Der «Insta»-Brunnen oder: Wie man eine innovative Idee killt

Mit einer einfachen Treppenkonstruktion hätte der «Eiserne Brunnen» am Freien Platz zum Instagram-Hotspot werden sollen. Doch daraus wird nichts. Und verantwortlich will am Ende niemand gewesen sein.
Als Lukas Ottiger und sein Team von der Agentur Leap of Faith vor zwei Jahren ihre Arbeit als «Koordinationsstelle Innenstadtentwicklung» aufnahmen, gehörte die Brunnen-Idee zu den ersten Vorschlägen. Inspiriert war sie von einem Beispiel in Bern, wie Ottiger damals sagte. Der dortige «Kronenbrunnen» direkt neben dem Rathaus hatte keine Brunnenfigur, und 1992 durfte der Künstler Carlo E. Lischetti dort eine eiserne Treppe mit Podest und Geländer am Brunnenstock installieren, wogegen es Einsprachen gab. Auch Schaffhausen habe doch einen Brunnen ohne Figur, sagte Ottiger damals. Also warum nicht diesen zur Selfie-Kulisse machen? Via eine einfache Stahltreppe sollte man auf eine Plattform auf dem Säulensockel des «Eisernen Brunnens» gelangen, dem bekanntlich die Brunnenfigur fehlt. Oben auf dem Podest angekommen, hätte man sich vor pittoresker Kulisse – touristisch ideal gelegen bei der Schifflände – in einer lustigen Pose ablichten lassen können. «Das scheint in Bern ein Hit zu sein. Und wir dachten sofort: Das passt doch auch bei uns.»

Die Idee war einfach, charmant, womöglich mehrheitsfähig – und hatte touristisches Potenzial. Doch es kam ganz anders.
«… infolge zu kleiner Unterstützung»
Ende Juni verschickte der Citymanager – Ottiger nennt sich inzwischen selbst so – einen Newsletter mit einer Übersicht aktueller Projekte. Dort stand lapidar, dass die «Instagrammability»-Brunnenfigur «infolge zu kleiner Unterstützung» nicht realisiert werde.
Auf Nachfrage erklärt Ottiger ernüchtert: «Die Idee hatte einfach zu wenig Rückhalt.» Der Entscheid sei gemeinsam mit dem sogenannten Akteurenboard getroffen worden – dazu gehören unter anderem Pro City, der städtische Gewerbeverband, Schaffhauserland Tourismus, der Einwohnerverein Altstadt sowie Vertreter aus Gastronomie, Hotellerie und Wirtschaftsförderung.
«Die Idee hatte einfach zu wenig Rückhalt.»
Nach Projekten wie dem erfolgreichen «First Friday» wäre dies die erste permanente bauliche Intervention des Citymanagers im Stadtbild gewesen – wenn auch eine kleine. Gescheitert ist sie letztlich weniger am Mut als am Geld.
Aus Brunnen-Projekt wurde eine Platzaufwertung
Denn aus dem ursprünglich schlanken Projekt wurde letzten Herbst plötzlich ein deutlich grösseres Vorhaben. Allein der Brunnenaufsatz hätte rund 100'000 Franken gekostet – doch dann übernahm das Hochbauamt das Zepter und entwickelte ein Konzept zur Aufwertung gleich des gesamten Platzes vor dem Schweizerhof und dem «Schiff». Stadträtin Katrin Bernath (GLP) erklärt: «Im Austausch mit verschiedenen Akteuren zeigte sich, dass wir durch zusätzliche Bäume und Sitzgelegenheiten die Aufenthaltsqualität deutlich verbessern könnten.»
«Mit einem moderaten Beitrag könnten wir das Mikroklima verbessern.»
Aus der filigranen Stahlkonstruktion wurde ein viel umfassenderes Gestaltungspaket mit neuer Pflästerung, spezieller Beleuchtung und Entsiegelung des Bodens. Neue Bäume sollten Schatten spenden, rundherum Sitzinseln entstehen – ähnlich wie auf der gegenüberliegenden Seite bei der Schifflände.
Stirnrunzeln im Stadtparlament
Doch im Stadtparlament sorgte der plötzlich auf 400'000 Franken angewachsene Projektposten für Stirnrunzeln. SVP-Vertreter Hermann Schlatter brachte es auf den Punkt: «Ich verstehe nicht, warum man hier wieder so viel Geld ausgeben will. Für etwas, das selbst die Akteure als Versuch sehen.»
«Das finde ich jetzt doch etwas speziell.»
Bernath betonte im Rat, man habe Anwohner und Gewerbe informiert. «Mit einem moderaten Beitrag könnten wir das Mikroklima verbessern.» Das überzeugte die Mehrheit jedoch nicht. Schlatter plädierte stattdessen für ein schlankeres Vorgehen: «Man sollte zunächst die Brunnenplattform realisieren. Wenn sie zum Magnet wird, prima. Dann kann man weiterdenken. Aber im Moment braucht es nicht mehr.»
Sein Antrag, den Budgetposten von 400'000 auf 100'000 Franken zu kürzen, wurde mit 17 zu 14 Stimmen angenommen – das war im November letzten Jahres. Als die SN Schlatter damit konfrontieren, dass das Projekt ganz gestorben ist, sagt er nur: «Das finde ich jetzt doch etwas speziell, ich habe ja nicht den Brunnenaufsatz bekämpft, sondern nur die anderen Elemente.»
Kritische Stimmen aus der Unterstadt
Realisierbar wäre die ursprüngliche Idee mit den verbliebenen 100'000 Franken gleichwohl noch gewesen. Aber seit dem Budgetentscheid starb das Projekt einen raschen Tod, sagt Ernst Gründler, Präsident von Pro City, welche im Akteurenboard mehrere Interessen vertritt. «Nur die Brunnenplattform ohne Platzaufwertung ergibt wenig Sinn.» Zudem habe es viele kritische Stimmen aus der Unterstadt gegeben. «Die Unterstützung war gering, es gab zahlreiche Bedenken.»
«Nachts hätten sich doch Betrunkene da oben herumgetrieben, da wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich jemand das Genick bricht.»
Auch vor Ort zeigt sich Skepsis. Marianne Weder, Betreiberin des «Ege»-Kiosks direkt gegenüber dem Brunnen, bringt es auf den Punkt: «Wir hier fanden die Idee alle schlecht. Und Bäume und Bänke braucht es auf diesem kleinen Platzabschnitt nun wirklich nicht.»
Vor allem die Plattform stösst bei ihr auf Ablehnung. «Das wäre doch eine Einladung für jeden Unfug gewesen. Nachts hätten sich Betrunkene da oben herumgetrieben, da wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich jemand das Genick bricht.»
Stattdessen formuliert Weder, was viele in der Unterstadt lieber sähen: die Rückkehr der ursprünglichen Brunnenfigur. «Aber das interessiert die Stadt nicht», sagt sie.
Und damit spricht sie einen wunden Punkt an.
Die bewegte Geschichte des Brunnens
Der «Eiserne Brunnen» hat eine bewegte Geschichte. In den 1950er-Jahren wurde er wegen einer Strassenverbreiterung entfernt und landete im Garten des Klosterguts Paradies in Schlatt – moosüberwachsen und fast vergessen. Als die Stadt 2012 den Freien Platz neu gestalten wollte, sah die Stadtplanung ebenfalls wieder einen Brunnen vor, jedoch eine moderne, schlichte Variante, was im Quartier auf Widerstand stiess. Eine Petition wurde lanciert, Weder war federführend dabei. «Gebt uns unseren alten Brunnen zurück!», lautete die Forderung.

Am Ende lenkte die Stadt – eher zähneknirschend – ein. Der Originalbrunnen wurde zurückgekauft und – auch zähneknirschend – installiert. Nur: Die Brunnenfigur blieb verschwunden und gilt seit Jahrzehnten als verschollen.
Bernath: «Es gibt keinen Plan B»
Nach ihrem Verbleib beziehungsweise für eine Alternative auf dem doch eher nackten Sockel erkundigte sich auch Till Hardmeier (FDP) im Stadtparlament. 2019 meinte die Stadt, dass sie einen Wettbewerb durchführen wolle, der diese Frage klären sollte.
Dazu kam es nie. Und auch nachdem die Plattform-Idee gescheitert ist, bleibt offen, was nun passiert. Bernath sagt, der explizit für die Brunnen-Idee bewilligte Kredit von 100'000 Franken werde nicht verwendet, nachdem das Projekt nicht realisiert werde. «Einen Plan B gibt es bisher nicht, und es ist offen, ob und in welchem Zeitraum das Thema wieder aufgenommen wird.»