Grosses Gerangel um Gegenvorschläge

Zeno Geisseler | 
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Regierung und Parlament können einer Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberstellent. Mitunter bleibt das Kräftemessen letztlich aber aus.Bild Selwyn Hoffmann

Eigentlich als Kompromiss gedacht, sind Gegenvorschläge zu Volksinitiativen im Kanton Schaffhausen in letzter Zeit als taktisches Instrument zum Einsatz gekommen. Dies ruft Kritiker auf den Plan.

Die mächtigste Waffe des Schaffhauser Bürgers ist der Kugelschreiber: 1000 Unterschriften reichen, und der Kanton muss über die Änderung eines Gesetzes oder gar der Verfassung abstimmen.

Regierung und Parlament können zu Volksinitiativen allerdings einen Gegenvorschlag ausarbeiten. Dieser ist ein typisch schweizerischer Kompromiss. Er gesteht den Initianten zu, dass sie mit ihrem Begehren ein berechtigtes Anliegen aufgreifen. Er macht aber auch deutlich, dass sie zu viel verlangen. Der Gegenvorschlag ist denn auch immer eine abgeschwächte Version der Initiative. Und, ganz wichtig: Mit dem Gegenvorschlag kann man eine Abstimmung um bis zu zwei Jahre hinauszögern (siehe Kasten unten).

Im Schaffhauser Kantonsrat ist in den letzten Monaten viel über Gegenvorschläge gesprochen worden. So auch am letzten Montag. Der Rat diskutierte die AL-Initiative «7 to 7», welche eine kostenlose Kinderbetreuung für alle fordert. Der Rat hatte schon früher beschlossen, dieser Initiative einen Gegenvorschlag zur Seite zu stellen. Am Montag wurden die letzten Ecken und Kanten geschliffen, jetzt kommen Initiative und Gegenvorschlag vors Volk.

Taktisches Manöver

So problemlos sind Gegenvorschläge aber nicht immer durch das Parlament gewandert. 2014 reichten SP und Juso ihre Initiative «Keine Steuergeschenke an Grossaktionäre» ein. Im Januar 2015 äusserte sich die Regierung zur Initiative. Sie sei abzulehnen, doch es solle einen Gegenvorschlag geben. War die Regierung also im Grundsatz mit den Initianten einverstanden, dass Grossaktionäre mehr Steuern ­bezahlen sollten? Nicht wirklich. «Die Volksinitiative kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt», schrieb die Regierung. Mit Blick auf die Unternehmenssteuerreform III sei unklar, welche Regelungen der Bund erlassen würde. Innerhalb des Zeitrahmens, der für die Ausarbeitung des Gegenvorschlags zur Verfügung stehe, könne man mehr Klarheit erhalten.

Pro forma über einen Gegenvorschlag nachdenken, tatsächlich aber Zeit schinden: Das kam bei den Initianten, aber auch in der Kommission, welche den Gegenvorschlag beriet, nicht gut an. Die Kommission stellte den ­Antrag, die Initiative ohne Gegenvorschlag an die Urne zu geben. Die Mehrheit des Rats wollte davon aber nichts wissen und stimmte der Ausarbeitung eines Gegenvorschlags – und somit einer Fristverlängerung – zu.

Als das Parlament dann im Februar 2017 abschliessend über die Initiative und den Gegenvorschlag beriet, hatte Letzterer seinen Zweck erfüllt: Er hatte den Urnengang verzögert. In der Folge wurde er gekippt.

Ein taktischer Gegenvorschlag kam auch bei der Vorlage «Kein Abbau – Schule mit Zukunft» ins Spiel. Die ­Initiative, im September 2015 eingereicht vom linken Bündnis Zukunft Schaffhausen, richtet sich gegen die Pläne der Regierung, bei der Volksschule 14 Lektionen zu streichen. Im März 2016 diskutierte der Rat die Initiative und einen Gegenvorschlag. Für die SVP war damals klar: Es braucht einen Gegenvorschlag. Einer ihrer Vertreter stellte den Antrag, unterstützt von der FDP: «Wer gegen einen Gegenvorschlag ist, schadet künftigen Generationen, entweder in Form eines Bildungsabbaus oder in Form einer defizitären Finanzpolitik», sagte Marcel Montanari (JF, Thayngen).

«Bürgerliche Aussitzungspolitik»

Die Linke nahm den Bürgerlichen diese hehren Motive allerdings nicht ab. «Sie können jetzt filibustern und den Leuten erzählen, was Sie sich alles Gutes ausmalen», sagte Jürg Tanner (SP, Schaffhausen). «Aber es ist klar, dass Ihnen die Angst im Nacken sitzt. Oder können Sie mir einen vernünftigen Grund nennen, weshalb Sie sonst einen Gegenvorschlag wollen?» Tanner sprach von bürgerlicher Aussitzpolitik: «Zur Ausarbeitung eines Gegenvorschlags läuft eine Frist von 18 Monaten, und ich wage zu behaupten, dass kein Gegenvorschlag vorgelegt werden wird, sondern dass es dann wieder ­darum geht, dass man dieser Initiative zustimmt oder nicht.»

Susi Stühlinger (AL, Schaffhausen) schlug in die gleiche Kerbe: «Sie trauen sich nicht, dem Volk in einem Wahljahr zu sagen, dass wir unseren Kindern die Bildung wegnehmen.» Doch alles Reden half nichts, die Mehrheit des Rats stimmte der Ausarbeitung eines Gegenvorschlags zu.

Im Mai 2017 kamen die Initiative und der Gegenvorschlag ins Parlament. Dort passierte dann genau das, was Jürg Tanner 14 Monate zuvor prophezeit hatte: Der Gegenvorschlag flog vom Tisch, die Initiative kommt nun ohne Begleitung vors Volk.

 

Gegenvorschlag verlangt, dann verworfen 


Steuer-Initiative  Im September 2014 reichten SP und Juso ihre Initiative «Keine Steuergeschenke an Grossaktionäre» ein. Im Januar 2015 beantragte die Regierung einen Gegenvorschlag. Das Parlament stimmte im März 2015 zu. Im Februar 2017 kam der Vorschlag ins Parlament, wo der Rat ihn dann doch nicht wollte. Die Initiative kam im Mai 2017 allein an die Urne und wurde abgelehnt. 

Lektionen-Abbau: Im September 2015 reichte das linke Bündnis Zukunft Schaffhausen eine Initiative ein, welche die Zahl der Pflichtstunden an der Volksschule im Gesetz verankern will. Im März 2016 beschloss der Rat, dass ein Gegenvorschlag ausgearbeitet wird. Dieser kam im Mai 2017 in den Kantonsrat. Resultat: Keiner war mehr am Gegenvorschlag interessiert, auch diese Initiative wird solo vors Volk kommen. (zge)

 

Initiativrecht: Zeitgewinn dank Fristenregel 

Das Gesetz legt klare Fristen vor, bis wann eine Initiative vors Volk kommen muss: Spätestens sechs Monate nach ihrer Einreichung muss eine Initiative vom Kantonsrat beraten werden. Bei dieser Erstberatung beschliesst der Rat seine Parole und ob er der Initiative einen Gegenvorschlag zur Seite stellen will. Ohne Gegenvorschlag kommt die Initiative in weiteren sechs Monaten zur Abstimmung. Beschliesst das Parlament aber einen Gegenvorschlag, so gibt es eine Zusatzfrist von 18 Monaten, um den Vorschlag auszuarbeiten. Dann muss der Gegenvorschlag innert sechs Monaten ins Parlament kommen und danach innert sechs Monaten zusammen mit der Initiative vors Volk. 
Mit einem Gegenvorschlag kann die Frist bis zum Urnengang also von 12 Monaten auf höchstens 36 Monate verlängert werden. (zge)

Kommentare (2)

Peter Werner Fr 02.06.2017 - 06:55

Im Artikel von Zeno Geisseler vom 2. Juni wird Kantonsrat Jürg Tanner als Prophet gefeiert, weil er offenbar schon vor 14 Monaten wusste, dass der Gegenvorschlag zur Initiative "7to7" abgelehnt werde. Falsch!
Tatsache ist, dass der Gegenvorschlag zusammen mit der Initiative vors Volk kommt. Das Erziehungsdepartement wollte alle Gemeinden verpflichten, Tagesstrukturen einzuführen. Dass 12 Kantone, darunter auch 4 HarmoS-Mitglieder eine "Kann"-Regelung haben, wurde der Spezialkommission vorenthalten. Die bürgerliche Ratsseite hat dem Gegenvorschlag diesen "Muss"-Giftzahn gezogen, der moderate Gegenvorschlag kommt nun mit der überzogenen AL-Initiative vors Volk.

Zeno Geisseler Fr 02.06.2017 - 09:08

Grüezi Herr Werner,

Sie schreiben, Jürg Tanner habe in meinem Text zur Initiative "7to7" gesprochen. Das ist nicht richtig. Er sprach, wie im Artikel auch erwähnt, zur Initiative "Kein Abbau - Schule mit Zukunft". Zu dieser Vorlage beschloss der Rat zuerst einen Gegenvorschlag, lehnte diesen aber schliesslich ab.

Freundliche Grüsse

Zeno Geisseler, SN

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