Ein «entrissener Sitz», «Balsam für die FDP» und dauerüberraschte Journalisten: Das schreiben Schweizer Zeitungen über die Schaffhauser Ständeratswahl

Julian Blatter | 
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Simon Stocker gratuliert Severin Brüngger zur Wahl. Darunter: Die Überschiften zur Schaffhauser Ständeratswahl von «NZZ», «Blick» und «Tagesanzeiger». Bild: Keystone / Montage: Julian Blatter

Schaffhausen? Ein Kanton, der «weiter fest in bürgerlicher Hand ist». Stockers Zeit in Bern? «Ein kurzes Gastspiel». Und Brünggers Sieg? Eigentlich Stockers «Nicht-Wiederwahl». Ein Blick auf die Schlagzeilen der Schweizer Presse zur Schaffhauser Ständeratswahl.

Die Schaffhauser Ständeratswahl hat weit über die Grenzen des Kantons hinaus Wellen geschlagen. Alle grossen Schweizer Tageszeitungen berichteten, auch ennet des Röstigrabens ist von der Brüngger-Wahl zu lesen. Wir haben uns durch den Schlagzeilendschungel gewühlt.

Eine «definitive» Niederlage

Was war denn diese Wahl nun? Eine Niederlage für Simon Stocker oder ein Sieg für Severin Brüngger? Geht es nach dem «Tages-Anzeiger» (Online-Ausgabe), ist es eine «Nicht-Wiederwahl». Auch die restlichen Zeitungen der TX Group titeln am Montag gross auf ihren Frontseiten: «Simon Stocker verliert seinen Sitz im Ständerat definitiv.» «20 Minuten» (ebenfalls TX Group) und die «NZZ» machen die Niederlage noch etwas definitiver, indem sie darauf hinweisen, dass Stocker zuvor durchs Bundesgericht «abgesetzt» («20 Minuten») wurde: «Erst vom Bundesgericht aus dem Ständerat entfernt und jetzt nicht wiedergewählt» («NZZ»).

Die Zeitungen der CH-Media-Gruppe wagen hingegen einen Spagat. Auf der Frontseite «entreisst die FDP der SP einen Sitz in der kleinen Kammer», während es weiter hinten wiederum heisst: «SP verliert Sitz nach nur 18 Monaten.»

Ganz viele Überraschungen

Was sich so gut wie durch alle Berichte über diese Ständeratswahl zieht: Alle sind unglaublich überrascht davon, was sich die Schaffhauserinnen und Schaffhauser da zusammengewählt haben – schon wieder. Die erste Überraschung war die Wahl Stockers: «Es war eine der grossen Überraschungen der Wahlen 2023: In Schaffhausen setzte sich bei den Ständeratswahlen Simon Stocker gegen den damals amtierenden SVP-nahen Thomas Minder durch» («20 Minuten»).

Nach der Aberkennung der Stocker-Wahl «folgte nun eine weitere Überraschung: Stocker verlor die Neuwahl, gewonnen hat sein freisinniger Konkurrent Severin Brüngger» («Tages-Anzeiger»). Und das, obwohl Beobachter damit gerechnet hätten, «dass das Bundesgerichtsurteil bei den Schaffhauser Stimmberechtigten Solidarität sowie einen gewissen Trotzeffekt auslöst».

Die vielen Überraschungen brachten den «Boten» wohl dazu, in seiner Online-Ausgabe zeitweise die Frage aufzuwerfen: «Die Schaffhauser wählen zum zweiten Mal innert kürzester Zeit einen Ständerat ab – was steckt dahinter?» Die Frage beantwortet Doris Kleck, die den Wahlsonntag für die CH-Media-Zeitungen kommentierte und zu den wenigen gehört, für die das Wahlresultat keine Überraschung ist. Denn: «Die Stadt Schaffhausen tickt links, doch der Kanton ist weiter fest in bürgerlicher Hand.» Der Sieg Brünggers sei «Balsam für die FDP», so ihr Fazit des Wahlsonntags.

Der Linienpilot und der Gast im Bundeshaus

«Wer ist der FDP-Politiker Severin Brüngger?», fragt sich das Onlineportal «nau.ch». Ein ehemaliger Handball-Nationalspieler und «Linienpilot mit steiler politischer Karriere», antworten die CH-Media-Zeitungen. Ein «wirtschaftsliberaler Hardliner», schreibt der «Blick».

Im Gegensatz zum «relativen Newcomer» Brüngger («NZZ»), bedarf es bei Stocker kaum einer Vorstellung. Sein Name ist zuvor bereits wegen der Aberkennung seiner Wahl durch die Schweizer Presselandschaft gewandert. Der Fall wird im Zuge der Berichterstattung über die jetzige Wahl in vielen Zeitungen wiedergekäut. Dieser geht dem «Blick» zufolge in etwa so: Nach dem «Wahlkrimi» 2023 führten «eine Reihe von Schmutzgeschichten» zur Wahlbeschwerde und einem Gerichtsverfahren, das «wohl von Thomas Minders langjährigem Weggefährten Claudio Kuster finanziert» wurde. Der «Tages-Anzeiger» schreibt von einer «politischen Fehde» und wirft erneut die Frage auf, ob die Wohnsitz-Regelung noch zeitgemäss ist. Stockers Zeit im Ständerat «bleibt ein kurzes Gastspiel», resümieren die CH-Media-Zeitungen.

Auch in der Westschweiz und im Tessin interessiert die Brüngger-Wahl

Die Schaffhauser Ständeratswahl hat auch den Sprung über den Röstigraben geschafft. «In Schaffhausen zieht Severin Brüngger in den Ständerat ein, auf Kosten von Simon Stocker», titelt etwa «Le Temps» online. «In Schaffhausen schnappt die FDP den sozialdemokratischen Ständeratssitz weg», schreibt der öffentlich-rechtliche Sender «RTS». «FDP stiehlt der SP einen Ständeratssitz», schreibt das italienischsprachige Pendant «RSI», auch der rätoromanische RTR berichtete.

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