Grenzregionen entgingen 2.1 Milliarden Franken während Lockdown

Ralph Denzel | 
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Blieben während des Lockdowns weitgehend leer: Supermärkte in Deutschland. Bild: Ralph Denzel

Als die Schweiz Mitte März die Grenzen schloss, blieben in den Grenzregionen die Kunden aus der Eidgenossenschaft aus. Das hatte laut einer Studie von Credit Suisse massiv positive Auswirkungen auf die Schweizer Läden.

Die Grenzschliessung brachte den Einkaufstourismus praktisch zum Erliegen. Was in der deutschen Grenzregion für leere Supermärkte und ebenso leere Kassen sorgte, brachte für die Händler auf der Schweizer Seite ungeahnte Umsätze, wie ein Bericht von Credit Suisse nun zeigt. Dazu wurden die Umsätze mit Debitkarten nachverfolgt und ausgewertet. Die Ergebnisse sind dabei verblüffend: So boomte der Handel in ländlichen Gebieten regelrecht. Im Klettgau beispielsweise verzeichnete Credit Suisse knapp 45 Prozent mehr Umsätze mit Kreditkarten im Vergleich zum Vorjahr. Deutlich zeigen sich bei den Umsätzen auch die Hamsterkäufe, die es vor allem im März gab: In diesen Monaten verbuchten die Detailhändler laut Credit Suisse ein Umsatzplus von 20 Prozent. Die geschlossenen Grenzen verstärkten diesen Effekt nochmals. Als am 15. Juni die Grenzen wieder geöffnet wurden, gab es «nur» noch ein Umsatzplus von sieben Prozent.

Während die Food-Betriebe sich über steigende Umsätze freuen konnten, war die Lage für für Non-Food-Betriebe bitter: Diese hatten bereits vor dem Lockdown mit Umsatzeinbussen in Folge des Einkaufstourismus zu kämpfen. Mit der vom Bundesrat angeordneten Schliessung am 16. März verschärfte sich die Lage nochmals: Für den März beziffert Credit Suisse die Umsatzeinbussen auf 20 Prozent, im April lagen sie sogar bei 40 Prozent. Mit den ersten Lockerungsschritten, etwa der Öffnung von Baumärkten, Blumenläden und Gärtnereien am 27. April stiegen die Umsätze wieder etwas.

Weniger Effekte in den Städten

Die positiven Effekte auf die Food-Händler war allerdings vor allem auf dem Land zu spüren – in den Städten wie etwa Schaffhausen waren sie deutlich weniger zu spüren. Dies hat laut Tiziana Hunziker, Ökonomien bei Credit Suisse, verschiedene Gründe. «Einerseits konkurrierten in Städten mehr Lieferdienste und Take-aways um Anteile mit traditionellen Food-Detailhändlern», so Hunziker in einer Medienmitteilung. «Andererseits blieb in städtischen Gebieten ein Grossteil des Pendlerverkehrs aus.» Letzterer sei im Hinblick auf Gelegenheits- und Convenience-Einkäufe an Bahnhöfen und wichtigen Verkehrsachsen von Bedeutung. Die Verbreitung von Home-Office vor allem in der Dienstleistungsbranche habe hingegen das lokale Einkaufen in der Nachbarschaft gestärkt und die Food-Detailhändler in ländlichen Gebieten unterstützt.

2.1 Milliarden Franken «entgangener» Einkaufstourismus

Wie sah die Lage aber «ennet» der Grenze aus? Um dem Einkaufstourismus annährend zu bestimmen, haben Forscher der Universität St. Gallen und Novalytica im Projekt Monitoring Consumption Switzerland die Kreditkartenbuchungen betrachtet und danach die Umsätze berechnet. Die Forscher gehen aufgrund der Daten davon aus, dass Schweizer wegen geschlossener Grenzen in Deutschland für 14 Millionen Franken, in Frankreich für 8 Millionen Franken, in Österreich für 2 Millionen Franken und in Italien für 6 Millionen Franken weniger eigekauft haben – pro Woche. Der 13-wöchige Lockdown, während dem die Grenzen geschlossen waren, dürfte also 390 Millionen an mit Debitkarten finanziertem Einkaufstourismus unterbunden haben. Einkäufe, die mit Kreditkarten oder Bargeld beglichen werden, sind in dieser Schätzung nicht enthalten. Insofern können wir davon ausgehen, dass der insgesamt «entgangene» Einkaufstourismus in Tat und Wahrheit noch deutlich höher war.

Credit Suisse schätzt, dass im Jahr 2019 ungefähr 5.5 Milliarden Franken allein über Kreditkartenausgaben in den Einkaufstourismus geflossen sind. Unter der Annahme, dass alternative Zahlungsmethoden wie Kundenkarten oder Mobile Payments im Ausland vernachlässigt werden können, ergibt sich ein Bargeld-Anteil von ungefähr 35 Prozent jenseits der Schweizer Grenzen. Auch Daten der SNB zu Bezügen an Geldautomaten in der Schweiz deuten auf einen Bargeld-Anteil in dieser Grössenordnung hin. Überträgt man diesen Anteil auf die Einkaufstourismus-Schätzung von Credit Suisse, ergeben sich weitere 3 Milliarden Franken, die Schweizer in den Nachbarländern für Food/Near-Food und Non-Food Einkäufe ausgeben haben. Insgesamt dürfte der so errechnete Einkaufstourismus im Jahr 2019 gerundet 8.5 Milliarden betragen haben.

Das bedeutet: Legt man diese Zahlen auf das Jahr 2020 um, dann dürfte man von ungefähr 2.1 Milliarden Franken «entgangenem» Einkaufstourismus von März bis Juni ausgehen.

Credit Suisse unterstreicht jedoch, dass diese Schätzungen auf mehreren vereinfachenden Annahmen basieren. «Gewisse Ungenauigkeiten rühren daher, dass nur für Debitkarten-Transaktionen die entsprechenden Händler-Kategorien verfügbar sind und dass der Gesamtbetrag der Kreditkarten- und Bargeld-Transaktionen im Bereich Einkaufstourismus deshalb geschätzt werden muss», so die Bank. Zudem handle es sich bei der Zuweisung der zwei Kategorien «Food und Supermärkte» und «Weiterer Detailhandel» zum Einkaufstourismus um eine Annährung, die auch Einkäufe während Ferien, Städtetrips oder Geschäftsreisen in den Nachbarländern umfasse.

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