bei der Verarbeitung dieses für einen jungen Menschen brutalen Schicksalsschlags, hat der Sport Heinz Frei geholfen. «Sport ist ein wichtiger Teil des Lebens», hat Frei aus eigener Erfahrung gelernt. Seinen Lebensweg und das Wissen daraus bringt der 59-Jährige auch in seine Arbeit ein. Seit 18 Jahren arbeitet Heinz Frei im Zen­trum der Paraplegiker-Stiftung in Nottwil und ist dort zuständig für den Nachwuchssport.

Präsident der Gönnervereinigung

Ausserdem amtet er als Präsident der Gönnervereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, die alljährlich rund 70 Millionen Franken an Beiträgen zusammenbringt. «Man kann sagen, dass ich die Querschnittsgelähmten und jene, die ihnen nahestehen, ­repräsentiere», beschreibt Frei seine Aufgaben. Ausserdem ist er Ansprechperson im Nachwuchssport. «Dabei kann ich meine Lebenserfahrung an die Patienten weitergeben», erzählt er. Und den vom Schicksal gebeutelten jungen Menschen Mut machen, um die Realität anzunehmen. Frei ist ein kompetenter Partner. Mit dem Sport kann er neue Ziele und Motivation für das Leben im Rollstuhl vermitteln. Und ­eines kann Heinz Frei mit Gewissheit sagen: Wenn er mit den jungen Leuten in Nottwil arbeitet, glaubt ihm jede und jeder. «Meine Arbeit ist nicht nur Beruf für mich, sondern Berufung!», erklärt er. Nach 22:59:08 Stunden haben Rita und Heinz Frei das Ziel in der IWC-Arena in Schaffhausen erreicht.

Ganz besonders hat sich das Ehepaar gefreut, dass der Schaffhauser Paraplegiker Albert Marti, der im letzten Jahr selbst an der Tortour gestartet war, spätabends an der Strecke stand und die Freis anfeuerte.(dfk)

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