Wenn das Mami «Chäferli» in der Brust hat

Maria Gerhard | 
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Mutter und Sohn: Auch wenn der Zweijährige noch nicht wissen konnte, was Brustkrebs wirklich bedeutet, fühlte er doch, dass es seiner Mutter nicht gut ging. Bild: Selwyn Hoffmann

Vor sieben Monaten wurde bei Emilia Winzeler* Brustkrebs diagnostiziert. Heute geht es ihr wieder gut. Die Mutter zweier kleiner Kinder will Mut machen, trotz Krankheit positiv zu bleiben.

Wie sagt man es seinen Kindern, wenn man schwer krank ist, wenn man Brustkrebs hat? Emilia Winzeler hat ihren ganz eigenen Weg gefunden. Ihre Tochter war fünf Jahre alt. «Ich hab mich eines Morgens vor dem Kindergarten an ihr Bett gesetzt und sie einfach gefragt, ob sie mehr darüber wissen möchte, dass das Mami krank ist», sagt die 35-Jährige. Sie sei nicht verwundert gewesen, als ihre Tochter mit Ja geantwortet habe.

Anfangs versuchte es Winzeler noch kindgerecht: «Ich hab in der Brust etwas, das dort nicht hingehört, vergleichbar mit Chäferli.» Worauf die Tochter fragte: «Sind das denn wirklich Chäferli?» Da musste das Mami weiter ausholen. Sie erzählte ihr von Zellen, die nicht lieb, sondern böse seien. Ihre Tochter habe nach dem Gespräch nicht geweint. «Ich glaube aber, es war ihr durchaus bewusst, dass es um mich sehr, sehr schlecht stand.»

Die Haare wachsen wieder

Winzeler sitzt in ihrem Wohnzimmer am Esstisch. Sie kommt aus der Nähe von Schaffhausen. Während sie erzählt, hält sie ihre Teeschale mit beiden Händen fest umfangen. Um den Kopf trägt sie ein malvenfarbenes Tuch, das gut zu ihren blauen Augen passt. Die Haare darunter sind nur zwei, drei Millimeter lang. «Immerhin wachsen sie wieder», sagt sie und lächelt. Immer positiv bleiben, das ist ihre Art, mit der Krankheit umzugehen. An den Wänden hinter ihr hängen Schilder mit englischen Sprüchen wie «Glück ist kein Ziel, es ist eine Lebensart». Nur Sprüche, könnte man sagen, aber ihr Inhalt muntert etwas auf. Gerade, wenn einen die letzten Monate an die eigenen Grenzen gebracht haben.

Es war im Juni letzten Jahres, als sich in Winzelers Leben alles änderte: Sie ist allein daheim, steht vor dem Spiegel im Badezimmer und ertastet an der rechten Brust etwas Hartes. Noch ist sie nicht sehr beunruhigt. Aber zur Sicherheit geht sie zur Frauenärztin, die zunächst auch nur an eine Zyste denkt. Nach der Mammografie hat sie jedoch eine andere Meinung: Das Geschwür sieht bösartig aus. Winzeler kann sich an diesen Moment noch gut erinnern: «Es hat sich angefühlt, als würde dir jemand eins mit der Pfanne überziehen.» Ihr Kopf ist blutleer, sie kann ihre Gedanken nicht ordnen. Die Ärztin hat dann gleich noch einen Ultraschalltest gemacht. Eine Biopsie, bei der Zellen entnommen und untersucht werden, bringt schliesslich die Bestätigung: Brustkrebs.

Allerdings musste Winzeler bis zu dieser endgültigen Diagnose ein paar Tage warten. Eine fürchterliche Zeit voller Ungewissheit. «Ja, man hat Hoffnung, und ich bin nicht christlich, aber ich habe gebetet.» Ständig sehe man seine beiden Kinder an und frage sich: Was wird jetzt? Winzeler hat noch einen zweijährigen Sohn. Während des Gesprächs mit den SN passt seine Grossmutter auf ihn auf. Einmal entwischt er der Oma und rutscht im Sitzen Stufe für Stufe die Treppe hinunter, dabei strahlt er über das ganze Gesicht. Er will eine Süssigkeit. Als er mit der Oma schliesslich wieder in sein Zimmer geht, erzählt Winzeler weiter. «Es war abgemacht, dass die Ärzte zuerst meinen Mann bei der Arbeit anrufen, damit er es mir sagt.» An diesem Tag kommt er eher nach Hause – da weiss sie es. Ein Schock. Und der erste Gedanke: «Muss ich jetzt sterben?»

Ihre Mutter kommt an diesem Abend, um auf die Kinder aufzupassen. Winzeler geht mit ihrem Mann zum Reden ins Schlafzimmer, möglichst weit weg von den Kleinen. «Dort hab ich geheult und geheult.» Ihre Tochter hört es trotzdem und schreit. Sie will zum Mami. «Also hab ich mich zusammengerissen, bin hin und hab sie getröstet.» Der nächste Gedanke: «Meine Kinder dürfen nicht ohne mich aufwachsen.» Als die Kleinen mit der Oma weg sind, braucht sie frische Luft. «Ich muss raus», sagt sie nur zu ihrem Mann und zieht die Strassenschuhe an. Sie rennt über die nahe gelegene Wiese, in den Wald hinein. Läuft schnell und noch schneller, so lange, bis sie einfach nicht mehr kann.

Vor allem für ihre Kinder reisst sie sich aber in den nächsten Tagen und Wochen zusammen. Wenn sie weint, dann unter der laufenden Dusche. Sie reist sich auch zusammen, als sie im Brustzentrum Zürich vor dem Arzt sitzt und das erste Mal das Wort «Chemotherapie» hört. Nur als bekannt wird, welche Art von Krebs sie hat, fällt sie für ein paar Tage in ein Tief: «triple negative», die gefährlichste Form von Brustkrebs.

Drei Stunden Chemotherapie

Es tut ihr sehr gut, dass im Brustkrebszentrum in Zürich sofort alle Massnahmen getroffen werden. «Das ging zack, zack, ich hatte keinen Moment zum Verschnaufen, und das war gut so.» Anfangs geht sie jeden Dienstag für drei Stunden zur Chemotherapie. Winzeler zieht ihren Pullover am Halsausschnitt etwas nach unten, oberhalb der linken Brust ist eine kleine, längliche Narbe zu erkennen. Dort wurde ein Portkatheter angebracht. Die Chemo macht sie müde, der Weg nach Zürich ist ihr oft zu weit. Also kümmert sich auch das Team um Hannes Michel von der Onkologie Schaffhausen um sie. Winzeler fühlt sich dort sehr aufgehoben. Die Chemotherapie schlägt gut an, der Tumor wird kleiner, verschwindet bald ganz. Diesmal weint sie aus purer Freude. Die Patientin ist sich sicher, dass auch ihre positive Einstellung bei der Heilung geholfen hat. «Ich hab die Chemo nicht als Übel gesehen, sondern als etwas, was mir hilft, wieder gesund zu werden.»

Ihr Mut verlässt sie auch nicht, als ihr ständig übel ist und die Haare allmählich ausfallen. Sie liegen auf dem Teppich, dem Sofa. «Einmal hab ich meinen Mann gebeten, sie mit dem Staubsauger aus dem Bett zu saugen, weil ich sie nicht mehr sehen konnte.» Zwei Wochen nach dem Start der Chemo wacht sie morgens auf, die Haare komplett verfilzt. «Ich stand dann im Badezimmer und hab mir Strähne für Strähne vom Kopf gezogen, bis das Waschbecken voll war.» Einer der schlimmsten Momente überhaupt. Auch weil ab diesem Zeitpunkt die Krankheit für alle sichtbar war. Nun stellte sich die Frage: Perücke oder Mütze? «Mit der Perücke habe ich mich verkleidet gefühlt, also habe ich sie weggelassen.»

Auch wenn der Tumor auf dem ­Ul­traschallbild nicht mehr zu sehen ist, wird Winzeler trotzdem operiert, das betroffene Gewebe muss entfernt werden. Bei dieser Gelegenheit wurden auch zwei Wächterlymphknoten entnommen. Und dann erneut der Schock: Auch die waren vom Krebs befallen. «Da war ich immer positiv, hatte immer ein Lächeln im Gesicht und dann das.» Da sei sie so richtig hässig geworden, auf die Welt, das Schicksal und überhaupt alles. Im Auto hört sie ganz laut Musik, als sie nach Hause fährt, und nachdem die Kinder im Bett sind, rennt sie wieder, diesmal sogar durch die dunkle Nacht. Ihr Mann und ihre Mutter machen sich Sorgen, warten zu Hause, nehmen sie fest in den Arm, als sie zurückkommt. «Ich hab meiner Familie so viel zu verdanken», sagt Winzeler, «sie war immer für mich da, wie Engel.» Ihr Mann habe sie zu jedem Termin, oft auch zur Chemotherapie, begleitet.

Die Erlösung kommt per Telefon

Mit so viel Rückenwind entscheidet sie sich letztlich, erneut zu kämpfen. Bei der zweiten Operation werden in der rechten Brust alle Lymphknoten entfernt. Danach folgt wieder eine ­Chemotherapie, wieder fallen ihr die Augenbrauen aus. Doch es wirkt. Dass alles gut wird, erfährt Emilia Winzeler zu Hause am Telefon, von ihrem behandelnden Arzt persönlich. Den Hörer noch in der Hand muss sie sich nach der Nachricht erst einmal auf den Fussboden setzen, Tränen laufen über ihre Wangen, sie ist sprachlos – vor Glück.

*Name geändert

Jubiläum 10 Jahre – Tumortage Winterthur

Zahlreiche Workshops werden bei den 10. Tumortagen in Winterthur angeboten. Sie finden am 10./11. Februar in der School of Management and Law in Winterthur statt. Unter anderem werden Themen behandelt wie «Was passiert bei der Bestrahlung eines Tumors?» oder «Moderne Medikamente in der Krebstherapie». Die Vorträge und Workshops werden für Patienten, Angehörige und Interessierte ausgerichtet. Weitere Informationen gibt es unter: www.tumortage.ch.

Nachgefragt: Katrin Breitling, Leitende Ärztin der Frauenklinik der Spitäler Schaffhausen

Jedes Jahr werden in der Frauenklinik der Spitäler Schaffhausen 70 bis 80 Patientinnen betreut, die neu an Brustkrebs erkrankt sind. Die Leitende Ärztin Katrin Breitling wird sich an den Tumortagen Winterthur mit Kollegen und Besuchern über die neuesten Therapievorschläge austauschen.

Frau Breitling, was darf man sich unter einem interdisziplinärem Tumorboard vorstellen?

Katrin Breitling: Wir werden in Winterthur eine Art Tumorkonferenz inszenieren. Aus Schaffhausen werden auch der Chefarzt Radiologie und Nuklearmedizin, Stefan Seidel, und der Leitende Arzt der Onkologie, Giannicola D’Addario, dabei sein. Wir nehmen darauf Bezug, dass die Brustkrebszentren jeder Patientin einen Therapievorschlag unterbreiten. Bei unserer Konferenz stellen wir nun reelle, anonymisierte Fälle vor. Wir zeigen anhand von Bildern, wie die jeweilige Diagnose gestellt wurde und diskutieren mit den Besuchern anschliessend.

Was sagt die aktuelle Forschung über die Ursachen von Brustkrebs?

Es ist nicht möglich, Krebs auf eine einzelne Ursache zurückzuführen. Es gibt verschiedene Risiko­faktoren. Darunter kann eine familiäre Belastung fallen, aber auch falsche Ernährung. Generell kann man sagen, dass sich unser Lebensstil im Laufe der Geschichte stark verändert hat. Wir sind unsportlicher geworden, und manche konsumieren auch zu viel Zigaretten und Alkohol. Ausserdem bekommen wir unsere Kinder im Vergleich relativ spät, im Durchschnitt mit 31 Jahren. Die Forschung hat aber gezeigt, dass bei einer Frau, die bereits ab 18 Jahren mehrere Kinder geboren hat und möglichst lange Stillzeiten hatte, das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, weit geringer ist als bei älteren Müttern.

Ist es empfehlenswert, sich durch Abtasten regelmässig selbst zu untersuchen?

Gesunden Frauen empfehlen wir das eigentlich nicht. Tasten zählt nicht als Vorsorgeuntersuchung. Je nachdem, wie gross die Brust ist, können auch nicht alle Stellen gleich gut ­ertastet werden. Wenn eine Frau es trotzdem machen will, sollte sie das am Anfang, nicht am Ende ihres Menstruationszyklus tun. Während der Menstruation verändert sich nämlich die Brust. Und natürlich ist es ratsam, einen Arzt zu konsultieren, wenn man etwas, mehr oder weniger zufällig ertastet hat.

Bei welchen Symptomen sollte man unbedingt einen Arzt aufsuchen?

Breitling: Wenn zum Beispiel aus der Brustwarze Flüssigkeit austritt, bei Hautrötungen oder wenn sich die Form der Brust verändert. Aber auch bei Schmerzen in der Brust, die unregelmässig auftreten. Viele Frauen haben dort vor ihrer Menstruation leichte Schmerzen, das ist normal. Auch Knötchen unter der Achsel können ein Indiz sein.

Welche verschiedenen Methoden gibt es für die Diagnose, um sicherzugehen?

Die Mammografie ist nach wie vor die erste Wahl. Durch sie wird auf einer Röntgenplatte die ganze Brust abgebildet. Die Ultraschalluntersuchung gilt als Zusatzmethode. Dann gibt es noch die Biopsie, bei der man Gewebeproben entnimmt, um zu bestimmen, ob der Tumor gut- oder bösartig ist. Relativ neu ist die Tomosynthese, eine Art dreidimensionale Mammografie. Dabei werden Schnittbilder von der Brust untersucht. Eine sehr gute Weiterentwicklung.

Angelina Jolie hat sich das Brustdrüsengewebe vorsorglich entfernen lassen. Bei ihr lag das Brustkrebsrisiko bei etwa 87 Prozent. War das sinnvoll?

Ganz klar: ja! Alternativ könnte man natürlich regelmässig Untersuchungen durchführen. Aber so hat sie das Risiko auf 5 Prozent gesenkt. Ein grosser Unterschied. Und heute gibt es gute Möglichkeiten, die Brust mit körpereigenem Gewebe wieder aufzubauen. Bei einem konkreten Fall werden wir aber mit den Betroffenen ein intensives Gespräch führen, um Vor- und Nachteile aufzuzeigen.

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