«Ausnahmezustand für alle»

Dario Muffler | 
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Genau vor einem Jahr war die Schaffhauser Altstadt infolge eines Angriffs auf die damalige CSS-Agentur mit einer Kettensäge grossräumig abgesperrt. Bild: Selwyn Hoffmann

Heute vor einem Jahr fand der Kettensägeangriff auf das Versicherungsunternehmen CSS statt. Was davon geblieben ist, erklärt Christina Wettstein, Mediensprecherin der CSS, im Gespräch.

Heute vor einem Jahr hielt Schaffhausen den Atem an: riesiges Polizeiaufgebot, Ambulanzen, grossräumige Absperrungen in der gesamten Altstadt. Am 24. Juli 2017 hatte ein Mann mit einer Motorsäge zwei Mitarbeiter der CSS-Krankenversicherung angegriffen, scheinbar unbemerkt konnte er fliehen. Erst einen Tag nach dem Angriff wurde der international gesuchte Täter gefasst und verhaftet. Infolge des Angriffs schloss die CSS ihre Schaffhauser Agentur in der Vorstadt. Letzte Woche eröffnete sie am Bleicheplatz nun eine neue. Mit der Mediensprecherin Christina Wettstein sprechen die SN darüber, wie der Motorsägenangriff noch immer nachwirkt.

Frau Wettstein, wissen Sie noch, wo Sie waren und was Sie gemacht haben, als vor einem Jahr die Nachricht von einem Mann um die Welt ging, der mit einer Kettensäge in Schaffhausen in ein Gebäude ­gestürmt ist?

Christina Wettstein: Ich kann mich noch genau daran erinnern. Ich war im CSS-Hauptgebäude in Luzern, als mich der Anruf über unser Krisentelefon erreichte. Ich dachte zuerst, es sei eine Übung, wie wir sie regelmässig durchführen. Schnell war aber klar, dass es ernst war.

Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie wussten, dass es ernst gilt?

Zuerst konnte ich es nicht glauben und war schockiert über das, was vorgefallen war. Als ich mich etwas gefasst hatte, wollte ich wissen, wie es den Betroffenen geht. In so einem Moment herrscht viel Unsicherheit, Informationen treffen nur häppchenweise ein.

Welche Abläufe wurden ausgelöst?

Es gibt in der CSS seit ein paar Jahren einen Krisenstab. Dieser kommt in solchen Situationen zum Einsatz. Darin vertreten sind Personen aus verschiedenen Unternehmensbereichen. Wir trainieren den Einsatz des Stabs auch regelmässig. Deshalb waren die Abläufe und Sitzungsrhythmen nach dem Angriff klar geregelt. Bis dahin war der Stab aber nie in einem Ernstfall einberufen worden.

Was waren in den ersten Stunden die Aufgaben der Medienabteilung?

Kommunikation nimmt in so ­einem Moment einen hohen Stellenwert ein. Im Minutentakt gingen Fragen von Journalisten ein, die wir beantworten mussten und auch wollten. Vor allem wollten wir jedoch unsere Mitarbeitenden darüber informieren, was so eine Situation für sie bedeutet. Wir haben beispielsweise nochmals in Erinnerung gerufen, wie man sich in Situa­tionen mit Bedrohungen verhalten muss. Wir haben auch laufend die neusten Informationen zum Fall kommuniziert.

Wurden diese Informationen ungefiltert weitergegeben?

Wir waren transparent gegenüber unseren Mitarbeitern. Es war ein Ausnahmezustand für das ganze Unternehmen. Wir haben alle wichtigen Entscheide aus dem Krisenstab kommuniziert, die die Mitarbeiter betreffen, etwa welche Agenturen wir schliessen.

Welche Agenturen waren davon betroffen?

Die Agenturen im Umfeld von Schaffhausen, wo die Polizei gefahndet hatte, wurden zunächst geschlossen. Der Täter war noch auf der Flucht, und wir haben die Warnung der Polizei, der Mann sei gefährlich, sehr ernst genommen.

Wie haben die betroffenen Angestellten in den geschlossenen Agenturen reagiert?

Die Feedbacks der Angestellten waren positiv, weil wir transparent und schnell kommuniziert haben. Darüber hinaus hat der Vorfall in der ganzen Schweiz Solidarität geweckt. Der Zusammenhalt, der entstand, war sehr beeindruckend.

Ist es zu einer Anpassung des Sicherheitskonzepts gekommen im Nachgang?

Wir haben unser Sicherheitskonzept genau unter die Lupe genommen. Nach der Analyse haben wir intern kommuniziert, welche Anpassungen wir vorgenommen haben.

Wurde beispielsweise der Umgang mit ­potenziell aggressiven Kunden angepasst?

Bereits vor dem Vorfall wurden die Mitarbeiter im Umgang mit Drohungen geschult. Bestehendes Material wurde ergänzt und den Mitarbeitenden nochmals in Erinnerung gerufen.

Was ist bei den Schaffhauser Mitarbeitern ein Jahr nach dem Vorfall noch alles ­hängen geblieben?

Mein Eindruck ist, dass die Neueröffnung an einem neuen Standort ein kompletter Neustart ist. Das hat es gebraucht, um sich weiter distanzieren zu können. Das wäre am alten Ort nicht gegangen.

Arbeiten beide damals verletzten Mit­arbeiter noch immer im Unternehmen?

Ja, beide arbeiten nach wie vor bei der CSS. Das freut uns sehr. Das ist nicht selbstverständlich nach so einem Vorfall.

Und wie geht es den beiden Betroffenen heute?

Auf Details möchten wir nicht eingehen. Wir bitten um Rücksichtnahme, damit sich die Betroffenen erholen können.

Stehen Sie in regelmässigem Kontakt mit den zwei Angestellten?

Unsere Personalabteilung steht in Kontakt mit ihnen.

Wie haben die Kunden auf den Angriff ­reagiert?

Die Resonanz hat uns gefreut. Kunden und Nichtkunden haben sich gemeldet. Sie haben ihr Bedauern ausgedrückt und den betroffenen Mitarbeitenden gute Besserung gewünscht. Das hat dem Unternehmen in einer schwierigen Phase gutgetan.

Wie haben Sie das internationale Medieninteresse erlebt?

Das Interesse war enorm. Während vier Tagen haben wir unter Hochdruck gearbeitet. Ich kann verstehen, dass so ein Ereignis die Leute bewegt. Und es ist unsere Aufgabe, darüber zu informieren.

Welche Fragen konnten Sie nicht ­beantworten?

Wir können über gewisse Dinge nicht sprechen, weil wir nicht nur die ­Opfer, sondern auch den Täter schützen müssen. Dieser ist bei uns versichert. Der Datenschutz hat uns nicht erlaubt, über bestimmte Details Auskunft zu geben.

Wie beteiligt sich die CSS an der Straf­untersuchung?

Die CSS hat alle Unterlagen der Staatsanwaltschaft übergeben. Wir haben vollumfänglich kooperiert und hoffen, dass der Prozess zu einem guten Abschluss kommt.

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