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Die Universität Lausanne kann sich freuen: Mit Jacques Dubochet ist einer ihrer Forscher unter den drei diesjährigen Nobelpreisträgern für Chemie. Sie werden für die Entwicklung von Kryo-Elektronenmikroskopie geehrt. Neben guten Ideen haben sie vor allem eines gebraucht: grosse Ausdauer.

von Rolf App

Was tut man, wenn irgendwo in der Welt eine Krankheit zur Epidemie wird – wie das zum Beispiel beim Zika-Virus der Fall war? Man versucht zuallererst, mehr über den Erreger herauszufinden, um dann einen Impfstoff zu entwickeln. Dabei bedient sich die medizinische Forschung jener Methoden, für die gestern der Schotte Richard Henderson, der Deutsche Joachim Frank und der Schweizer Jacques Dubochet gemeinsam den diesjährigen Nobelpreis für Chemie bekommen haben. «Was sie geleistet haben, hat eine enorme direkte Bedeutung für Biologie und Medizin», sagt denn auch Gebhard Schertler vom Paul-Scherrer-Institut, dessen Lehrmeister Henderson gewesen ist. Und er antwortet auf die Frage, wie viel Ausdauer hinter dieser Leistung stecke: «Das ist eine gute Frage. Immer wieder hat es Zweifel gegeben, ob Henderson mit seinem Ansatz Erfolg haben würde. Aber er hat unbeirrt dar­an festgehalten.» Und ist jetzt belohnt worden – wobei Frank und Dubochet Entscheidendes beigetragen haben. Weshalb sich die Universität Lausanne, an der Dubochet zuletzt gelehrt hat, auch ganz besonders freut (siehe unten). Dass der Nobelpreis erst jetzt kommt, obschon die drei schon seit Jahrzehnten an der Arbeit sind, hat, so Schertler, «damit zu tun, dass der volle Durchbruch in den letzten vier Jahren geschafft worden ist».

«Ein Bild ist der Schlüssel zum Verstehen. Wissenschaftliche Durchbrüche bauen deshalb auf erfolg-reicher Visualisierung auf.»

Aus der Mitteilung des Nobelkomitees

Wie kann man ins Innere der Zelle schauen, wie erkennen, wie Viren oder Proteinkomplexe gebaut sind? Zum Beispiel jene Eiweissstruktur, die im menschlichen Körper den 24-Stunden-Rhythmus steuert, und die das Nobelpreiskomitee als eine Anwendung jener Kryo-Elektronenmikroskopie nennt, die Henderson, Frank und Dubochet entwickelt haben. Das hat den 1945 in Edinburgh geborenen Richard Henderson schon im Studium in Cambridge beschäftigt. Und zuerst einmal scheitern lassen. Für ein gewöhnliches Lichtmi­kroskop sind jene Proteine viel zu klein, denen sein Interesse galt. Die Röntgenkristallografie hatte ein paar Haken. Denn man brauchte genügend Material, und man musste das Protein dazu bringen, Kristalle zu bilden. Was sich als ziemlich schwierig erwies. So wendete sich Henderson nach all den Rückschlägen in den Siebzigerjahren der Elektronenmikroskopie zu.

Gefrorenes Wasser als Schlüssel

Allerdings: Für biologische Materialien schien sich die Elektronenmikroskopie kaum zu eignen, weil ihre intensive Strahlung die fragilen Proben zerstörte. Ausserdem trocknete das erforderliche Vakuum diese Proben aus. Mit einem schwachen Elektronenstrahl konnte Henderson Schäden vermindern. Doch blieben die Ergebnisse unbefriedigend, bis sich die Erkenntnisse des in New York forschenden Joachim Frank und jene von Jacques Dubochet dazugesellten. Frank tüftelte in mehr als zehn Jahren eine mathematische Methode aus, um aus vielen unscharfen zweidimensionalen Aufnahmen eine dreidimensionale Struktur zu gewinnen. Und Jacques Dubochet schaffte es, das die Proben umgebende Wasser zu vitrifizieren. Das heisst: Dieses Wasser wird so schnell gefroren, dass sich keine Kristalle bilden, sondern ein glasartiger Überzug. Unter ihm behalten die Biomoleküle ihre Form, und das Wasser verdampft nicht sofort im Vakuum des Elektronenmikroskops. Ein letzter Schritt wurde dann 2013 getan, als ein neuartiger Elektronendetektor die Auflösung noch einmal deutlich verbesserte. Seitdem liegt das Buch des Lebens offener vor den Forschern denn je. Biologie und Medizin werden davon enorm profitieren. Denn, betont das Nobelkomitee: «Ein Bild ist der Schlüssel zum Verstehen. Wissenschaftliche Durchbrüche bauen deshalb auf erfolgreicher Visualisierung auf.»

Jacques Dubochet: «Ich war der erste anerkannte Schüler mit Dyslexie im Kanton»

Von einer «grossen Anerkennung» hat Jacques Dubochet, Träger des Chemienobelpreises, gestern in Lausanne gesprochen. Er hob aber auch den «kollektiven Effort» hinter seiner Entdeckung hervor und brach eine Lanze für schlechte Schüler. «In einem solchen Moment erfüllt einen das mit dem Gefühl grosser Anerkennung», sagte der 75-Jährige im Rektorat der Universität Lausanne (UNIL), gekleidet in blaues Hemd, schwarze Hose und Sandalen.

Gleichzeitig hob der Wissenschaftler in einer humorvollen Rede die Verdienste anderer Forscher hervor. «Die sind ja sympathisch in Stockholm, «sagte Dubochet. «Aber die rücken Personen in den Mittelpunkt, stattdessen müsste man den kollektiven Effort würdigen.» Die mit dem Preis ausgezeichnete Arbeit habe er «vor 30 Jahren» gemacht. «Mein Sohn ist im Jahr dieser Entdeckung geboren,» sagte Dubochet. Er erwähnte mehrere andere Forscher, welche sein «vitrifiziertes Wasser» vor ihm auf dem Tisch des Mikroskopes gehabt hätten. Insbesondere nannte er Nigel Unwin, welcher den Preis ebenfalls verdient gehabt hätte. Zentral sei bei seiner Arbeit der Willen zur Zusammenarbeit gewesen, sagte der 75-jährige Waadtländer. «Ich hasse den Wettbewerb unter Personen», sagte Dubochet. Sein Team habe auf Zusammenarbeit gesetzt, wer sich nicht damit habe abfinden können, der habe gehen müssen.

Seinen besonderen Dank richtete der Nobelpreisträger auch an den Direktor seiner früheren Sekundarschule. «Ich war schlecht, ich schaffte es kaum auf diese Schule», sagte Dubochet. Er habe nur deshalb bleiben können, weil ein Lehrer bei ihm Dyslexie diagnostiziert habe. Auch danach sei er ein schlechter Schüler gewesen, habe aber immerhin den Weg des geringsten Widerstands gehen können. «Ich war der erste anerkannte Schüler mit Dyslexie im Kanton», sagte Dubochet. Kurz nach der Pensionierung dieses Lehrers habe er die Sekundarschule verlassen müssen. Seine Eltern hätten danach eine mutige Entscheidung getroffen und ihn in eine andere Schule in Trogen im Appenzell gebracht. Dort habe er seinen Abschluss gemacht.

Universität Lausanne ist stolz

In seinen jungen Jahren sei er nicht gerade asozial gewesen, aber habe allgemein viele Probleme mit der Welt gehabt. «Das wurde mit jedem Jahrzehnt besser, und heute finde ich, es geht ganz gut», sagte der Nobelpreisträger. Auch die 1968er-Jahre seien für ihn wichtig gewesen – er lernte seine heutige Frau kennen, die ebenfalls anwesend war.

Die Rektorin der Universität Lausanne, Nouria Hernandez, sprach von einer «grossen Freude und einem grossen Stolz» für die Universität Lausanne. Dubochet sei der zweite Nobelpreisträger mit Legasthenie, welche sie persönlich kenne, sagte Hernandez. Auch Carol W. Greider, welche 2009 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt, habe das trotz dieser Schwäche geschafft. «Wir bereiten jetzt den nächsten (Nobelpreisträger) vor», sagte die Rektorin voller Freude. (sda)

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