Nach der Scheidung eine Familie bleiben

Andrea Tedeschi | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Auch nach der Scheidung sollten frühere Paare ihren Kindern gute Eltern sein und Kinder eine Familie haben. Bild: Key

Immer wieder endet die Trennung von Paaren in einem endlosen Streit. Nun sollen Richterinnen und Richter mithelfen, dass Eltern versöhnlicher auseinandergehen – den Kindern zuliebe.

Kaum ist der schwarze Volvo vorgefahren, umarmt die 7-jährige Emilie ihre Mutter und sagt, sie wolle lieber bei ihr bleiben und nicht das Wochenende beim Vater verbringen. Ja, sagt die Mutter, das könne sie gut verstehen. Die Mutter ist ohnehin dagegen, dass ihr Kind den Vater besucht, schimpft öfters über ihn. Nun wirkt sie besänftigt. Als Emilie auf dem Rücksitz des Volvos sitzt, strahlt sie ihren Vater an. Sie freue sich so, sagt sie, endlich Zeit mit ihm verbringen zu können.

Emilies Fall mag virtuell sein, aber er ist exemplarisch für rund zehn Prozent der minderjährigen Scheidungskinder in der Schweiz. Es gibt fast 1400 pro Jahr von ihnen. Sie überwinden nicht, dass ihre Eltern die Trennung nicht überwinden. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von unverheirateten Eltern. Sie bekämpfen sich gegenseitig, manchmal bis vor Bundesgericht. Fast immer geht es den Parteien um Geld und Kinder. Die Gründe für den Streit sind oft nur Symptome, die Konflikte liegen woanders. Der Vater verkraftet zum Beispiel nicht, dass seine Ex-Frau fremdgegangen ist. Er will ihr die Alimente nicht bezahlen. Sie will ihn deshalb bestrafen, indem er die Tochter nur ein Wochenende im Monat sehen darf. Weil sie das alleinige Sorgerecht haben will, zieht sich die Scheidung in die Länge. Laut mehreren Richtern kann es bis zu fünf Jahre oder länger dauern, bis ein Gericht ein Schlussurteil fällt. Der Unmut bleibt, wenn das Gericht aus Sicht der Mutter oder des Vaters falsch entschieden hat.

Der Genfer SP-Nationalrat Christian Dandrès fordert nun in einem Postulat, dass Richterinnen und Richter mithelfen sollen, eine Eskalation zu verhindern. «Eine Scheidung ist schmerzhaft genug, aber die jahrelangen Gerichtsprozesse können manche Familien ruinieren und zerstören», sagt Dandrès, selber Rechtsanwalt, im Gespräch. Er will unter anderem, dass Gerichte eine obligatorische und kostenlose Mediation einführen, bevor ein Gericht die Scheidung vollzieht. Ausserdem sollen die Kantone ein Familiengericht schaffen, um die Kom­petenzen der Kindesschutzbehörde (Kesb) und der Familienrichter aufeinander abzustimmen. Im Gegensatz zur Kesb können die Gerichte nicht in allen Kantonen eine Mediation anordnen; sie müssten die erforderlichen Gesetze schaffen.

Der Nationalrat hat den Bundesrat kürzlich mit 131 zu 51 Stimmen bei einer Enthaltung beauftragt, Dandrès Forderungen mit den Kantonen zu prüfen. Doch was könnten diese Änderungen bewirken? Und was halten Fachleute, Kantone, Richterinnen und Richter davon?

Richter sind keine Vermittler

Kinder leiden, wenn Eltern streiten. Sie haben beide Eltern gern, brauchen ihre Liebe, wollen ihre Zuneigung. Eine Kampfscheidung kann Kinder darum in einen Konflikt bringen. Ist Emilie beim Vater, ist sie ihm gegenüber loyal, verleugnet aber die Mutter und umgekehrt. Oder Kinder machen wieder ins Bett oder in die Hosen, benehmen sich auffällig, haben Wutanfälle. «Der Loyalitätskonflikt zerreisst die Kinder und das schadet ihnen langfristig», sagt Bruno Roelli, der für sehr viele Richter in der Schweiz steht. Roelli war Familienrichter in Luzern, über 30 Jahre lang, zuletzt als Oberrichter. Heute berät er Familien bei Kescha, einer unabhängigen Anlaufstelle für Eltern und Kinder. Er sagt, es gebe in der Schweiz zu wenige Familienrichter, die den wenig beliebten Job so lange und gerne machen würden.

Roelli hat überwiegend Eltern erlebt, es sind bis zu 90 Prozent, die sich mit den Kindern geeinigt haben, bevor der Richter sie geschieden hat. In der Schweiz gehen zwei von fünf Ehen auseinander. Einigen sich diese über Geld und Kinder nicht, versuchen die Gerichte zu vermitteln, bevor sie eine Scheidung per Urteil vollziehen. «In der Regel ist das ein Gespräch von wenigen Minuten bis zu einer Stunde», sagt Roelli. Bei zu zehn Prozent der Eheleute bringt ein Gespräch nichts und die Scheidung wird zum Kampf. Hochstrittig sind fünf Prozent der Eltern.

Für Nationalrat Dandrès liegt eines der Probleme in dem, was er bei den Richterinnen und Richtern als Befangenheit erlebt hat. Er sagt: «Eltern müssen befürchten, dass ihre Offenheit das Urteil des Richters beeinflusst.» Denn Eltern in Trennung können sich vor den Richtern vergessen; sie fluchen, schreien und machen sich damit als Eltern unmöglich. Es ist schon vorgekommen, dass Einzelne sich am Boden wälzten.

Auch Roelli begrüsst die vom Nationalrat gewünschte Mediation. Der frühere Familienrichter sagt: «Über eine Mediation können Eltern lernen, ihren Konflikt hinter ihre Aufgabe als Eltern zu stellen und ihren Kindern weiterhin gute Eltern zu sein, obwohl sie kein Paar mehr sind.» Anders als ein kurzes Gespräch ist eine Mediation ein Prozess mit mehreren Sitzungen. Doch diese müsse ausserhalb des Gerichts erfolgen, sagt Roelli. Nicht alle Richterinnen und Richter eigneten sich für diese anspruchsvolle Aufgabe. Es fehlten manchen die erforderliche Sozialkompetenz, Empathie oder das Fachwissen. Ein Grund: die häufigen Wechsel. «Richter fangen zwar häufig im Familienrecht an, wechseln aber nach Möglichkeit bald in eine andere Disziplin. Statt erfahrene kommen meist unerfahrene Richterinnen und Richter nach.»

Aber nicht deswegen gibt Roelli dem politischen Vorstoss wenig Chancen. Erstens sei die Mediation teuer, und es gäbe keine Garantie auf Erfolg, sagt er. «Wenn sich nur ein Viertel der Eltern einigen, ist das viel.» Fachleute beziffern die Kosten von acht Sitzungen auf rund 3000 Franken. Zweitens glaubt Roelli nicht, dass die Kantone hineinreden und die Hoheit über die Gerichte an den Bund abtreten lassen würden.

Die Idee ist nämlich nicht neu, dass Gerichte eine Mediation anordnen oder die Kantone ein Familiengericht schaffen sollen. Vor zehn Jahren wurde die Debatte mit der Einführung des Zivilprozessrechts schon mal geführt. Eine schweizweite Umsetzung scheiterte, es ist bezeichnend, am Willen der Kantone.

Richter und Kesb sind uneins

Patrik Müller ist Gerichtspräsident am Zivilgericht Basel-Stadt und im Vorstand der Schweizer Vereinigung der Richterinnen und Richter. Er lehnt es, wenig überraschend, ab, dass der Bund den Kantonen eine obligatorische Schlichtung oder ein Familiengericht aufzwingen soll. Die Gerichte strebten immer eine rasche Einigung an, sagt er, die sie bei der grossen Mehrheit der Eltern in Scheidung auch erreichen würden. «Die Kantone haben Instrumente, die sehr gut funktionieren. Es gibt also keinen Grund, weshalb das Parlament intervenieren müsste.»

Müller glaubt ohnehin nicht, dass sich die Mediation ganz von den Gerichten trennen lässt. «Beim Gericht braucht es jemanden, der straff durch das Verfahren führt und wo immer möglich Einigungen anstrebt», sagt er. Brauche es dennoch ein Urteil eines Richters oder einer Richterin, weil die Eltern sich nicht einigen könnten, sei der Richter auch der Schlichter. «Bevor wir ein Urteil fällen, analysieren wir immer, was noch fehlt, damit sich die Eltern doch noch einigen könnten.» Entscheidend sei dabei, dass Gerichte auf Mittel und Instrumente zurückgreifen könnten, die diesen Prozess unterstützen.

«Der Staat kann streitenden Eltern nur begrenzt helfen. Sie müssen gemeinsam Lösungen finden, damit ihre Kinder eine unbeschwerte Beziehung zu beiden Eltern haben können.»

Patrick Fassbind Amtsleiter Kesb Basel-Stadt

Prozesse wie die Pflichtberatung zum Beispiel, wie sie das Gericht oder die Kesb in Basel-Stadt seit zehn Jahren anordnen können. Diese obligatorische Beratung verpflichtet Eltern, sich während drei Monaten in sechs bis acht Sitzungen zu treffen – mit dem Ziel, sich einig zu werden. Begleitet werden sie von Sozialarbeitern des Kinder- und Jugenddienstes. Dazu sagt Patrick Fassbind, der die Kesb leitet: «Der Staat kann streitenden Eltern nur begrenzt helfen. Sie müssen gemeinsam Lösungen finden, damit ihre Kinder eine unbeschwerte Beziehung zu beiden Eltern haben können.» Trennungen seien Krisen, in denen Eltern und Kinder Unterstützung bräuchten, um das Leben als Familie neu zu gestalten.

In der Mediation werden Eltern an ihre Rolle erinnert, wie etwa der Vater daran, warum er Besuchstage nicht einfach ab­sagen und die Betreuung der Mutter überlassen kann. Die Beratung hätte zu mehr Einigungen und weniger Langzeitkonflikten geführt, sagt Fassbind. Eltern müssten jedoch überzeugt davon sein, worüber sie sich geeinigt hätten. «Wenn eine Mutter daran zweifelt, dass ihre Tochter beim Vater gut aufgehoben sei, wird sich die Vereinbarung im Alltag nicht durchsetzen.»

Im Gegensatz zum Gerichtspräsidenten Müller begrüsst Fassbind von der Kesb, dass der Bund die obligatorische Pflichtberatung schweizweit einführen will. Aber auch er formuliert Kritik: «Eine Schlichtung, die erst vom Gericht oder einer Kesb angeordnet wird, kommt viel zu spät.» Diese sollte viel früher einsetzen. Sobald sich die Eltern trennten, müssten sie unverzüglich für eine Beratung verpflichtet werden. «Bei der Trennung kommt es zu gegenseitigen Verletzungen», sagt Fassbind, «die sich durch Missverständnisse wegen des Kindes noch verschlimmern.» Denn selbst wenn sich Eltern zu Beginn der Trennung noch einig sind, kann es zu Streit kommen, zum Beispiel, wenn er oder sie eine neue Beziehung eingehen.

Kantone sind schon weiter

Anders als man aufgrund des kantonalen Misstrauens gegen staatlichen Einfluss aus Bundesbern vermuten könnte, sperren sich auch andere Kantone nicht gegen eine Mediation, wie sie Basel-Stadt umsetzt oder der Nationalrat über die Gerichte einführen will. Der Aargau zum Beispiel hat bereits ein Familiengericht. Nach dem Wallis wird auch Bern ab nächstem Jahr für zwei Jahre testen, ob sich Eltern mit einer Mediation versöhnlicher trennen. Damit Bern den Versuch durchführen kann, muss eine Gesetzesänderung her. Anders als die Kesb dürfen Berner Gerichte keine Mediation anordnen.

Das allerdings schafft eine ungleiche Behandlung der Eltern. Denn für die Scheidung müssen Verheiratete ans Gericht gelangen und kommen, anders als Unverheiratete in Trennung, erst gar nicht mit der Kesb in Kontakt. Das sogenannte «Zentrum für Familien in Trennung» soll die Scheidungen nun beschleunigen und die Verfahren verbessern. Roland Wittwer, Fürsprecher und Leiter Rechtsamt des Kantons Bern, glaubt, dass der Kanton dadurch Kosten einsparen werde.

«Die Schlichtungsbehörden, beispielsweise bei Arbeits- und Mietstreitigkeiten, haben sich bewährt und sind sehr erfolgreich.»

Andreas Textor, Präsident des Kantonsgerichts Schaffhausen

Im Gegensatz zum Kanton Bern befürchtet Schaffhausen höhere Kosten. Besonders wenn ein Familiengericht die Aufgaben des Gerichts und der Kesb zusammenlegen sollte, hätte das laut Andreas Textor, Präsident des Kantonsgerichts Schaffhausen, eine tief greifende Reorganisation und Umverteilung der Stellen zur Folge. «In den allermeisten familienrechtlichen Verfahren können wir eine Einigung bewirken», sagt Textor. Zwar könnten Eltern in Scheidung bereits heute auf eine externe Mediation ausweichen, dennoch lehnt Textor eine obligatorische Schlichtung durch den Bund nicht ab – vorausgesetzt, die Mediation würde durch geschulte Fachleute erfolgen. Er sagt: «Die Schlichtungsbehörden beispielsweise bei Arbeits- und Mietstreitigkeiten haben sich bewährt und sind sehr erfolgreich.»

Geht es nach Bruno Roelli, dem langjährigen Familienrichter, ist eine Mediation dann erfolgreich, wenn die Eltern gelernt haben, dass die Tochter zum Vater eine gute Beziehung haben darf und die Mutter sagen kann: «Ich freue mich, dass du das Wochenende beim Papi bist.» Und umgekehrt.

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren