Die letzte Fahrt der alten «Schaffhausen»

Alfred Wüger | 
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Heute vor 50 Jahren fuhr die alte «Schaffhausen» zum letzten Mal, und zwar zum Abwracken nach Romanshorn. Noch immer ist das Ende des letzten Flussraddampfers auf dem Rhein ein emotionales Thema.

Es ist der Morgen des 24. Mai 1967, als die alte «Schaffhausen» um 9.30 Uhr zum letzten Mal von der Schifflände in Schaffhausen ablegt. Es geht zum Abwracken nach Romanshorn. Über die letzte Fahrt des letzten Schaufelraddampfers auf Untersee und Rhein ist zwei Tage später in dieser Zeitung zu lesen: «Zuverlässig, wie es beim Dampfbetrieb notwendig und üblich war, arbeiteten Mannschaft und Maschine vorbildlich präzis zusammen, und niemand hätte dem Schiff seine 54 Jahre gegeben, wenn nicht sein leeres, riesiges Deck und seine zerstörten Kajüten an ein Totenschiff erinnert hätten.»

Das war schönfärberisch und wehmütig zugleich. Denn seetüchtig und tauglich für einen regelmässigen Einsatz war das Schiff damals nicht mehr, da bereits im Oktober 1966 das Eidgenössische Amt für Verkehr den Dampfer für die Personenbeförderung gesperrt hatte. Vor dem Kloster Katharinental vertäut, war das Schiff kein erbauender Anblick. Die Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein wollte das Schiff verschrotten, da «die zur Erneuerung der Betriebsbewilligung erforderlichen Aufwendungen für eine Totalrevision Kosten von mindestens 200 000 Franken verursachen würden», wie der damalige Direktor Robert Osterwalder sagte. Kein Pappenstiel, hatte doch 1910 das neue Schiff mit 220 000 Franken zu Buche geschlagen.

Kleinaktionäre wurden überstimmt

An der Generalversammlung der Schifffahrtsgesellschaft vom 18. Mai 1967 kam Folgendes heraus: «Mit 2489 gegen 452 Aktienstimmen schloss sich gestern die Generalversammlung der Schweizerischen Schiffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein der Meinung des Verwaltungsrats der Gesellschaft an, dass sich eine Wiederinstandstellung der alten ‹Schaffhausen› nicht rechtfertigen lasse.» Auch Edi Joos, heute Präsident des Vereins Pro Dampfer, der sich für einen modernen Dampfer als Touristenattraktion auf dem Rhein starkmacht, sagt: «Ich erinnere mich lebhaft an die grosse Spannung und die Redeschlachten.» Diese Generalversammlung besiegelte das Schicksal des Schiffes.

Abschied ohne Zeremonien

Schon eine Woche später wurde das Schiff in den Obersee nach Romanshorn gefahren. Robert Osterwalder in den «Schaffhauser Nachrichten»: «Die ‹Schaffhausen› wird nun also heute Mittwoch im Laufe des Tages mit eigener Kraft nach Romanshorn verbracht. Die Überführung geschieht als reine Dienstfahrt, und es werden keinerlei Zeremonien veranstaltet.» Ganz so nüchtern ging der letzte Tag der alten «Schaffhausen» dann doch nicht vonstatten, denn, so war später zu lesen, «als die ‹Schaffhausen› am Konstanzer Hafen vorbeifuhr, ertönten Schiffsirenen der im Hafen liegenden Schiffe. Böllerschüsse begleiteten das stolze Schiff zu seiner letzten Fahrt in den Obersee.»

Einer, der damals das Ereignis fotografisch festhielt, ist der Steiner Schiffsfan Paul Keller. Seine Bildersammlung zeigt vor allem auch die technischen Seiten der alten «Schaffhausen». Was wäre eigentlich, wenn die «Schaffhausen» vor 50 Jahren nicht verschrottet worden wäre? Wäre sie noch im Einsatz heute? Kaum, denn mit den aktuellen Sicherheitsbedürfnissen wäre sie wohl nicht mehr kompatibel. Paul Keller: «Mich schmerzt zwar, dass, die «Schaffhausen» verschrottet wurde, aber was der Verein Pro Dampfer plant, ist ein Bluff.»

Buchtipp: «Schaffhausen – das letzte Dampfschiff auf Untersee und Rhein», Verlag Meier, 1969

Dampfer: Ehrgeizige Pläne mit neuer Technik

Die «Schaffhausen»war 44,5 Meter lang, über die Radkästen 9,3 Meter breit und ausgelegt für 400 Personen. Mit ihrer Heissdampf-Verbundmaschine war das Schiff Zeuge einer grossen und klassischen Epoche der Technik.

Der Verein Pro Dampferwill ein Dampfschiff modernster Bauart mit Pelletheizung, einem Steuerhaus im vorderen Schiffsdrittel, einer Länge von rund 50 Metern und einer Breite von gut 9 Metern in Betrieb setzen. Vorgesehen ist sogar eine Schleppmöglichkeit für Weidlinge, wie sie auch die alte «Schaffhausen» gehabt hat.

Sechs Jahre Steuermann: Der Ermatinger Kapitän Hans Ribi absolvierte seine Lehrjahre auf der alten «Schaffhausen»

hans

Er sei unglaublich gerne mit der alten «Schaffhausen» gefahren, sagt der letzte Steuermann des letzten Dampfschiffs auf Untersee und Rhein, Hans Ribi aus Ermatingen, heute Kapitän im Ruhestand. «Dass die ‹Schaffhausen› verschrottet wurde, fand ich nicht gut», sagt er. «Das tat mir weh. Aber der Aufwand für die Renovation war einfach zu hoch.»

1958 war Hans Ribi zur Schifffahrt gekommen. Nach kurzer Lehrzeit auf der «Kreuzlingen» und der «Stein am Rhein» wurde er im Jahre 1960 auf der «Schaffhausen» Steuermann. Da war er 22 Jahre alt.

«Wenn man mit Köpfchen fuhr, konnte man es sich leichter machen.»

Hans Ribi, URh-Kapitän im Ruhestand

Das Steuerhaus auf dem Dampfer befand sich am Heck. «Du sahst nicht nach vorn, konntest das Dampfschiff nicht fahren wie ein Motorschiff. Ich sah nur bis zum Kamin.» Man musste also praktisch blind fahren. Und weil das Schiff vor allem ein Schönwetterschiff war, sassen auf den Radkästen zudem oft Passagiere, und zwischen Kamin und Steuerhaus wurde ein Sonnensegel gespannt. «Da habe ich zwischen den Köpfen und dem Segeldach nach vorne gespäht.»

Warum oft die Polizei an Bord war

In den Jahren 1962/63, so Ribi, sei an schönen Sonntagen oft die Polizei mitgefahren, weil damals die Anzahl der Freizeitboote zugenommen habe, was wegen der schlechten Sicht des Steuermanns die Kollisionsgefahr erhöht habe. Die Besatzung des Schiffes habe sieben Mann betragen, so Ribi. «Zwei waren hinten im Steuerhaus, der Kapitän stand auf der Leiter am Radkasten und gab Befehle in den Maschinenraum, wo der Maschinist und der Heizer wirkten. Dazu kamen der Kassier und ein Matrose.»

Im Übrigen sei trotz des bisweilen hohen Kraftaufwandes beim Steuern Fingerspitzengefühl notwendig gewesen. Und eine ausgezeichnete Kenntnis der Strömungsverhältnisse auf dem Rhein, denn je nach Wasserstand verändere sich der Druck der Strömung auf das Schiff. «Je nachdem habe ich dann eben eine Kurve drei Meter weiter oben genommen», sagt Ribi, und: «Wenn man mit Köpfchen fuhr, konnte man es sich leichter machen.» Neben Köpfchen und Fingerspitzengefühl habe es auch Präzision gebraucht. Und eine Portion Mut und Selbstvertrauen. «Wenn wir unter der alten Steiner Brücke durchfuhren, hatten wir links und rechts von den Radkästen jeweils nur einen guten Meter Platz.»

Auch die Rheinbrücke von Diessenhofen hatte es in sich. «Kaum waren wir durch, mussten die Schaufelräder rückwärts laufen, dann haben wir stromaufwärts und rückwärts angelegt», so Ribi. In Schaffhausen allerdings wurde mit dem Bug gegen den Strom angelegt, was bedeutete, dass man unterhalb der Werft wendete und das Schiff mit dem Heck voran unter der Eisenbahnbrücke hindurchmanövrierte. Damit das klappte, musste die Ausrichtung des Schiffes genau stimmen. Aber auch die Hafeneinfahrt von Kon­stanz war anders zu nehmen, als es heute mit Schottelantrieb und Bugstrahlruder möglich ist: «Wir mussten jeweils zweimal ansetzen. In einem einzigen Bogen schafften wir es nicht.»

Wer Hans Ribi zuhört, merkt: Das ist ein Fahrkünstler mit einer Erfahrung, die es heute auf Untersee und Rhein so nicht mehr gibt. «Früher fuhren wir nach Landmarken und bei Nebel mit Kompass, Uhr und Logbuch», sagt er. «Jetzt gibt es GPS und Radar.»

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