Die Sucht lauert im Hustensirup

Janosch Tröhler | 
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Codeinhaltiger Hustensirup – ein leeres Fläschchen, gefunden im Kreuzgang Schaffhausen. Bild Robin Blanck

Schaffhauser Apotheken spüren einen starken Anstieg der Nachfrage bei bestimmten Hustensäften – vor allem von Jugendlichen. Der Wirkstoff Codein wird als legale Droge missbraucht. Doch die Sucht kann gefährlich werden.

«Ich habe mit einem Freund Codein genommen. Wir schauten einen Film, und wir fanden alles ziemlich lustig. Danach rauchten wir einen Joint. Dann ging es bergab, es war kein guter Trip mehr», erzählt Fabian (Name d. Red. bekannt). Der 19-Jährige ist einer von vielen, die die neue «Trenddroge» Codein ausprobieren. Im Gegensatz zu Cannabis ist Codein einfach und legal erhältlich – in Form von gewissen Hustensirups in Apotheken.

Nachfrage stark gestiegen

Auf Anfrage der SN bestätigen mehrere Schaffhauser Apotheken: Die Nachfrage ist in den vergangenen Monaten stark angestiegen. Bereits 14-Jährige versuchen an den Hustensaft zu kommen. Weil das Opiat Codein erhebliche Risiken birgt (siehe Box), haben die Apotheker nun Massnahmen ergriffen. Entweder geben sie das Medikament unter 30 Jahren nur gegen Rezept ab oder generell erst mit der Volljährigkeit. Ein Apotheker aus Schaffhausen, der anonym bleiben möchte, setzt auf die Ausweispflicht: «Auf dem Beipackzettel steht ab 18 Jahren, alles andere ist Willkür.» Zudem werden die Personalien der Kunden erfasst. «Wir verkaufen zwischen 40 und 50 Flaschen pro Monat. Ich schätze, drei Viertel der Kunden wollen den Kick. Aber wir sind keine Polizei. Die Problematik müsste national geregelt werden.» Im September verkaufte seine Apotheke jedoch über 100 Flaschen. Ob die Nachfrage aufgrund der Grippewelle oder einer strikteren Politik in anderen Apotheken angestiegen ist, kann er nicht beurteilen.

Stationärer Entzug

Obwohl der codeinhaltige Hustensaft rezeptfrei erhältlich ist, sind die Wirkungen alles andere als harmlos. Das Informationsportal saferparty.ch beschreibt Nebenwirkungen von Erbrechen über Juckreiz bis hin zu Erektions- und Menstruationsstörungen.

Ein Entzug könne gleich schmerzhaft und lang wie bei Heroin sein. Das bestätigt Suchtberater Patrik Dörflinger: «Alle Codein-Klienten, die ich betreut habe, mussten in stationäre Behandlung.» Aktuell habe er jedoch keine Fälle von Codein-Abhängigkeit.

«Eine Gratwanderung»

Kantonsapothekerin Cora Hartmeier hätte die Kompetenz, Empfehlungen im Umgang mit der Abgabe auszusprechen. «Wir werden keine Empfehlung abgeben», sagt Hartmeier. Eine Rezeptpflicht hätte nur begrenzt Einfluss auf den missbräuchlichen Konsum. «Die Konsumenten weichen dann einfach in den Kanton Thurgau oder Zürich aus.»

Hartmeier vertraut auf die Kompetenz der einzelnen Apotheken und begrüsst die autonom getroffenen Massnahmen. Eine effektive Lösung, etwa in Form einer Rezeptpflicht, läge in der Kompetenz von Swissmedic, der Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel. «Allerdings ist die Rezeptpflicht eine Gratwanderung zwischen Bevormundung und persönlicher Freiheit», so Hartmeier. Zudem sei eine Rezeptpflicht auch immer ein finanzieller Mehraufwand. «Für uns ist die Situation unangenehm», sagt der anonyme Apotheker. «Wir sind ein Dienstleistungsbetrieb und möchten unsere Kunden bedienen. Ich habe bereits die Preise für den Hustensaft erhöht, in der Annahme, dass die Jungen preissensibel sind. Es blieb wirkungslos.»

Swissmedic hat 2015 die Abgabe von Codein eingeschränkt und eine Rezeptpflicht bis zum zwölften Lebensjahr eingeführt. Die Behörde schreibt in einer Mitteilung, dass das Problem bekannt sei und überwacht werde. Sollte sich die Problematik verschärfen, könnten weitergehende Massnahmen ergriffen werden, schreibt Swissmedic weiter.

Auch ein soziales Problem

Der Schaffhauser Apotheker sieht hingegen die Gefahr in der Überregulierung: «Wir haben mit der Kombination von Codein und einem Antihistamin wie im Hustensaft ein hervorragendes Heilmittel. Leider wird es missbraucht. Würde man es verbieten, müssten Patienten auf zwei separate Medikamente ausweichen, die zusammen die gleiche Wirkung erzielen.» Er hat dank der erfassten Personalien einen genaueren Einblick in das Kundensegment: «Ich bemerke, dass es oft Secondos sind, die Hustensaft kaufen. Es ist also mehr dahinter als nur der Rausch. Es ist auch ein soziales Problem.»

Auch Dörflinger äussert Bedenken: «Einschränkung des Zugangs kann durchaus Missbrauch verhindern, wenn auch nicht vollständig beseitigen.»

Ein Verbot fordert niemand. Vorerst sei die Prävention wichtig, meint Hartmeier: «Schulen und Eltern müssen bei der Prävention stärker in die Pflicht genommen werden.»

Fachstelle «überrascht»

Die Fachstelle für Gesundheitsförderung, Prävention und Suchtberatung zeigt sich überrascht von der angestiegenen Nachfrage. «Wir haben weder von den Schulen noch von den Elternorganisation Hinweise erhalten», sagt Erich Bucher von der Fachstelle. «Opiate waren seit den 90ern kein grosses Thema mehr.» Bucher begrüsst die Massnahmen der Apotheken: «Die Vorkehrungen sind ein Signal an die Jugendlichen. Der Zugang wird schwieriger. Man sollte sich aber nichts vormachen: Die Jungen können sich organisieren.» Durch Einschränkungen wird die Grundlage für einen Schwarzmarkt geschaffen. Ältere kaufen in der Apotheke und verkaufen dann weiter.

Fehlt es der Fachstelle an Quellen, dass die Problematik nicht bekannt war? Bucher verneint, die aktuellen Umfragen reichten völlig aus. Aber man hinke immer hinterher. «Für uns ist aber klar, dass wir die Eltern und die Schulen auf diese Thematik aufmerksam machen.»

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