Lacht das Ausland über Walliser Witze?

Schaffhauser Nachrichten | 
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SRF geht neue Wege und spannt für die Serie «Tschugger» mit dem Streaminganbieter Sky zusammen. Die Krimiparodie soll auch international durchstarten. Bei so viel Walliser Lokalkolorit sind aber Zweifel angebracht.

von Daniel Fuchs und Dario Pollice

In der Schweiz eher unbekannt, in Europa eine Riesennummer: Der Streaminganbieter Sky ist auf Expansionskurs und will in Europa Netflix den Rang ablaufen. Die neue Schweizer Serie «Tschugger» soll beim Erreichen dieses Ziels helfen. Sky ist überzeugt: Die Polizeiparodie aus dem Wallis setzt innerhalb des Genres neue Massstäbe. Vergleichbar zu denjenigen, die Sky-Hits wie «Babylon Berlin», «Gomorrha» oder «Gangs of London» innerhalb ihrer Genres setzten.

Für die erste Eigenproduktion hier­zulande hat Sky mit Platzhirsch SRF ­zusammengespannt. Und sich dem Autoren- und Produzententeam um den Oberwalliser David Constantin das anvertraut, der bereits mit der Low-Budget-Serie «Tschutter» vor zehn Jahren auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Die fünfteilige erste Staffel von «Tschugger» nun ist ab Sonntagabend im Schweizer Fernsehen und bei Sky Show zu sehen. Bereits laufen im Wallis die Dreharbeiten für Staffel 2.

Auffallend ist, wie «Tschugger» in Bildern und Form an den Klassiker von Ethan und Joel Coen von 1996, «Fargo», erinnert. Die skurrilen Walliser Figuren gleichen jedenfalls den schrägen Vögeln aus dem Coen’schen Filmuniversum. Selbst die Polizisten erscheinen mit ihren Trappermützen vor der Schneekulisse als Hommage an die Cops aus «Fargo».

Optik im Stil der 1980er

Vieles ist abgekupfert, dennoch trägt «Tschugger» eine ganz eigene Handschrift. Ein gängiges Rezept für Erfolgsserien sind Detectives, die in der Pampa ermitteln und raue Dialekte sprechen. Die «Nordic Noirs» nutzen dafür die abgelegenen Gebiete Skandinaviens und die Düsternis der kurzen Tage.

Für die Schweizer Pampa haben sich die «Tschugger»-Macherinnen das Oberwallis ausgesucht. In der Vergangenheit steckengebliebene Dörfer und Figuren sowie ein für «Üsserschwiizer» (Nicht-Walliser) unverständlicher Dialekt sollen für die nötige Atmosphäre sorgen.

«Tschugger» wird als «parodistische Polizeikomödie» angepriesen. Sie richte sich an ein Publikum, das mit US-Polizeiserien der 1980er- und 1990er-Jahre wie «Magnum P. I.» aufgewachsen sei. Die Titelsequenz untermauert dies von Beginn weg: Treibende Synthie-Beats à la Giorgio Moroder und der VHS-Look versetzen die Zuschauer zurück in eine Zeit, als Tom Selleck und David Hasselhoff die Helden des Nachmittagsprogramms waren. Auch der Hauptermittler, «Tschugger» Johannes «Bax» Schmidhalter (David Constantin macht nicht nur Regie, sondern spielt auch gleich die Hauptrolle), wirkt in Jeansmontur und mit «Pornobalken» wie ein Relikt aus jener Zeit.

Die Walliser Polizeibeamten haben meistens nicht viel zu tun. Verkehrsschulungen mit Primarschülern bieten für einen wie Bax, der sich in einer Reihe mit den Leinwand-Cops von Hollywood sieht, zu wenig Action. Er träumt vom grossen Fall und schickt einen Praktikanten auf Undercover-Mission. Bloss geht die Aktion gründlich in die Hose, und plötzlich haben es die Polizisten mit zwei Leichen zu tun. Zu allem Übel schickt das Fedpol eine Bundespolizistin (Sängerin Anna Rossinelli in ihrem Schauspieldebüt) vorbei, um auf dem Walliser Posten aufzuräumen.

Wie die Walliser Witze verstehen

«Tschugger» richtet sich mit seinen bloss 30-minütigen und von einem kruden Humor geprägten Episoden eher an die Generation Instagram als an den 61-jährigen Stammzuschauer von SRF 1. Nicht von ungefähr ist in einer Nebenrolle der Social-Media-Komiker Cedric Schild alias «Supercedi» zu sehen. Die Vorgabe von oben ist klar: Die Serie soll nebst den treuen Zuschauern auch «ein neues Publikum für die SRF-Serienwelt begeistern», erklärt Susanne Wille, Abteilungsleiterin Kultur.

Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt der Sky-Schweiz-Programmchef Fabian Stein, warum er überzeugt ist, dass «Tschugger» über die Schweizer Grenze hinaus zum Renner wird und wie Sky in Europa zu etwas werden will, wie es Netflix weltweit ist. Zumindest für den deutschsprachigen Raum sieht Stein Potenzial für «Tschugger». Und dafür setzte Sky auf Swissness durch und durch. «Wir wollten als Sky Schweiz eine wirklich schweizerische Serie produzieren, die auf der Schweizer Kultur fusst, von Schweizer Autoren stammt und hier gemacht wird.»

Auf den Stoff aufmerksam wurde Stein noch vor der Pandemie anlässlich eines Gesprächs mit der Serienverantwortlichen von SRF an den Solothurner Filmtagen. Stein erinnert sich: «Der Stoff war damals noch nicht ganz fertig entwickelt, aber schon recht weit.» Das Team um David Constantin war bei SRF mit seiner Geschichte vorher einmal abgeblitzt. Bis Sky mit ins Boot stieg. «Wir waren uns mit SRF schnell einig, dem Produktionsteam von ‹Tschugger› so wenig wie möglich dreinzureden. Sie hatten unglaubliches Herzblut investiert, da war echte Leidenschaft dahinter», erzählt Stein.

«Die ersten Sky-internen Reaktionen aus Deutschland sind hellauf begeistert.»

Fabian Stein, Chef Programm und Inhalte bei Sky Schweiz

Was sich nun auszahle. Stein ist überzeugt, mit «Tschugger» auf Sky zumindest auch in Deutschland und Österreich den Geschmack der Nutzerinnen und Nutzer zu treffen. «So etwas gab es im deutschsprachigen Raum noch nie. Und Sky-interne Reaktionen aus Deutschland sind hellauf begeistert über ‹Tschugger›.»

Damit die Serie auch in Deutschland funktioniert, wird sie komplett neu synchronisiert. Laut Stein, selbst Deutscher, sind sämtliche Schauspielerinnen und Schauspieler daran, ihre Texte neu und auf Hochdeutsch zu synchronisieren. Das Risiko, dass Steins Landsleute das Hochdeutsch der Figuren in «Tschugger» irrtümlicherweise für Dialekt halten, nimmt er lachend in Kauf. «Wir sind auch dafür da, etwas Weiterbildung zu leisten.»

Keine Angst vor der «Lex Netflix»

Ob das ausserhalb der Schweiz funktionieren kann? Zweifel sind angebracht. «Tschugger» ist witzig und ein frecher Farbtupfer in der hiesigen Serienlandschaft, in der oft Altbewährtes und altgediente Gesichter zu sehen sind. Vor allem unter Wallisern, aber auch innerhalb der Schweiz hat die Serie Kultpotenzial, die Einstellungen und Farbgebung sowie die Ausstattung der Serie sind sehr stylish. Fragt sich bloss, ob der eng an die herzliche Hassliebe zwischen «Grüezini» (Deutschschweizer) und Wallisern angelehnte Humor sowie die Nadelstiche, die verteilt werden, auch ausserhalb der Schweiz verstanden werden.

Der engagierte Auftragskiller, der mit Zürcher Nummernschild am Allrad-Pick-up auf dem verschneiten Simplonpass wegen Sommerreifen stecken bleibt und es nur dank tatkräftiger Unterstützung der gutgläubigen Polizisten wegschafft; der Oberprolet in der Beiz mit Kegelbahn, der, seit «er bei Beni die richtige Kugel wählte» («Benissimo»), nicht mehr viel anderes tun muss, als Sprüche klopfen; oder die von Laiendarstellerin Annalena Miano gemimte Figur als kriminelle Möchtegern-Deutschrapperin, die stark an Loredana erinnert, die ihr Unwesen auch im Wallis trieb: Wird ein deutsches Publikum solche, zweifellos witzige Anspielungen verstehen, oder wird es sich irritiert abwenden?

Innerhalb des Genres ist «Tschugger» mit «Lilyhammer» vergleichbar, der Kultserie über einen New Yorker Mafioso, der in Norwegen Unterschlupf sucht und willige Komplizen sowie eine überraschende Bereitschaft der Einheimischen findet, krumme Dinge durchzuziehen. Vermutlich aber sind Klischees über Norweger und der feine nordische Witz, der in «Lilyhammer» auf Mafioso-Nostalgie trifft, universeller als träfe Walliser Sprüche.

Ob «Tschugger» das richtige Pferd ist, auf das Sky in der Schweiz setzt, wird sich weisen. Das Beispiel und die rasche Zunahme von Sky-Eigenproduktionen in den Stammländern Grossbritannien, Deutschland und Italien bieten indes Einblick, wie der in Europa vielleicht wichtigste Netflix-Kontrahent tickt.

Nächstes Jahr gehen nicht weniger als 60 «Sky-Originals» an den Start, Sky-Eigenproduktionen wachsen derzeit exponentiell. Und Sky verfügt über die Lizenz für HBO-Produktionen, was so etwas wie der derzeitige Gold­standard in Sachen Serien ist, wobei die beiden auch schon bewiesen, dass sie gemeinsam Stoffe entwickeln und vermarkten können (die Miniserie «Chernobyl» von 2019 zum Beispiel).

«Tschugger» zeigt exemplarisch, dass die Zusammenarbeit eines in­ternationalen Streaminganbieters mit SRF und hiesigen Produzenten fruchten kann. Und das, noch ehe in der Schweiz die «Lex Netflix» greift, die Netflix, Sky und Co zu Mindestinvestitionen in den Schweizer Film verpflichten soll. Anders als Netflix unterhält Sky eine Schweizer Geschäftsstelle. Mit «Tschugger» beweist der Streaming­anbieter, dass er an das Potenzial von Schweizer Serien glaubt und hier in­vestiert.

«Tschugger» (Staffel 1, 2021); 5 halbstündige Episoden; seit Sonntag bei Sky Show, SRF und Play Suisse.

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