«Es gibt keinerlei Überheblichkeitsgefühle»



Für den FCS steht morgen (19 Uhr) das Topspiel des Jahres gegen den FC Zürich an. FCZ-Präsident Ancillo Canepa wird den Match live verfolgen – und hofft auf einen Sieg.
InterviewAncillo Canepa, seit fast zehn Jahren Präsident des FC Zürich
INTERVIEW TOBIAS ERLEMANN, ZÜRICH
Ancillo Canepa, erinnern Sie sich noch an Ihren letzten Besuch auf der Breite?
Ancillo Canepa: Das ist noch gar nicht so lange her. Ich war bei einem Testspiel anwesend, so ungefähr vor einem Jahr.
Das war am 4. September 2015, Sami Hyypiä gab beim 1:1 sein Debüt als FCZ-Trainer. Sie sassen gemütlich mit Ihrer Frau Heliane und dem Hund auf den Stehplatzstiegen ...
Canepa: (lacht) … und wir assen eine leckere Bratwurst.
Wenn ich Ihnen damals gesagt hätte, dass Sie in einem Jahr in einem Ligaspiel nach Schaffhausen reisen werden, hätten Sie mich für verrückt erklärt?
Canepa: Das stimmt. Ein Abstieg war wirklich kein Thema.
Und jetzt heisst es morgen für den «grossen» FC Zürich: Auf geht’s auf die altehrwürdige Breite …
Canepa: Das klingt sehr abwertend, aber so sehen wir das gar nicht. Nachdem ich den ersten Abstiegsschock überwunden hatte, blickte ich gleich wieder nach vorne. Und freute mich auf die Challenge League. Wir spielen mal gegen andere Mannschaften in anderen Stadien. Wir sind in dieser Challenge League angekommen und nach den ersten Spielen beeindruckt vom Niveau.
Die Challenge League macht Spass?
Canepa: Ja, das ist so. Es klingt vielleicht merkwürdig. Aber ich habe auch viele Reaktionen von Fans erhalten, die sagen, wie lässig es ist, mal etwas anderes zu sehen. Ich will jetzt nicht despektierlich klingen, aber wir waren so lange in der 10er-Super-League dabei. Es tut gut, auch mal was Neues zu sehen.
Wie lange ging es denn, bis Sie den ersten Schock überwunden hatten?
Canepa: Ich bin jemand, der in Alternativszenarien denkt und sich auch das Worst-Case-Szenario durch den Kopf gehen lässt. Nach und nach merkte ich in der vergangenen Saison, dass uns der «Fussballgott» nicht wohlgesinnt war. Im Frühling gab es dann bei mir die ersten konkreten Abstiegssorgen.
Und plötzlich war man abgestiegen …
Canepa: Dann habe ich mich kurz geschüttelt, bin am nächsten Tag aufgestanden und habe zusammen mit dem Cheftrainer und dem Sportdirektor begonnen mit den Saisonplanungen.
Der Misserfolg wurde stark auf Ihre Person projiziert. Gab es nicht eine Sekunde, wo Sie sagten nach all der Kritik: Jetzt habe ich keinen Bock mehr?
Canepa: Der Fussball schürt Emotionen. Und als Präsident eines Fussballclubs steht man natürlich im Fokus. Wenn etwas schiefläuft, wird zumeist eine Person rausgepickt und beschimpft. Aber ich habe eine dicke Haut.
Nehmen Sie das wirklich so locker?
Canepa: Vieles, was geschrieben und gesagt wurde, hatte mit Anstand und Fairness nichts mehr zu tun. Aber ich habe das abgehakt und archiviert – aber nicht vergessen. Ich sagte schon damals an einer Pressekonferenz: Verantwortung zu übernehmen, heisst für mich auch, im Boot zu bleiben und den Schaden zu reparieren. Ich bin nicht wie gewisse Kapitäne, die als Erste das Weite suchen, wenn ihr Boot untergeht.
Der FCZ hat neu drei Kapitäne. Neben Ihnen sitzen in der sportlichen Leitung Trainer Uli Forte und Thomas Bickel. Wie funktioniert diese Konstellation?
Canepa: So neu ist das gar nicht. Schon früher haben wir beim FCZ als Team gearbeitet, ich war nie der Alleinherrscher.
Ist es jetzt vielleicht ein Team, das besser funktioniert?
Canepa: Das ist eine andere Frage. Die Zusammensetzung des jetzigen Teams finde ich positiv. Mit Forte und Bickel findet ein intensiver Dialog statt, wir treffen uns regelmässig. Das war in der Vorbereitung natürlich noch intensiver, als es um die Kaderplanung ging. Ich kann mich auf meine Leute verlassen.
War das früher nicht so?
Canepa: Oft war es leider so, dass ich den Scherbenhaufen, den andere verursachten, alleine aufräumen musste und den Kopf bei Misserfolgen hingehalten habe. Wenn wir jetzt Aufgaben verteilen, dann weiss ich, dass sie kompetent und pflichtbewusst umgesetzt werden.
Wie lange brauchten Sie, bis Sie die Spieler überzeugt hatten zu bleiben? Bis auf Kevin Bua (Basel) und Anto Grgic (Stuttgart) blieben alle Hochkaräter da.
Canepa: Die Spieler haben alle eine gewisse Selbstverantwortung entwickelt und wissen, dass sie eine wesentliche Mitschuld an dieser Situation tragen. Sie wollen den Schaden reparieren und wieder aufsteigen.
Also gibt es doch noch Profis mit Identifikation statt Söldnertum?
Canepa: Jeder Profi will Karriere machen. Das finde ich nicht verwerflich. Auf der anderen Seite braucht es Spieler, die eine Selbstverantwortung in sich tragen. Für uns ist der Charakter eines Akteurs immer wichtig. Söldner im negativen Sinne haben wir derzeit beim FCZ zum Glück keine.
Glücklich verlief auch der Saisonstart des FCZ, nach fünf Spielen ist man noch ungeschlagen. Was war schwieriger: die Spieler körperlich fit zu bekommen oder mental auf die Challenge League einzustellen?
Canepa: Es war eine Mischung. Physisch muss man einfach topfit sein, das ist die Basis für erfolgreichen Fussball. Aber wir haben natürlich auch im mentalen Bereich viel gearbeitet. Wir mussten das Bewusstsein schaffen, dass die Challenge League kein Selbstläufer wird. Dass dies scheinbar alle begriffen haben und mit einem Fighting Spirit in die Spiele gehen, freut mich extrem.
Der Start hat Sie gefreut. Aber auch überrascht, dass es so gut klappt?
Canepa: Ich habe die ganze Saisonvorbereitung mitverfolgt und gesehen, wie unser Trainer auf die Spieler einwirkte. So hat es mich nicht wirklich überrascht, sondern einfach nur gefreut.
Trainer Uli Forte gilt als starker Motivator. Hat der FCZ also den richtigen Trainer geholt – aber zu spät, da man mit einer etwas früheren Verpflichtung vielleicht nicht abgestiegen wäre?
Canepa: Da muss ich mal eine Lanze brechen für Sami Hyypiä. Er ist ein hervorragender Trainer. Deshalb möchte ich darüber nicht spekulieren. Richtig ist, dass Uli Forte über spezielle Fähigkeiten im Bereich Kommunikation und Motivation verfügt. Sprachlich ist er sehr talentiert und spricht fünf oder sechs Sprachen fliessend. Im Fussball musst du oft bilaterale Gespräche führen, da helfen diese kommunikativen Fähigkeiten sehr. Er ist ein richtiger Vollbluttrainer. In der Zeit, als er keinen Job hatte, hat er sich immer weitergebildet.
Hatte der Abstieg sogar eine «reinigende Wirkung»?
Canepa: Diese Frage haben wir uns intern auch gestellt. Es ist schon etwas dran, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Durch unseren Abstieg haben wir vieles hinterfragt und geändert. Ich weiss nicht, ob wir dieses Change-Management durchgeführt hätten, wenn wir weiter in der Super League spielen würden. Trotzdem hatten wir uns einen Abstieg nie gewünscht.
Für ein Jahr dennoch akzeptabel?
Canepa: (lacht) Wenn es sicher nur eine Saison wird, dann unterschreibe ich diese Aussage. Wir sind grad in einer sehr positiven Phase. Sportlich sind wir parat. Und auch die Fans stehen wieder hinter uns. Das merkt man nicht nur an den Dauerkarten. Auch auswärts kommen immer viele Anhänger mit. Im Fanshop machen wir wieder höhere Umsätze als im Vorjahr.
Also kann das finanzielle Desaster zumindest ein wenig aufgefangen werden? Das Budget wurde ja mehr oder weniger beibehalten.
Canepa: Diese Budgetdiskussionen mag ich eigentlich nicht. Die Vergleiche hinken. Da werden Äpfel mit Birnen und Spanischen Nüssen verglichen. Manche nehmen nur die Kosten für die Profimannschaft als Budget. Aber es gibt noch andere Kosten wie Nachwuchsbereich, Stadion und vieles mehr. Redet der FCZ vom Budget, dann sind das die Gesamtkosten, dadurch ist das Budget höher als bei einem Verein, der nur die reinen Kosten für das spielende Personal angibt.
Der FCZ lebt finanziell aber schon in anderen Sphären als zum Beispiel der FC Schaffhausen?
Canepa: Wir haben beschlossen, für ein Jahr den Betrieb rein finanziell so aufrechtzuerhalten wie in der Super League. Durch die direkte Qualifikation für die Gruppephase der Europa League können wir das strukturelle Defizit etwas mildern.
Noch kann sich der FCZ auf die Liga konzentrieren. Haben Sie schon Angst vor der «Ablenkung Europa League»?
Canepa: Das wäre grotesk, wenn ich Angst vor der Europa League hätte. Wir freuen uns auf diese internationalen Spiele, darauf haben wir hingearbeitet im Cup. Es wäre völlig absurd, diese Spiele nicht zu wollen und zu jammern.
Aber die Europa League kostet Kraft.
Canepa: Ich habe beides schon erlebt. Wir hatten Mühe in der Liga, als wir international spielten. Aber es gab auch Jahre, da haben wir durch diese Europacup-Spiele noch mehr Selbstbewusstsein bekommen und in der Liga vorne mitgemischt. Das ist eine rein mentale Geschichte.
Sie waren beim Auswärtsspiel in Baulmes gegen Le Mont dabei. Sie werden auch auf die Breite kommen. Das sind andere Spiele als im St.-Jakob-Park in Basel oder im heimischen Letzigrund.
Canepa: Baulmes ist vielleicht eine besondere Situation, mit einer Einwohnerzahl von rund 1000 Personen. Aber: Die haben einen der schönsten Fussballplätze im Schweizer Profifussball. Das sollten wir auch erwähnen, die haben einen Rasen, auf dem man wirklich Fussball spielen kann. Und dann gibt es ja auch Wil, Xamax oder Servette. Da … … stehen richtige Arenen, da gibt es keinerlei Überheblichkeitsgefühle bei uns.
Freuen Sie sich schon auf ein Heimspiel in Schaffhausen?
Canepa: Ich denke, dass um die 2000 Fans mit dabei sein werden. Man wird uns hören, das war auch schon in Wil und Baulmes so. Das ist doch auch eine Aufwertung für die Challenge League, das mediale Interesse ist grösser geworden. So überträgt auch der Teleclub ab sofort viel mehr Spiele. Irgendwo las ich, dass der FCZ erst absteigen musste, um zu merken, dass in der Challenge League auch ein guter Fussball gespielt wird.
Was wissen Sie über den FCS?
Canepa: Wir hatten in den letzten Jahren einige Testspiele gegen den FCS. Es ist eine kompakt stehende Mannschaft mit technisch guten Spielern. Wir wollen in Schaffhausen gewinnen, aber ein Spaziergang wird es nicht. Der FCS wird gegen uns topmotiviert sein. Wenn wir aber 100 Prozent abrufen, sind die Chancen intakt, dass wir drei Punkte holen.
Wenn der FCZ 100 Prozent abruft, gibt es dann überhaupt einen Gegner, der gefährlich werden kann?
Canepa: (lacht) Sie werden von mir jetzt keine hochnäsigen Parolen hören. Wir stehen am Anfang der Saison. Ich bin jetzt seit 10 Jahren als Präsident dabei und hab so viel erlebt. Es gab eine Mannschaft in der Challenge League, die hatte im Winter 15 Punkte Vorsprung und ist trotzdem nicht aufgestiegen.
Am 11. Dezember feiern Sie ihr 10-Jahres-Jubiläum als FCZ-Präsident. Dafür hätten Sie sich wohl auch eine andere Bühne gewünscht?
Canepa: Wir sind in dieser Zeit dreimal Meister geworden, haben zweimal den Cup gewonnen, haben in der Champions League und mehrfach in der Euro League gespielt. Schlecht ist das nicht.
Vergisst man im Fussballbusiness einfach zu schnell?
Canepa: (lacht) Zumindest ich vergesse nichts. Ich kann mich sogar noch an die Fussballbildchen vom FC Schaffhausen erinnern aus dem Jahr 1964, als Geni Meier noch spielte. Oder unser Otmar Iten beim FCS im Tor war. Bei mir ist noch vieles, was Fussball betrifft, im Kopf abgespeichert.
Oder Joachim Löw, Roberto Di Matteo, Rolf Fringer.
Canepa: Fringer hat mit Schaffhausen auch mal den Cupfinal gespielt, aber 0:4 gegen GC verloren. Wir haben im letzten Jahrzehnt auch noch zwei Saisons in der Super League gegen Schaffhausen gespielt. Als wir 2007 Meister wurden, verloren wir im Hardturm mit 0:1.
Thema Sicherheit. Muss Schaffhausen sich vor den FCZ-Fans fürchten?
Canepa: Das wird problemlos. Unsere Fans verhalten sich absolut korrekt. Ich erwarte wie bei unseren bisherigen beiden Auswärtsspielen in Wil und Baulmes keine Probleme.
Es gibt wohl eine Sache, auf die sie etwas neidisch nach Schaffhausen blicken – auf das neue Stadion?
Canepa: Kompliment an Aniello Fontana. Er hat mir bei unseren Zusammentreffen im Komitee der Swiss Football League immer vom neuen Stadionprojekt erzählt. Und immer wieder musste er Hindernisse überwinden. Er hat meinen vollen Respekt, dass er dieses Projekt nun wirklich realisieren konnte. Der einzige Wermutstropfen für mich ist der Kunstrasen, der verlegt wird.
Sie mögen keinen Kunstrasen?
Canepa: Für mich gehört zum Profifussball ein Naturrasen. Auf Kunstrasen wird einfach ein anderer Fussball gespielt. Und auch die Verletzungsgefahr ist höher, da man diese natürliche Stossabdämpfung auf Plastik nicht hat. Aber ich verstehe Clubs wie Schaffhausen, die aus wirtschaftlichen Gründen einen Kunstrasen im Stadion verlegen.
Noch wird aber im Stadion Breite gespielt. Auf den Stehplatzstiegen wie letzten Sommer werden Sie morgen nicht sitzen können, man rechnet mit bis zu 5000 Zuschauern.
Canepa: Wir fahren mit einem positiven Gefühl nach Schaffhausen. Ich freue mich auf solche Stadien, die haben noch einen gewissen Charme. Und wenn wir dann noch gewinnen, dann ist doch alles perfekt für den FCZ. Ich weiss aber leider noch nicht, wo ich sitze. Aber eine gute Bratwurst werde ich sicher trotzdem bekommen.
«Es gibt keinerlei Überheblichkeit»
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