Kesb: Zunahme im Klettgau als Ausnahme

Stark angestiegen sind zuletzt die Kesb-Fälle im Klettgau. Im gesamten Kanton nehmen diese dagegen nur leicht zu. Die Fallzahlen liegen gar unter dem schweizweiten Durchschnitt.
Kesb Von der Gefahrenmeldung zum Mandat
1. Meldung als Ausgangspunkt
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde wird aktiv, wenn eine Gefährdungsmeldung durch andere Behörden, Fachstellen oder Privatpersonen eingeht. Die Meldungen kommen z. B. von der Polizei, von Lehrern, Angehörigen oder Nachbarn. Grundsätzlich kann jede Person Meldung erstatten.
2. Vorabklärungen
Nach der Meldung prüft die Kesb, ob tatsächlich eine Gefährdung vorliegt und eine Massnahme notwendig ist. Sie prüft, ob bei der Person ein Schwächezustand vorliegt beziehungsweise ob das Wohl eines Kindes gefährdet ist. Die Kesb lädt die betroffene Person beziehungsweise Eltern und Kind zur Klärung des Sachverhaltes ein.
3. Beistandschaft, private Träger
Ordnet die Kesb eine Beistandschaft an, ernennt sie einen Beistand, der die Massnahme führt und ihr darüber regelmässig Bericht erstattet. Die Kesb kann hierfür Berufsbeistandschaften, Fachstellen wie Pro Senectute oder Pro Infirmis oder private Mandatsträger einsetzen. Grundsätzlich wird zunächst abgeklärt, ob es Personen im Umfeld gibt, welche sich eignen. Wer eingesetzt wird, hängt auch von der Komplexität des Falles ab. Bei Kindesschutzmassnahmen kommen in den allermeisten Fällen nur die Berufsbeistandschaften zum Einsatz. Die Pro Senectute zum Beispiel wird bei Personen im AHV-Alter angefragt. Private Mandatsträger werden bei weniger komplexen Fällen beauftragt. Derzeit werden im Kanton Schaffhausen 41 Prozent aller Erwachsenenschutzfälle von privaten Mandatsträgern geführt.
Seit dem 1. Januar 2013 gibt es drei regionale Berufsbeistandschaften im Kanton Schaffhausen, die Mandate im Auftrag der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) führen. Die Berufsbeistandschaft Neuhausen, zu der auch der Klettgau sowie Buchberg und Rüdlingen gehören, gab seit ihrem Start vor allem wegen ihrer überlasteten Mitarbeiter zu reden.
Grosse Fallzunahme im Klettgau
Bereits zum dritten Mal innert drei Jahren stellt der Neuhauser Gemeinderat in diesen Tagen den Antrag, die Stellenpensen der Berufsbeistände zu erhöhen (siehe SN vom 5. Oktober). Weil die Anzahl Mandate dort stetig steigt, ist die Arbeitbelastung zu gross geworden, drei der acht Mitarbeiter haben im laufenden Jahr sogar gekündigt. Allein vom 31. August 2016 bis zum 31. August 2017 kletterte die Anzahl Mandate um 19 Prozent von 285 auf 338. Gemäss der Neuhauser Sozialreferentin Franziska Brenn findet der Zuwachs grösstenteils in den Klettgauer Gemeinden statt. Laut Brenn lag die Fallzahl im Klettgau Anfang 2013 bei 30, mittlerweile ist sie auf 128 angewachsen. Das entspricht einer Vervierfachung innerhalb von viereinhalb Jahren.
Andere Entwicklung im Kanton
Die Kesb des Kantons Schaffhausen, welche den Berufsbeistandschaften die Fälle zuweist, kann zu den Zahlen keine Stellung nehmen. Die Behörde erfasse keine Zahlen für einzelne Regionen, sondern nur für den gesamten Kanton. «Und da ist die Entwicklung nicht übermässig», sagt Denise Freitag von der Kesb.
«Vielleicht hat es für die Kesb zu Beginn länger gedauert, die Klettgauer Fälle aufzuarbeiten?»
Hansruedi Schuler, Gemeindepräsident Beringen
Im Januar 2013 hat die Kesb 946 Mandate von den kommunalen Vormundschaftsbehörden im gan- zen Kanton Schaffhausen übernommen, etwa ein Drittel davon betrafen Kinder, zwei Drittel Erwachsene. Per 1. Januar 2017 ist die Anzahl auf 1092 Mandate gestiegen (siehe Tabelle). Bei den Kindern betrug der Zuwachs 10 Prozent (von 302 auf 332 Fälle), bei den Erwachsenen lag der Anstieg in vier Jahren bei 18 Prozent (von 644 auf 760 Fälle).
Anstieg nach Systemumstellung
Allerdings fand die Zunahme an Fällen nicht kontinuierlich statt, sondern vor allem im ersten Jahr nach der Systemumstellung. Damals stiegen die Mandate um rund 13 Prozent. Gemäss Denise Freitag hat dies mit den verschiedenen Arten der Erhebung der Fälle zu tun. Gab es früher bei den Vormundschaftsbehörden der Gemeinden zum Beispiel öfter nur ein Dossier für eine Familie, stellt bei der Kesb jedes schutzbedürftige Kind einer Familie einen einzelnen Fall dar.
Freitag spricht grundsätzlich von einer «leichten» Steigerung der Fallzahlen im Kanton Schaffhausen seit Einführung der Kesb. Sie verweist auf die schweizweiten Zahlen. Im Vergleich zum Landesmittel schneidet der Kanton Schaffhausen relativ gut ab: Ende 2016 lag die Anzahl Kinder mit Schutzmassnahmen schweizweit bei 28,35 Fällen pro 1000 Kinder, im Kanton Schaffhausen waren es 24,56 Fälle. Bei den Erwachsenen waren es 12,97 Fälle pro 1000 Personen, im Kanton Schaffhausen 11,3 Fälle.
Demografische Ursachen
Grundsätzlich sind im Kanton Schaffhausen in den letzten Jahren die Erwachsenenschutzmassnahmen stärker angestiegen als die Kindesschutzmassnahmen. Dies könnte gemäss Denise Freitag mit der demografischen Entwicklung zu tun haben: «Wenn die Menschen älter werden, kommt es öfter zu kognitiven Einschränkungen.» So zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Thema Demenz. Weitere Gründe seien etwa psychische Belastungen und immer weniger ausreichende Unterstützung in der Familie.
Markus Tanner von der Berufsbeistandschaft der Stadt Schaffhausen hat eine weitere Erklärung dafür, dass sich die Fallzahlen seit dem Start der Kesb im Kanton erhöht haben: Die Einführung des neuen Systems und die damit verbundene öffentliche Debatte habe zu einer erhöhten Sensibilisierung für Gefährdungssituationen in der Bevölkerung geführt.
Neue Anonymität
All dies erklärt aber noch immer nicht die starke Zunahme der Schutzmassnahmen im Klettgau. In Beringen, der grössten Gemeinde des Klettgaus, kann Gemeindepräsident Hansruedi Schuler nur spekulieren: «Vielleicht hat es für die Kesb zumindest zu Beginn länger gedauert, die Klettgauer Fälle aufzuarbeiten – etwa aus administrativen Gründen?» In den Vormundschaftsbehörden kleinerer Ge- meinden habe man früher sicher anders gearbeitet als etwa in Neuhausen, wo man schon vor der Gesetzesänderung professionell tätig gewesen sei. Schuler betont, dass dies aber nur ein Erklärungsversuch sei.
«Ich denke, dass mit der Kesb eine neutrale Anlaufstelle geschaffen wurde.»
Denise Freitag, KESB-MITARBEITERIN
Die Neuhauser Sozialreferentin Franziska Brenn mutmasst, dass die Mandate im Klettgau seit Einführung der Kesb mitunter deshalb gestiegen sind, weil sich die Anwohner nun eher trauen, Gefährdungsmeldungen zu machen. Vielleicht habe man früher in Dörfern, wo jeder jeden kenne, eher Hemmungen gehabt, einen Verdacht zu melden. Denise Freitag stimmt Brenn im Grundsatz zu: «Ich denke, dass mit der Kesb eine neutrale Anlaufstelle geschaffen wurde.» Dies erleichtere manchen Menschen sicherlich, eine Meldung zu machen.
Verschiedene Arten der Erhebung
Freitag sagt, dass man die Statistik der Neuhauser Berufsbeistandschaft allerdings auch nicht genau mit jener der Kesb vergleichen könne. Die Daten würden unterschiedlich erhoben. So sei ein Fall für die Kesb mit dem Ende der Massnahme, mit dem Tod eines Mandanten oder mit dessen Volljährigkeit (beim Kindesschutz), beendet. Bei den drei regionalen Berufsbeistandschaften hingegen müsse noch ein Schlussbericht geschrieben werden, erst dann werde der Fall nicht mehr in der Statistik geführt.
Für Neuhausen sind die zunehmenden Fälle vor allem problematisch wegen der Planung des Personalbestands. Hierfür ist die Gemeinde zuständig, die stets nur reagieren kann. Natürlich bedeuten die steten Aufstockungen der Stellenpensen auch zusätzliche Kosten. Diese teilt sich Neuhausen aber mit den angeschlossenen Klettgauer Gemeinden sowie Buchberg und Rüd- lingen.
Freitag sagt, dass Gemeinden niederschwellige Angebote schaffen könnten – in der Stadt Schaffhausen etwa gebe es unter anderem die Jugendberatung, die Beratungsstelle für Partnerschaft und Schwangerschaft, die Schulsozialarbeit und das Familienzentrum. Durch solch niederschwellige Angebote könne man frühzeitig hilfesuchende Personen unterstützen, sodass die Kesb nicht tätig werden müsse und Schutzmassnahmen gar nicht nötig sein würden.