Kantonsgericht spricht bedingte Freiheitsstrafe für junge Raserin aus

Isabel Heusser | 
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Zu schnell unterwegs (Symbolbild): Die Beschuldigte fuhr auf der Mühlentalstrasse Tempo 100 statt 50. Bild: Selwyn Hoffmann

Tempo 100 statt 50: Weil ihr Mann einen Asthmaanfall hatte, raste eine Frau durchs Mühlental.

Die Anträge sind vorgelesen, jetzt hat die junge Frau das letzte Wort. Ob sie etwas sagen wolle?, fragt sie der Gerichtsvorsitzende Andreas Textor. «Nein», antwortet die 26-Jährige so leise, dass man sie kaum hört im Kantonsratssaal, und senkt den Kopf.

Es ist ein ungewöhnlicher Fall, der gestern vor dem Kantonsgericht verhandelt wurde. Ungewöhnlich deshalb, weil die Beschuldigte als Raserin verurteilt wurde – meistens sind es Männer, die Raserdelikte begehen. Und: Die junge Frau hat nicht an einem nächtlichen Rennen teilgenommen, sondern ist an ­einem Montagmorgen Ende August 2017 viel zu schnell auf der Schaffhauser Mühlentalstras­se unterwegs gewesen, mit Tempo 100 statt 50. Die Begründung der jungen Frau: Sie sei in Panik geraten, weil ihr Mann, der neben ihr im Auto gesessen habe, einen Asthmaanfall gehabt habe.

In Polizeikontrolle geraten

Um die Hintergründe der Tat zu erklären, muss die Beschuldigte aus dem Kanton Schaffhausen, die einen kleinen Sohn hat, ausholen. Am Tag vor der Tat sei ihr Mann von einer Biene gestochen worden. Das Bein sei angeschwollen und ihr Mann beunruhigt gewesen: «Er hat oft allergische Reaktionen.» An besagtem Montagmorgen fuhr die junge Frau ihren Mann zum Hausarzt, die Schwiegermutter schaute währenddessen nach dem Kind. Der Arzt habe das Paar dann mit einem Spray zur Behandlung des Bienenstichs wieder nach Hause geschickt, so die junge Frau. Darüber, was dann geschah, gibt es verschiedene Versionen – auch von der Beschuldigten selbst. Kaum seien sie und ihr Mann im Auto gesessen, habe ihr Mann einen Asthmaanfall bekommen: «Ich hatte Angst um ihn und geriet in Panik.» Ihr Mann habe sie dann während der Fahrt darauf aufmerksam gemacht, dass sie mit Tempo 100 statt der erlaubten 50 Kilometer pro Stunde fahre, obwohl es ihm gar nicht so schlecht gehe: «Da wollte ich bremsen.»

Zu spät: Auf der Mühlentalstrasse, auf der Höhe des Tennisplatzes, geriet sie in eine Polizeikontrolle und musste ihr Auto stehen lassen. Später wurde es eingezogen. «Haben Sie denn nicht gemerkt, dass Sie viel zu schnell unterwegs waren?», will der Richter wissen. Die Beschuldigte schüttelt den Kopf. Sie habe nicht auf den Tacho geschaut, sondern sich um ihren Mann gesorgt. Auf die Frage, wie schlimm denn der Asthmaanfall gewesen sei, antwortet sie: «Nicht so schlimm, und er kann sich gut beruhigen in so einer Situation, das hat er in seiner Kindheit schon gelernt.»

«Ich hatte Angst um meinen Mann und geriet in Panik.»

Die Beschuldigte

Weshalb sie trotzdem in Panik geraten ist, kann sich die Frau, die im Gesundheitsbereich arbeitet, nicht recht erklären. Warum sie denn nicht zurück zur Arztpraxis gefahren sei oder den Notruf gewählt habe?, fragt der Richter. Die Beschuldigte zuckt mit den Schultern: «Ich dachte, es ist besser, nach Hause zu fahren.» Dort habe ihr Mann einen Asthmaspray. «Beim Hausarzt wäre es viel zu lange gegangen, bis er reagiert hätte.» Ausserdem habe sie nach Hause zu ihrem Sohn gewollt. Die Schwiegermutter habe zuvor in der Praxis angerufen und gesagt, dass das Baby weine.

100 statt 6100 Franken Busse

Staatsanwältin Carol Ritter glaubt die Geschichte mit dem Asthmaanfall nicht. Von ­einem Notstand, der das zu schnelle Fahren rechtfertige, könne nicht die Rede sein. Die Beschuldigte habe bei der Einvernahme angegeben, dass der Anfall bereits auf dem Parkplatz des Hausarztes eingesetzt habe. Der Arzt hätte den Anfall lindern können, so Ritter. Auch die Sorge um den Sohn sei kein Grund: «Die Schwiegermutter sah nach ihm.» Durch das zu schnelle Fahren habe sie das Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern in Kauf genommen. Ritter fordert wegen qualifizierter grober Verletzung der Verkehrsregeln und Missachten einer mit dem Führerausweis verbundenen Auflage – die Beschuldigte hatte weder Brille noch Kontaktlinsen getragen – eine bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren, dazu eine Busse von 6100 Franken. Ausserdem soll sie das Auto nicht zurückbekommen.

Der Rasertatbestand sei erfüllt, sagt auch der amtliche Verteidiger der Beschuldigten, Rechtsanwalt Dieter Schilling. Die bedingte Freiheitsstrafe ficht er nicht an, genauso wenig die Busse. Schilling beantragt aber, das Auto der jungen Frau wiederzugeben. Weder habe sie besonders skrupellos gehandelt, noch gebe es eine negative Prognose zu ihrer «automobilistischen Zukunft».

Richter Andreas Textor bleibt in seinem Urteil teilweise unter dem von der Staatsanwältin beantragten Strafmass. Er verurteilt die Frau zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren, dazu muss sie 100 Franken Busse zahlen. Das Auto bekommt sie wieder. Weder habe sie sich besonders skrupellos verhalten, noch sei das Einziehen des Autos nötig, um die junge Frau vor weiteren Verkehrsdelikten zu bewahren, so Textor. Als die Urteilsverkündung vorbei ist, ist der jungen Frau die Erleichterung über das Urteil ins Gesicht geschrieben.

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