Die meisten kommen nach dem Vollmond

Maria Gerhard | 
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Sehr zufrieden mit der Saison ist der Schafhalter Willi Wirz aus Schleitheim: Rund 60 Lämmer springen derzeit über seine Wiese. Er bemüht sich, bei jeder Geburt dabei zu sein. Für ihn ist das immer wieder ein Erlebnis.

Willi Wirz ruft nur einmal laut «Hopp» quer über die Weide, und schon löst er damit eine Lawine aus. 100 weisse und kaffeebraune Schafe, dicht an dicht, springen auf ihn zu oder genauer auf den Futtereimer in seiner Hand. Kurz wird einem bei diesem Ansturm etwas mulmig. Wirz jedoch, der in seinen grünen Gummistiefeln breitbeinig dasteht, ist ganz der Felsen in tosender See. Die Schafe zupfen am Eimer, ­jedes will einen Happen. Doch der 66-Jährige hat die Tiere mit dem Futter nur angelockt. Als er jetzt mit grossen Schritten die Wiese durchmisst, die kurz vor Schleitheim liegt, heftet sich die ganze Herde geschlossen an seine Fersen.

Seit rund 40 Jahren hält Wirz Schafe. Vom Klauenschneiden bis zum Scheren, zu tun gibt es immer etwas. Zurzeit ist Wirz als Hebamme unterwegs. Denn gerade kommen die Lämmer auf die Welt. «Rund 60 Stück sind es bis jetzt», sagt er. Und es würden noch mehr. Wirz ist damit sehr zufrieden. Er bemüht sich, bei jeder Geburt dabei zu sein. Und er hat in all den Jahren die Erfahrung gemacht, dass vor allem nach Vollmond die Lämmer kommen. Dann muss er zum Teil um Mitternacht oder noch später auf der Weide sein. Bei einer dieser Nacht­aktionen wollte ihn sogar einmal die Grenzwacht verhaften. Es klärte sich jedoch alles auf. «Ich habe dann gesagt: ‹Ihr könnt mir grad helfen›», meint Wirz lachend. Dass er so manchmal um seinen Schlaf gebracht wird, macht ihm nichts aus. «Hauptsache, die Tiere sind gesund.» Bei manchen Geburten sei seine Hilfe einfach vonnöten.

 

 

Und anscheinend macht Wirz seine Arbeit sehr gut. Denn es gibt auch Schafe, die ihre Niederkunft tatsächlich so lange hinauszögern, bis ihr Besitzer auf der Weide erscheint. «Sie stehen dann schon am Zaun und halten Ausschau nach mir», sagt er.

Während Wirz erzählt, springen ­einige Lämmer um ihn herum. Es gibt weisse, aber auch schwarze und ausserdem Drillinge, die ein geschecktes Fell haben. Als Wirz eines hochhebt, zappelt es kaum in seinen Armen. Es sei sehr wichtig für einen Schafhalter, bei den Geburten dabei zu sein. So würden die Tiere Vertrauen aufbauen. «Sie reagieren dann nicht aggressiv, wenn ich mich später ihren Lämmern nähere.» Und auch wenn er bei so vielen Geburten schon dabei war, kommt er nicht umhin, einzugestehen: «Es ist immer wieder ein Erlebnis, so unmittelbar dabei zu sein. Erst kommen die Beine, und dann sieht man auch schon das Näsli.»

«Schlachten gehört halt auch dazu»

Wirz muskulöser Körper und die kräftigen Hände zeugen von der vielen körperlichen Arbeit. Wirz hält auch Hochlandrinder in Freilandhaltung. Er begegnet all seinen Tieren mit einer gewissen Zärtlichkeit. Einmal streichelt er einem Schaf ruppig den Kopf, dabei lehnt er seine Stirn an die des Schafes. «Die Tiere, die Arbeit draussen auf der Weide, das alles verschafft mir eine gewisse Ruhe», versichert er. Aber auch wenn seine Tiere ihm wirklich am Herzen liegen, wird er ein paar Lämmer schlachten lassen. «Das gehört halt auch dazu», sagt er, «sonst wird die Herde zu gross.»

Ein Schaf ist Willi Wirz ganz besonders ergeben. Es heisst «Plärri», weil es als Kleines immer so viel geschrien hat. Das Tier wurde im letzten Jahr geboren. Für sein Alter ist es allerdings viel zu klein. Es hat irgendwann einfach aufgehört zu wachsen, es ist ein sogenannter Kümmerling. Schaf «Plärri» folgt Wirz – wann immer möglich – auf Schritt und Tritt. Als der Schafhalter bergab läuft, zu seiner Holzhütte, wo er unter anderem das Futter aufbewahrt, läuft «Plärri» neben ihm her. Und wie sie da so laufen und das Tier seinen Herrn ab und an von der Seite anschaut, könnte man fast meinen, sie führen einen Unterhaltung.

Biblische Symbolik: Das «Lamm Gottes» ist eine Kurzformel, in der sich Traditionen und theologische Inhalte verdichtet haben

«Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte: ‹Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.›» Dies sagt Johannes der Täufer im Johannesevangelium. ­Woher kommt diese eigentümliche Bildrede? Einerseits klingt hier das Alte Testament, die Hebräische Bibel, an, wo bei den Beschreibungen des ­Opferkultes in Jerusalem die Rede von ­Opferlämmern ist. Im neutestament­lichen Petrusbrief wird Christus als makelloses Opferlamm dargestellt: «… denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes …»

Das Lamm ist in der Hebräischen Bibel vielfach bezeugt als Symbol der Unschuld, so auch in der Friedensvision im 5. Kapitel des Jesaja-Buches: «Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.» Ausserdem heisst es im Gottesknechtlied, auf das die Erzählung vom Leiden Jesu im Neuen Testament Bezug nimmt: «Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.»

Die Schafherde wiederum steht im Alten Testament für das Volk Israel, und Gott ist der Hirte, sodass im ­Johannesevangelium Jesus dann von sich selbst sagt: «Ich bin der gute Hirte.» Hier klingt der 23. Psalm an – «Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln» – sowie Jesaja 43, 1, wo es heisst: «Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, mein bist du», wie eben auch der gute Hirte seine Tiere einzeln kennt. Aber schon im ganzen Alten Orient, bei den Sumerern, Akkadiern, Assyrern, Babyloniern sowie später bei den Griechen und den ­Römern wurde das Bild des Hirten auf Herrscher und Verantwortungs­träger aller Art angewendet.

Als Jesus dann die Jünger ausschickt, schickt er sie «wie Lämmer unter die Wölfe». Wiederum im Johannesevangelium wird die christliche ­Gemeinde als Herde bezeichnet, die wehrlos ist ohne Hirt.

Teufel und Kreuz in der Sagenwelt

Ein weiterer Hintergrund zeigt sich in der Formulierung des «Wegnehmens der Sünde». Hier klingt das Sündenbockmotiv an. Der Priester im alten Israel übertrug die Sünden des Volkes auf einen Ziegenbock, und ­dieser wurde zum Dämon Asasel in die Wüste getrieben. Wie das geschah, schildert 3. Mose 16, 8–21.

Den Ziegenbock, der dem Teufel dargebracht wird, kennt auch die ­mittelalterliche Sage, etwa diese: Die Urner scheiterten immer wieder an der Errichtung einer Brücke über die Schöllenenschlucht. Schliesslich rief ein Landammann ganz verzweifelt aus: «Do sell der Tyfel e Brigg bue!» Der Teufel erschien und verlangte als Gegenleistung die Seele desjenigen, der als Erster die Brücke überqueren würde. Die Urner schickten einen Geissbock auf den neuen Weg, und der zornige Teufel trug einen haushohen Stein herbei, mit dem er die Brücke zerschlagen wollte. Es begegnete ihm aber eine fromme Frau, die ein Kreuz auf den Stein ritzte. Den Teufel verwirrte das Zeichen so sehr, dass er beim Werfen des Steines die Brücke verfehlte. Der Stein fiel in die Schlucht hinunter, blieb unterhalb des Dorfes Göschenen liegen und wird seit ­damals «Teufelsstein» genannt.

 

 

Zurück zum Lamm: Das griechische Wort für Lamm (amnos) kommt im Neuen Testament viermal vor (Joh 1, 29; Joh 1, 36; Apg 8, 32; 1 Petr 1, 19). Immer ist damit Jesus gemeint, aber nur im Johannesevangelium ist der Ausdruck «Lamm Gottes» (ho amnos tou theou) zu finden.

Die Rede vom «Lamm Gottes, das die Sünde der Welt fortnimmt», ist nicht einfach. Nicht umsonst hat das Christentum eine sehr anspruchsvolle und komplizierte Theologie, in deren Kern indes stets das Verhältnis des Einzelnen zu Gott steht, ein Verhältnis, das gemäss den Evangelien durch den Tod Jesu am Kreuz ein für allemal ins Reine gebracht wurde.

Das «Lamm Gottes» war schon früh Bestandteil der Liturgie und ist als «Agnus Dei» Bestandteil der h-Moll-Messe von Bach und auch von Händels Oratorium «Messias», dort als «Kommt her und seht das Lamm».

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