Georgien – Kirchen, Berge, Wein und Stalin

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«Tbilisi – the City that Loves You», wird man bereits am Flughafen von Georgiens Hauptstadt auf einem grossen Schild begrüsst und umgarnt. Wir haben uns in der noch wenig bekannten Millionenstadt und der Region am Kaukasus umgesehen.

von Matthias Wipf

«Hi, I’m George from Georgia!» Gefühlt heisst jeder zweite Bewohner des 3,7-Millionen-Landes Giorgi – nicht nur unser Fahrer und viele weitere Männer, die wir im Laufe unserer Reise treffen, sondern auch der aktuelle Staatspräsident, der Ministerpräsident und der Bürgermeister von Tiflis. Bekannt ist Georgien, das das Christentum schon sehr früh zur Staatsreligion erhoben hat, für seine beeindruckenden Klöster und Kirchen, als «Wiege des Weines», wie stolz verkündet, und für seine wunderschönen Berglandschaften. Das Land, so der gern erzählte Gründungsmythos, sei bei der Verteilung der Erdregionen – typisch georgisch – zu spät gekommen, habe dann aber Gott mit Gesang und Tanz derart überzeugt, dass er ihnen das allerschönste Stück Land geschenkt habe, das eigentlich für ihn selbst reserviert gewesen sei.

Die «Rosenrevolution» als Zäsur

Bei der Ankunft in Tiflis springt einem sofort der beleuchtete Fernsehturm ins Auge, wie in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken, sowie die Ruine der Festung Nariqala und die grosse Statue «Mutter Georgien» (Kartlis Deda), die in der einen Hand eine Weinschale hält und in der andern ein Schwert zur Verteidigung. Der Rustaweli-Boulevard mit seinen Palästen und der Fluss Kura ziehen sich durch die Metropole. Kirchen, die während der atheistischen Sowjetzeit in Theater oder gar Bäder umfunktioniert worden waren, sind restauriert worden. Die Altstadt präsentiert sich mit engen Kopfsteinpflasterstrassen, vielen Restaurants und Cafés und einer sehr lebendigen Ausgangsszene, die vor allem auch bei jungen russischen Touristen geschätzt wird. Micheil Saakaschwili, der prononciert westlich orientierte, frühere Staatspräsident, der mit der Rosenrevolution 2003 an die Macht gelangt war, hat nicht nur die Alltagskorruption und die Kriminalität hart bekämpft, sondern auch zahlreiche moderne Gebäude hingestellt. So umstritten auch sein Erbe heute ist, darf sein Beitrag zur Entwicklung des Landes nach der Sowjetzeit und den ersten Jahren der Unabhängigkeit nicht unterschätzt werden. Noch viele Gebiete in Georgien wirken heute eher ärmlich – und doch ist das Land im Transformationsprozess seit der Sowjetzeit, gerade auch im Vergleich zum Nachbarland Armenien, deutlich weiter.

Chatschapuri und Tschatscha

Kulinarisch kommt in Georgien niemand zu kurz, ob in Restaurants oder spontan bei der Einladung in eine Familie. Da wird Chatschapuri gegessen, eine Art Käsepizza, die Teigtaschen Tchinkali oder dann Elarji, ein Mais-Käse-Gericht, zu dem Hähnchen und Wallnuss-Sauce gereicht werden – und alles wird mitten auf den Tisch gestellt und geteilt. Das Ganze natürlich mit viel Wein, traditionell in erdgelagerten Tongefässen (Qvevri) angebaut, sowie einem kräftigen Schluck des Tresterschnapses Tschatscha. «Wine is Art», klärt uns Lika, die junge Führerin im Weingut Chateau Mukhrani schmunzelnd auf. Und in gemütlichen Runden gibt es immer einen sogenannten Tamada, einen Tafelmeister, der Trinksprüche zum Besten gibt – und gerne auch mal die Shveitsariis dazu auffordert. Also: Gagimardschos (Prost)!

Getrunken wird auch darauf, dass es Georgien gelingen möge, sich vom «Balkon Europas», wie sie es selbst nennen, ganz der Europäischen Union und auch der Nato anzuschliessen. Nur weg von Russland, mit dem man wegen Südossetien und Abchasien zu Kreuze liegt – und vor dessen weiteren territorialen Ansprüchen man stetig in Angst lebt. «Aber dafür muss wohl zuerst Putin weg», meint unsere Reiseführerin Salome, ein wandelndes Lexikon, nachdenklich.

Nona schwingt den Zeigestock

Von Tiflis aus besichtigt werden können auch prachtvolle Sehenswürdigkeiten wie das Höhlenkloster Dawit Garedscha in Kachetien, unmittelbar an der Grenze zum Nachbarstaat Aserbaidschan gelegen, sowie die Kreuzkuppelkirchen Dschwari und Samtavro und die Kathedrale Swetizchoweli in Mztecha, die allesamt zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, oder die Höhlenstadt Uplisziche. Wunderschön ist auch die Bergregion Kasbegi unmittelbar an der Grenze zu Russland, die immer mehr auch Wander- und Skitouristen anzieht, auch aus der Schweiz.

Historisch interessant und gleichsam verstörend schliesslich die Stadt Gori rund 90 Kilometer nordwestlich von Tiflis, die Heimatstadt des Sowjetdiktators Stalin. Zwar wurde dessen Statue vor dem Rathaus unlängst abgeräumt, aber noch immer wird dessen Vita in einem palastartigen Museum zwischen Geburtsurkunde und Totenmaske ziemlich unkritisch erläutert. «Klar war nicht alles gut», heisst es auf Nachfrage euphemistisch – und doch dringt, angesichts der Tragweite seiner Taten völlig unverständlich, auch Stolz auf den berühmten Sohn Georgiens durch. Nona, unsere Museumsführerin, schwingt seit vierzig Jahren den Zeigestock.

Der «Georgische Traum»

Georgien war früher ein wichtiges Transitland am Schnittpunkt vieler europäisch-asiatischer Handelswege und so im Mittelalter eine der reichsten Handelsstädte. Heute nun steht das Land merklich am Scheideweg, und vieles hängt dabei von der Beziehung zu Russland ab. Ob der «Georgische Traum» – so heisst das aktuelle Regierungsbündnis, das viele allerdings nur faute de mieux gewählt haben – in den kommenden Jahren weitergeht?

Vielleicht hilft auch die Schutzheilige Nino, die «Erleuchterin Georgiens», die damals das Christentum eingeführt haben soll und noch immer stark verehrt wird. Dem wunderschönen Land und seinen sympathischen, gastfreundlichen Menschen zwischen Städten, Bergen, Steppenwüsten und dem subtropischem Klima am Schwarzen Meer wäre es wirklich sehr zu gönnen. Gagimardschos!

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