Ein Wald zeigt neue, flüchtige Gesichter










Sie bohren, schnitzen und Formen dieser Tage unermüdlich in Lichtungen, auf Bäumen und am Thurufer: Künstler, die sich im Rahmen der Ausstellung «NaThurArt» an ihren Objekten zu schaffen machen.
Wanderer, welche dieser Tage im Wald der Thur entlang zwischen der Badi Kleinandelfingen und der Altener Thurbrücke unterwegs sind, staunen nicht schlecht über die vergänglichen Kunstwerke, die seit Montag an Lichtungen oder am Thurufer entstehen (SN vom 4. Juli). Von Grund auf sollen die Kunstwerke aus den Naturmaterialien in und um den Thurweg entstehen – gar Nägel oder andere Produkte aus dem Baumarkt sind verpönt.
«Nicht alle setzen so streng den ‹Landart›-Gedanken um wie die Veranstalter hier in Andelfingen», sagt Leander Locher aus dem Wallis, der mit Ehefrau und Helferin Erika zwei troll-ähnliche Wesen aus Baumstämmen schnitzt. Doch das mache es für ihn einfacher, so Locher: Die Packliste ist kurz. Hannes Huggel von Pro Weinland, der gemeinsam mit Katharina Büchi-Fritschi die Ausstellung organisierte und die Finanzierung aufgleiste, versucht dem Künstler im Hinblick auf die Vernissage von morgen Freitag bereits einen Namen für sein Werk zu entlocken. «Es muss einen Namen haben», insistiert er. Leander Locher meint dann grübelnd «Wie wär’s mit: Hoffnungsvolle Begegnung im Wald.»
Ein soziales Hotel für Insekten
Eine grössere «Baustelle» aus bereits sichtbaren Skulpturen, Holzresten und Werkzeug offenbart das grüne Vorland wenige Meter weiter thurabwärts, wo der Fluss eine scharfe Kurve macht. Hier arbeiten drei internationale Künstlerteams – meist ist noch ein Assistent dabei – an ihren verträumten, märchenhaften oder verspielten Werken. Einer von ihnen ist der Argentinier Kardo Kosta, ein Landart-Künstler seit 1995. Er lässt den Raum, die Natur um ihn herum auch auf seine Werke einwirken – stets sei sein Schaffen auch im Geiste des Schutzes der Mutter Erde zu verstehen, sagt er. Diesmal entschied er sich für drei Konstrukte aus Schwemmholz, Gräsern und Sträuchern, die aufgetürmt drei Heureitern ähnlich sehen. Das seien Insektenhotels, erklärt Kosta. «Die Idee kam mir, als ich diese eigenartigen Insektenhäuschen in der Schweiz bemerkte.» Im Unterschied zu den vielen Löchern eines kommerziellen Insektenhauses, schaffe er aber für alle sozialen Klassen einen einheitlichen Ort.
Die Szene der Naturart-Künstler kennt sich: Während Kosta Initiator und künstlerischer Leiter des Laboratoriums für Land Art in Biel ist, treffen sich an diesem und anderen wiederkehrenden Landart-Anlässen oft dieselben Künstler. Dabei sind sie es gewohnt, mit Naturmaterialien zu improvisieren. «Hier gibt es beispielsweise fast kein Moos zum Arbeiten», meint Daniele, der Assistent von Kosta. «Dafür finden wir diese schönen Lianen an den Bäumen.» Damit meint er die Klematis oder Waldrebe.
«Das Internet des Waldes»
Während Künstler abgewiesen werden mussten, die mit echten Reben arbeiten wollten (die gibt es hier um die Thur nicht), arbeitet auch Niklas Göth diese Woche mit der Waldrebe – und zwar nimmt sein Kunstwerk nicht unter den Bäumen oder neben dem Fussweg Form an, sondern über den Köpfen. Frei hängend winden sich die «Lianen» ineinander, bilden ein feines Netzwerk, das entfernt an eine DNA-Doppelhelix erinnert. Zu den Wundern der Natur gehörten die unsichtbaren Netzwerke der Wurzeln und Pilze im Boden, die miteinander kommunizierten, das «Internet des Waldes», sagt er. Und so hat er das unterirdische Glasfaser-Netzwerk sozusagen wieder in die Hochleitungs-Ära zurückgeholt.
Ein landesweit bekannter Landart-Künstler ist Kari Joller, der seit 1984 in der freien Natur künstlerisch tätig ist und vier Bücher darüber publizierte. Er versucht sich stets, der Verbindung zwischen Körper, Seele, Geist und der freien, wilden Natur anzunähern. Er nennt eins seiner bereits fertigen Objekte «Energietrichter»: Von einem Strunk strahlenförmig in die Höhe ragende Haselruten als «Muttergefäss» tragen Steine wie in einem Korb. Später wird eine Himmelsleiter hinzukommen. «Wir alle streben nach dem Licht, wie die Bäume», sagt dazu Joller.
Brigitte Baserga aus Alten formt mit Lehm aus der Thur ein Gesicht auf dem Stamm einer toten Fichte, umwuchert von wilden Pilzen – sie verleiht ihm den Arbeitstitel «Baumseele». Einige Wanderer hätten zwar gemeint, es sehe George W. Bush oder gar Donald Trump ähnlich – so lassen die Naturobjekte eben jeden etwas Anderes in den Werken erkennen. Während die Künstler noch bis zur Vernissage am Freitagabend vor Ort arbeiten werden, bleiben die Objekte etwas länger als vergängliche Zeichen stehen, die stets auf das grösste Kunstwerk überhaupt aus Sicht ihrer Schöpfer hinweisen: Die Natur selber.